Frank
Jansen

Journalist

Frank Jansen

Journalist

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Aber auch das ist seltsam. Wir haben immer vor der Brutalität gewarnt, vor der Gefahr rechten Terrors.

Ja. Wie schon gesagt, ich habe das Ende der 1990er Jahre selbst getan und es gab viele Hinweise, die auf rechten Terrorismus zeigten. Bei dem Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße habe ich noch viel recherchiert und nachgefragt. Da hatte ich einen guten Gesprächspartner bei der Kölner Polizei, der sagte, dass sie von einem rassistischen Verbrechen ausgehen, obwohl der Innenminister von Nordrhein-Westfalen schon am Tag nach der Tat meinte, dass kein terroristischer Hintergrund zu erkennen sei. Aber irgendwann bin ich da nicht weiter gekommen und habe da, also 2004, auch nicht mehr die Verbindung zu den drei Untergetauchten aus Jena hergestellt. Was ich 2003 bei dem versuchten Anschlag der Wiese-Gruppe auf das Jüdische Gemeindezentrum in München in einem Artikel noch getan hatte. Vielleicht konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass Neonazis, die in Thüringen untertauchten, in Köln mit so einem wuchtigen Anschlag wieder auftauchen.

Ich glaube, man kann niemandem den Vorwurf machen, den Zusammenhang zwischen dem Verschwinden der drei aus Jena und den Morden an den Migranten nicht hergestellt zu haben. Das liegt so weit auseinander, da hätte jeder sofort Verschwörungstheorien vorgeworfen. Bei dem Sprengstoffanschlag in der Keupstraße, wo ein rassistischer Hintergrund sehr naheliegend war, hätte man sich aber schon an den Fall Jena erinnern können. Aber unabhängig davon, hätte man bei den Morden auch danach fragen können, ob es nicht ein durchgeknallter rassistischer Fanatiker war. Die hat es in anderen Ländern ja auch gegeben; in Schweden zum Beispiel schoss mal einer gezielt auf Migranten. Es gibt immer die Gefahr, dass ein Neonazi Amok läuft so wie 1997 Kay Diesner in Berlin. Und man hätte schließlich auch einfach mal mit einer Opferfamilie sprechen müssen. Die Familien haben ja gesagt, dass sie davon ausgehen, dass ein Ausländerhasser herum läuft und Migranten umbringt.

Ja, sie haben genau verstanden, was Du auch erst gesagt hast; dass eine Message dahinter steht.

Ja, sie haben die verstanden. Wir recherchierten kreuz und quer durch Deutschland für diese Todesopferliste, aber sind nicht auf die Idee gekommen, eine dieser Familien zu kontaktieren. Nie gefragt zu haben, ist ein Tiefpunkt, der einen quält, wenn man darüber nachdenkt und je länger der Prozess dauert.

Aber es ist ja auch gut, dass das bleibt, nachdem es so passiert ist. Schlimmer wäre es ja, wenn man das glättet, sich selbst entschuldet dafür.

Ja, denn dass wir die Frage nicht gestellt haben, ist nicht zu entschuldigen. Da bleibt natürlich auch eine Scham gegenüber diesen Familien, sie nicht ernst genommen zu haben. Man hat jede andere Geschichte ernst genommen, zu recht, und diese nicht.

Hast Du als Journalist gleich mit dem Thema Rechtsextremismus angefangen?

Ich habe in den 1980er Jahren an der Freien Universität Berlin Politologie studiert, da habe ich mich mit dem Thema schon mal beschäftigt. Zudem entstand zu der Zeit eine äußerst gewalttätige Szene in West-Berlin, mit der ich konfrontiert wurde. Aber das war dann wieder vorbei und ich widmete mich anderen Themen, unter anderem dem Nahen Osten, dem Libanon et cetera. Als ich Volontär beim Tagesspiegel war, begann die Wende in der DDR. Als es losging in Ungarn und in der Tschechoslowakei und mit den Demonstrationen, habe ich mich sehr dafür interessiert und bin schon früh nach Ost-Berlin gefahren, zu Demonstrationen hingegangen und habe darüber berichtet. Dann fiel die Mauer, darauf hatte ich immer gehofft. Und die damalige Geschäftsführung des Tagesspiegels entschied, die Zeitung auch im Osten anzubieten. Da ich bereits vergleichsweise viel da gemacht hatte, gab es für mich und einen Kollegen die Aufgabe, eine Brandenburg-Redaktion aufzubauen. Der Kollege ist nach Potsdam gegangen für die Landespolitik und ich in Richtung Cottbus und Frankfurt/Oder.

Und in Ostbrandenburg war ich sofort massiv mit Skinheadcliquen, Rechten, Rassismus und so weiter konfrontiert. Das war massiv, es gab ja kein Kaff, wo nicht eine Gruppe Glatzen rumhing. Und es passierten auch gleich die ersten Morde. 1990 wurde in Eberswalde Amadeu Antonio zu Tode geprügelt. Zum Prozess gegen die Täter bin ich auch jeden Tag gefahren, um darüber zu berichten. Es war schockierend. Da traten Neonazis mit Hakenkreuz-Armbinden auf. Und ich wusste nicht, wo ich gelandet bin. Und mir wurde klar, dass Rechtsextremismus ein großes Thema ist. Dann kamen Hoyerswerda, Rostock, Solingen. Letzteres war für mich ein scharfer Einschnitt, denn ich war fixiert auf diese Straßengewalt im Osten. Auf einmal passierte so ein Brandanschlag mehrere hundert Kilometer weiter im Westen. Also bin ich da auch sofort hingefahren und habe die Berichterstattung gemacht.

So bin ich immer mehr in dieses Thema hineingeraten, das, wie ich finde, in den Medien nicht adäquat behandelt wird. Allerdings hatte ich das Glück, dass der Tagesspiegel für Leute, die sich auf ein Thema spezialisieren, den nötigen Freiraum gibt. So habe ich ein paar Jahre eigentlich nur die Themen Rassismus und Rechtsextremismus gemacht, einfach auch weil nahezu jeden Tag etwas passiert ist. Dann bin ich kreuz und quer durch Brandenburg und andere Bundesländer gefahren, weil ich das einfach wissen wollte. Was ich erlebt habe, war schockierend. Vor allem auch die mangelnde Empathie der Bevölkerung, die fehlende Gegenwehr. Das habe ich dann auch als persönliche Herausforderung angenommen. Dass es aber mehr als 20 Jahre werden, die ich mich mit Rechtsextremismus und Rassismus auseinandersetze, habe ich mir allerdings nicht träumen lassen. Das ist natürlich Fluch und Segen zugleich: Einerseits weiß man über Strukturen, die Szene et cetera ganz gut Bescheid, andererseits ist die permanente Beschäftigung mit einem negativen Thema natürlich belastend. Aber man sollte nicht kapitulieren, sich nicht einschüchtern lassen.

Neben dieser Berichterstattung aus dem Alltag permanent neuer Vorfälle oder den Recherchen für die Liste der Todesopfer rechter Gewalt hast Du noch einzelne Opfer rechter Gewalt lange über das Ende der Prozesse hinaus begleitet, zum Beispiel Orazio Giamblanco, der 1996 von zwei Neonazis in Trebbin fast zu Tode geprügelt wurde.

Das sind jetzt bereits 17 Jahre. Was ich in denen erlebt habe, das ist wirklich unglaublich. Das meine ich auch positiv, denn da gibt es zum Beispiel immer wieder Leser, die viel Geld spenden. Das können Orazio Giamblanco, die Lebensgefährtin und deren Tochter gut gebrauchen. Aber dann gibt es eben auch eine Kälte bei Behörden, Krankenkassen, die einen fassungslos macht. Und man muss sich vor Augen halten: Das ist nur ein Opfer rechter Gewalt von mutmaßlich 10.000 in Deutschland seit 1990. Ich meine, jeder, der angegriffen wird, hat sein Trauma, die meisten haben aber wahrscheinlich keine dauerhaften körperlichen Schäden. Aber nehmen wir an, es sind 1 oder 2 Prozent, das wären 100 oder 200, die richtig schwer verletzt wurden und noch Jahre später darunter leiden: Wer kennt die? Wer kümmert sich darum? Ich kenne Orazio Giamblanco und ich kenne Klaus Baltruschat, dem Kay Diesner den Unterarm weggeschossen hat. Dann fallen mir schon gar nicht mehr so viele ein. Und diese anderen, die sind irgendwo, denen hilft keiner, wenn ihnen die Krankenkasse einen Elektrorollstuhl verweigert oder wenn ein Versorgungsamt meint, wenn die Berechnung falsch ist, dann hat das Opfer eben Pech gehabt.

Ich wundere mich, warum ich der einzige Journalist in diesem ganzen Land bin, der in einer Zeitung so eine Studie macht. Also es gab noch Radiojournalisten aus Berlin, die eine längere Zeit Noël Martin begleiteten, der in Großbritannien lebt und seit dem Angriff auf ihn 1996 in Mahlow vom Kopf abwärts gelähmt ist. Aber ansonsten kenne ich keine andere Medienveröffentlichung in Deutschland, die sich über Jahre hinweg mit einem schwerbehinderten Opfer rechter Gewalt beschäftigt. Obwohl man in den meisten Bundesländern Fälle finden würde. Wenn ich sehe, was Orazio Giamblanco und den beiden Frauen alles passiert ist, frage ich mich, wie vielen anderen Leuten das auch passiert ist. Und das hat niemanden interessiert. Das sind dann die Geschichten, bei denen einem wirklich mulmig wird.

Die Geschichte mit Orazio Giamblanco war auf jeden Fall auch eine, die dazu geführt hat, dass ich mich weiter mit dem Thema Rechtsextremismus befasse. Mit jedem Jahr, in dem ich Giamblanco besuche und höre, was ihn alles quält, erkenne ich immer wieder auch die gesellschaftliche Notwendigkeit, so etwas aufzuschreiben und einem größeren Publikum zum Lesen zu geben. Die beiden Frauen machen nichts anderes, als ihn zu pflegen. Sie sind mit ihren Kräften am Ende, physisch, psychisch. Ich frage mich jedes Jahr, wie sie das durchhalten. Sie kriegen Hilfe, aber das ist im Grunde zu wenig. Ich denke, dass an so einer Geschichte wenigstens ein paar Leser begreifen, welche Dimension rechtsextreme Gewalt über die Schlagzeilen hinaus hat, wie lange sie weiter wirkt. Das betrifft auch den Täter im Fall Giamblanco. Er hat sich vor mehreren Jahren aus der Szene gelöst, er bereut und hat eingesehen, was er da verbrochen hat. Den rufe ich jedes Jahr an oder treffe mich mit ihm. Das ist auch schrecklich. Das sind so Sachen, bei denen man denkt, das muss man weiter machen. Denn wenn man damit aufhört, dann macht es kein anderer mehr.