Theda
Giencke

Rechtsanwältin
Nebenklagevertreterin

Theda Giencke

Rechtsanwältin, Nebenklagevertreterin

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Es gab ja eine Öffentlichkeit in Guben, die glauben wollte, dass die Angeklagten nichts gemacht haben, und es gab eine Öffentlichkeit bundesweit, die ihnen eine große Schuld und Verantwortung zugeschrieben hat.

Ja, das stimmt. Wobei Guben ja den Ruf der Stadt insgesamt in den Dreck gezogen sah. Wahrscheinlich war das so eine Verteidigungshaltung; ein Verbünden gegenüber der Außenwelt, die ein rechtes Nest in Guben vermutet hat. Ich finde weder das eine noch das andere richtig. Also es ist natürlich nicht richtig, einen Sachverhalt ungeprüft als wahr zu unterstellen, den man aus einer Zeitungsmeldung erfahren hat. Aber es ist abwegig, eine Motivation außer acht zu lassen, besonders wenn sie so sehr auf der Hand liegt wie in Guben. Auffallend ist, dass das bei Straftaten aus dem rechten Milieu immer wieder auftaucht; also das versucht wird, das als 'Ausrutscher' oder 'Jugendkrawall' darzustellen.

Hat sich das in den letzten Jahren nicht verändert?

Nein, das denke ich nicht. Verändert hat sich, dass es mehr Initiativen gibt und mehr Städte und Gemeinden, die versuchen, das Problem wahrzunehmen und dagegen vorzugehen. Aber die Behörden, und insbesondere die Ermittlungsbehörden, haben da noch einen beachtlichen Aufholbedarf.

Wie hast Du Guben wahrgenommen, die Stadt und ihren Umgang mit der Tat?

Ich bin einmal hingefahren, um mir den Tatort und die Gegend anzugucken. Die Stadt habe ich nicht weiter erkundet. Es gab ja zudem auch einen Ortstermin mit dem Gericht. Ich fand aber ganz interessant, dass es immer Zuschauer aus Guben im Gerichtssaal gab. Also Leute, von denen ich nicht unbedingt sagen würde, dass das Angehörige der Angeklagten waren. Es waren eher normale Bürger, die offensichtlich ein Interesse hatten, die Verhandlung zu verfolgen. Das fand und finde ich positiv. Auf der anderen Seite ist Guben für mich sehr belastet, vor allem dadurch, dass aus meiner Sicht die Angeklagten so einen Rückhalt gefunden haben. Da gab es ja zumindest in dem Tatzeitraum die Unterstützung der Polizei und dann geschah dies aber auch in Äußerungen von Anwohnern, die man in der Presse gefunden hat.

Das Verhalten der Polizei in dieser Nacht ist ja insgesamt gesehen untergegangen.

Das ist natürlich immer schwer. Es geht in so einem Verfahren ja um die Angeklagten. Es mag sein, dass es durch das Verhalten der Polizei schlimmer wurde für die Geschädigten und es ihnen im Nachhinein noch einmal Schwierigkeiten brachte. Aber das ist ein eigenes Thema. Außerdem entlastet es die Angeklagten ja nicht. In keiner Weise. Es belastet sie aber auch nicht. Es hat ihnen ihr Handeln in dieser Nacht zwar leichter gemacht, aber trotzdem ist es ja ihre eigene Tat.

Aber genau das ist leider nicht passiert; dass man aus dem Verhalten der Polizei ein eigenes Thema gemacht hat. Gerade wenn man sich das einmal in der Summe ansieht: Von dem Umgang mit den Tätern in dieser Nacht bis dahin, dass Issaka K. stundenlang gefesselt auf der Wache saß.

Das sind aber auch die Sachen, an die man am schwierigsten rankommt; die Behördenstrukturen zu verändern und da ein Bewusstsein oder eine Aufmerksamkeit zu erreichen. Die können ja nicht gut Fehler eingestehen und sich hinstellen und sagen: 'Stimmt, das haben wir falsch gemacht.' Dann gäbe es Amtshaftungsansprüche und ähnliches. Da haben sie viel zu große Sorge vor der Verantwortungsübernahme.

Wie sollte man Deiner Meinung nach an so eine Tat erinnern?

Ich fand das Gedenken anlässlich des 10. Todestages schön. Das war ja so etwas wie eine Mahnwache. Aber das hatte von hier aus Berlin gesehen viel zu wenig Aufmerksamkeit; es ist untergegangen. Wenn ich jetzt für meinen Mandanten spreche, dann ist es nicht schön, daran zu erinnern. Er möchte das nicht. Ich hatte damals Kontakt zu ihm aufgenommen und er war ablehnend. Das ist für mich dann tatsächlich auch ein schwieriger Schritt, also die Frage, ob ich ihn überhaupt anspreche. Weil ich dann ja diejenige bin, die die Erinnerungen wieder hervorholt. Und da war er damals ganz klar: Das geht nicht.

Ich finde, damit muss man respektvoll umgehen. Sonst gehen wir über die Köpfe der Geschädigten hinweg. Vielleicht instrumentalisieren wir sie ja auch viel zu sehr, wenn es uns darum geht, die Erinnerung an ein Ereignis dafür zu nutzen, politisch aufzurütteln. Das finde ich nicht so einfach. Ich könnte mir vorstellen, so einen Tag als Anlass zu nehmen, um woanders eine Aktion zu machen, also etwas weiter entfernt und an einem Ort, an dem die Erinnerung nicht ganz so präsent ist. Ich finde, es sollte nicht außer acht sein, dass die Geschädigten ein Recht haben müssen, das, was ihnen passiert ist, zu vergessen.

Es ist für Guben natürlich etwas besonderes, weil es zwei direkt Betroffene gibt, die jetzt noch hier leben, die so etwas dann mitbekommen. Wenn es in dem Sinne keinen Betroffenen gibt, bei dem unmittelbar die Erinnerung wachgerufen wird, dann kann man damit auch leichter umgehen und so einen Tag für eigene politische Zwecke nutzen. Letztlich ist es ja auch so: Für Issaka steht nicht dahinter, dass es ein politischer Zusammenhang ist, der sich in Deutschland nach der Wende sehr akut gezeigt hat. Für ihn ist es ein Ereignis, das ihn traumatisiert hat. Für ihn spielt letztlich auch die Motivation keine Rolle. Es wäre nicht passiert, wenn er nicht schwarz wäre, aber das ist für ihn natürlich nicht relevant. Vor diesem Hintergrund finde ich es schwierig, die Betroffenen in die politische Arbeit eines Erinnern oder Mahnens einzubeziehen. Das kann man sicher nicht pauschal sagen, denn es gibt bestimmt auch Betroffene, für die das wichtig ist. Aber ich finde, jemand wie Issaka muss das Recht haben, dass er für sich definiert und auch bestimmt, ob er sich erinnert oder ob er es vergisst.

Was hättest Du Dir gewünscht?

Ich hätte mir zu dem Urteil Auflagen gewünscht. Man weiß natürlich nie, ob die tatsächlich wirken und irgendeinen Effekt haben. Aber ich finde eine Haftstrafe nicht ausreichend und kein adäquates Mittel, um Einfluss auf eine politische Haltung zu haben. Im Gegenteil; ich glaube, dass in Haftanstalten sehr viele faschistische Strukturen herrschen oder weitergegeben werden. Ich glaube, dass man längerfristig mit Auflagen etwas erreichen könnte. Aber hier war ja das Gegenteil der Fall: Die Täter sind sehr milde bestraft, wenn nicht sogar freigesprochen worden für Teile der Anklage. Das ist ein Signal in die falsche Richtung.