Theda
Giencke

Rechtsanwältin
Nebenklagevertreterin

Theda Giencke

Rechtsanwältin, Nebenklagevertreterin

Theda Giencke ist Rechtsanwältin und war die Nebenklagevertreterin von Issaka K., der in der Nacht mit Farid Guendoul in die Hugo-Jentsch-Straße 14 flüchten musste.

Wie hast Du vom Tod Farid Guendouls erfahren?

Darüber habe ich seit Deiner Interviewanfrage länger nachgedacht und tatsächlich weiß ich es nicht mehr genau. Ich meine aber, es war aus der Zeitung.

Und erinnerst Du Dich daran, wie und wann Du dann dazu gekommen bist, das Mandat von Issaka K. zu übernehmen?

Ich bin direkt von einer der anderen Nebenklagevertreterinnen, von Undine Weyers oder von Christina Clemm, gefragt worden, ob ich ein Mandat für einen der Nebenkläger übernehmen kann. Denn es ist günstiger, mit vielen Nebenklagevertretern aufzutreten, damit die Betroffenen unterschiedlich vertreten sein können. Ich bin erst ein paar Tage vor Verfahrensbeginn dazugekommen. Das hatte sich so weit überschnitten, dass ich zur Eröffnung noch gar nicht beigeordnet war. Am ersten Verhandlungstag war ich sozusagen überraschend und noch ohne Zusage des Gerichts da. Das war ein bisschen schwierig am Anfang.

Wie hast Du das Verfahren in Erinnerung behalten?

Also für mich war es ein sehr besonderes und sehr bedeutsames Verfahren, weil es mein erstes langes Verfahren vor einer Großen Kammer in einer Strafsache war. Ich habe meine Zulassung seit 1998, das Verfahren begann Mitte 1999. Es war aber auch vom Umfang her auf jeden Fall sehr außergewöhnlich; so hatte ich es seitdem nicht mehr. Und es war besonders, weil es so viele Beteiligte gab und es sehr kontrovers zuging. Ich habe es so in Erinnerung, dass der Richter, man könnte im Nachhinein vielleicht sagen, versucht hat, alles harmonisch und still über die Bühne zu bekommen. Das hat aber leider dazu geführt, dass er viele der Probleme und vor allem der Motive nicht hören wollte. Es war also schwierig zu verdeutlichen, dass es nicht um einen jugendtypischen Krawall ging, sondern dass es sehr gezielt und sehr motiviert auf die drei Asylbewerber ging, die aus letztlich ausgedachten Gründen von den Tätern verfolgt und angegriffen wurden. Abgesehen von meiner persönlichen Situation fand ich es auch sehr besonders, weil sozusagen die ganze Klaviatur der Strafprozessordnung gespielt wurde. Dies ging los mit dem Antrag auf Zulassung meiner Vertretung der Nebenklage, bei dem schon Streit in der Frage bestand, ob der Vorsitzende sie zulassen oder nur erlauben muss. Es ging weiter mit Übernahme der Kosten eines Dolmetschers, mit Befangenheitsanträgen, mit Rügen, also im Grunde mit allem, was die Strafprozessordnung zulässt.

Aus juristischer Sicht fand ich zudem sehr schön, dass es vom BGH schließlich eine Aufhebung beziehungsweise eine Änderung des Urteils gab, die jetzt im Kommentar zur Strafprozessordnung unter dem Stichwort 'Gubener Hetzjagd' steht. Das bedeutete ja dann, dass es sich nicht um eine fahrlässige Tötung handelte, sondern eben bereits der Versuch der Körperverletzung als ausreichend angesehen wurde, um die Erfolgsqualifikation anzuführen. Dieses rechtliche Problem betraf meinen Mandanten nicht so sehr, weil es bei ihm in der Revision eher darum ging, ob es bei der Nötigung bleibt oder es eine versuchte gefährliche Körperverletzung wird. Das hatte das Landgericht ja abgelehnt. Und auch hierin war die Revision erfolgreich. Das alles war für einen Berufsanfang sehr aufbauend.

Schwierig fand ich es, weil ich das Gefühl hatte, mein Mandant versteht das alles so wenig. Ich mag ihn sehr und er war sehr bemüht und interessiert. Aber heute würde ich sagen, er hat versucht, das alles von sich wegzuhalten, also auch die Erinnerung nicht so nahe an sich herankommen zu lassen. Ich glaube, er kam hier in der Kanzlei auch eher vorbei, um zu quatschen, aber mehr über seinen Alltag als darüber, was seine Rolle in dem Verfahren ist. Dazu hatte er, verständlicherweise, keinen guten Zugang. Das war zu nahe. Und es war natürlich so, dass ihm die Aussage vor Gericht sehr schwer fiel. Ich glaube, er wollte gar nichts sagen. Und dann kamen da all die Fragen der Verteidiger, die in dieser Situation vor allem den Punkt von Schuld meines Mandanten thematisieren wollten: Warum ist er Farid Guendoul hinterher gelaufen? Warum ist er mit ihm da eingestiegen? Warum ist er denn nicht verletzt worden? Hätte er Farid Guendoul nicht allein lassen können und sich woanders in Sicherheit bringen? Letztlich bedeutete es vor allem: Wenn er unverletzt durch die Haustür kam, dann hatte Farid Guendoul vielleicht ja doch selbst schuld.

Was bedeutet Nebenklage in so einem Verfahren?

Das ist sehr unterschiedlich. Es gib Mandanten, die wollen, dass der Strafrahmen ausgeschöpft wird und der Angeklagte eine Strafe bekommt, die so hoch wie möglich ist. Das heißt, dass alle Mittel ausgeschöpft werden, um ihn zu bestrafen. Häufig ist es aber so, dass die Geschädigten lediglich Informationen haben wollen. Sie machen eine Anzeige und hören dann monate- oder manchmal jahrelang nichts mehr; dann bekommen sie eine Ladung vom Gericht. Bis sie also wieder mit dem Geschehen konfrontiert werden, hatten sie es vielleicht nicht mehr so präsent oder konnten es erfolgreich verdrängen. Diese Mandanten wollen zum einen wissen, was in der Zwischenzeit da passiert ist und zum anderen, was sie jetzt erwartet. Das häufigste ist meiner Erfahrung nach, dass es den Geschädigten wichtig ist, dass sie gehört werden und dass ihnen geglaubt wird. Das ist natürlich ein Anliegen, das zum Teil ein therapeutischer Ansatz ist und das ein Strafverfahren möglicherweise nicht leisten kann. Ich denke, dass es sehr wichtig ist, dass die Geschädigten mit der Vertretung eine Position und einen Stand in dem Verfahren haben, dass sie nicht übergangen und nicht als Beweismittel behandelt, sondern wahrgenommen werden. Das werden sie eher, wenn sie anwaltlich vertreten sind. Und so war es auch mit Isaaka K., der ja insbesondere den Behörden gegenüber völlig hilflos war. Also wenn man sich die Situation in dieser Nacht noch einmal vor Augen führt: Er wird festgenommen, abgeführt und muss stundenlang in Handschellen gefesselt auf der Polizeiwache sitzen. Da war es natürlich notwendig, dass er das alles für sich einmal anders definieren kann und dass er auch offiziell als Geschädigter wahrgenommen wird, dass er eine Position bekommt und eine Vertretung. Ich habe immer wieder versucht, ihn mit einzubeziehen, also dass er mir sagt, was ich für ihn beantragen soll, was er möchte, was das Ergebnis des Verfahrens sein soll und so weiter.

Hat er das genutzt?

Er hat gesagt, dass er möchte, dass die elf Angeklagten verurteilt werden. Aber er hat als Laie gesagt: Natürlich wollten die mich zusammenschlagen und das ist eine versuchte Körperverletzung, keine Nötigung. Es ging ihm nicht darum, dass er weglaufen musste, sondern darum, dass er Angst hatte, zusammengeschlagen zu werden. Ich denke, es ist dann schon möglich, dieses Anliegen des Mandanten im Verfahren mitzuteilen.

Worin liegt Deiner Meinung nach die Bedeutung eines solchen Verfahrens für die gesellschaftliche Wahrnehmung rassistischer oder rechter Taten?

Das finde ich sehr schwierig. Mein Eindruck ist oft, dass das vermischt wird. Die Sicht, die ein Strafgericht haben muss, wird inzwischen - ich glaube, dass sich das wandelt - sehr stark von der Öffentlichkeit übernommen. Ein Strafgericht muss die Sicht haben: Im Zweifel für den Angeklagten. Es gilt bei psychologischen Sachverständigen und Gutachtern immer zunächst die Annahme, dass die Angabe eines Zeugen oder einer Zeugin nicht stimmt. Nur wenn man diese Annahme irgendwann nicht mehr widerlegen kann, kommt man zu dem Ergebnis: Es stimmt so. Das alles wird sozusagen umgekehrt aufgerollt und bei dem Punkt angefangen: Ich glaube erst einmal gar nichts. Und nur wenn ich für diese These keine Belege mehr finde, kann ich zu dem Ergebnis kommen: Dann stimmt es wohl. Das ist für ein Sachverständigengutachten als Methode anerkannt und das liegt letztlich auch dem Strafverfahren zugrunde. Denn das Gericht muss zunächst davon ausgehen, dass der Angeklagte unschuldig ist.

Das ist aber natürlich für die Öffentlichkeit nicht der Maßstab und er muss es auch nicht sein. Er ist es erst recht nicht für die Geschädigten. Daher ist es schwierig, wenn die Geschädigten das Gefühl bekommen, dass ihnen erst einmal mit Unglauben entgegengetreten wird und sie die Nachweise bringen müssen, dass es wirklich so passiert ist, wie sie es erzählen. Bei einem Strafverfahren halte ich das für richtig, dieses Vorgehen ist das grundlegende Recht des Angeklagten, ansonsten würde ja die Prozessordnung auf den Kopf gestellt werden. Für die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit halte ich das dagegen für sehr schwierig, weil dies dann ein Grundmisstrauen gegen den oder die Geschädigten einschließt. Dies erlebe ich häufiger, wenn es um Sexualstraftaten geht oder wenn die Geschädigten einer Minderheit entstammen.

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