Rassistische
Gewalt
vor Gericht

Gespräche
über den Fall
Guben

Rassistische Gewalt vor Gericht

Gespräche über den Fall Guben

Vorwort

Vom 3. Juni 1999 bis zum 13. November 2000 verhandelte das Landgericht Cottbus gegen elf Jugendliche aus dem brandenburgischen Guben. Sie hatten in ihrer Heimatstadt am frühen Morgen des 13. Februar 1999 zwei Männer aus Algerien und einen Mann aus Sierra Leone verfolgt und angegriffen. Khaled B. wurde physisch attackiert, bis er das Bewusstsein verlor. Farid Guendoul und Issaka K. versuchten, den Angreifern zu entkommen und in einem Wohnhaus Schutz zu finden. Eine eingetretene Glasscheibe zerschnitt dabei eine Arterie in Farid Guendouls Bein. Er verblutete im Treppenhaus.

Einige der Täter waren in der rechtsextremen Szene aktiv, einige wegen extremer Gewalttätigkeiten bekannt. In jener Nacht waren sie auf der Jagd nach Ausländern. Sie suchten Auseinandersetzungen in einer Diskothek, warfen Fensterscheiben eines Asia-Shops und eines vietnamesischen Restaurants ein, bedrohten auf der Straße einen dunkelhäutigen Deutschen und seine Begleiterin. Auf der Suche "nach einem Schwarzen" verfolgten sie am Ende sogar die Polizei, die Issaka K. zwischenzeitlich in Gewahrsam genommen hatte, und versuchten, in die Polizeiwache einzudringen. (weitere Informationen zur Tatnacht)

Nach 17 Monaten Prozess verurteilte das Landgericht acht der Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Zwei Nebenkläger sowie zehn der Angeklagten gingen in Revision. In der Verhandlung änderte der Bundesgerichtshof (BGH) am 9. Oktober 2002 die Bewertung abschließend in versuchte Körperverletzung mit Todesfolge.

Warum greifen wir 15 Jahre nach der Tat dieses Gerichtsverfahren noch einmal auf?

Das Gerichtsverfahren um den Tod von Farid Guendoul war überregional in Medien und Politik stark diskutiert. Die lange Verfahrensdauer, Verzögerungen durch Angeklagte und ihre Verteidiger sowie Äußerungen, die den rassistischen Hintergrund der Tat negierten, zogen Kritik nach sich. An das Verfahren wurden daneben Gerechtigkeitserwartungen gestellt, artikuliert zumeist als Forderung nach höheren Strafen. Die beteiligten Juristinnen und Juristen in ihren funktionalen Rollen agierten auf einer öffentlichen Bühne. Die Differenz zwischen rechtsstaatlichem Verfahren und Erwartungshaltung ließ für Teile der Öffentlichkeit die Frage offen, inwieweit ein Gerichtsverfahren eine tödliche, rassistisch motivierte Gewalttat aufarbeiten kann.

Zugleich war das Gerichtsverfahren der Ort, an dem die Tat im Detail rekonstruiert wurde. Minutiös wurden die Abläufe der Tatnacht, die individuellen Beteiligungen der Täter und ihre Verantwortlichkeit dargestellt. Diese Aufklärung wurde in der lokalen Gubener Öffentlichkeit jedoch kaum wahrgenommen. Das Verfahren ist insofern als ein Gegenpol zu lokalen Diskursen zu verstehen, in denen die Tat als Unfall gilt und die Täter von ihrer Verantwortung "freigesprochen" werden.

Gespräche über den Fall Guben

Man kann den "Fall Guben" über das konkrete Verfahren und die Urteile hinaus als Beispiel dafür verstehen, welche Möglichkeiten ein Gerichtsverfahren im Umgang mit rassistisch motivierten Taten hat und welche nicht, welche Wirkungen es erzielen kann, welche Erwartungen von außen an ein Gericht herangetragen werden und welche Erwägungen die Wahrnehmung und das Handeln der Beteiligten prägen. Um solche Fragen außerhalb von vorgefassten Zuschreibungen zu diskutieren, wollten wir mit den "professionell Beteiligten" des Verfahrens ins Gespräch kommen und dabei die verschiedenen prozessualen und beruflichen Perspektiven einbeziehen. Welche Erinnerungen haben sie an das Verfahren? Wie bewerten sie es aus der zeitlichen Distanz? Wie sehen sie das Verhältnis von Gerichtsverfahren und Gesellschaft? Wir konnten sechs Interviewpartnerinnen und -partner gewinnen:

Joachim Dönitz war Präsident des Landgerichts Cottbus und leitete als Vorsitzender Richter das Verfahren.

Christian Nordhausen ist Rechtsanwalt und vertrat als Strafverteidiger einen der elf Beschuldigten.

Christina Clemm ist Rechtsanwältin und vertrat die Nebenklage von Khaled B., der zu den drei Angegriffenen gehörte.

Theda Giencke ist Rechtsanwältin und war die Nebenklagevertreterin von Issaka K., der in der Nacht mit Farid Guendoul in die Hugo-Jentsch-Straße 14 flüchten musste.

Frank Jansen ist einer der profiliertesten Journalisten zum Thema Rechtsextremismus und berichtete für den Tagesspiegel kontinuierlich vom Prozess und über die Situation in Guben.

Friedrich Burschel ist Journalist, begleitete das Verfahren als Mitglied der Prozessbeobachtungsgruppe und schrieb für das Buch Nur ein Toter mehr... unter anderem über die Verteidiger und das Urteil.

Vertreter der Staatsanwaltschaft Cottbus und des Bundesgerichtshofs standen für Interviews nicht zur Verfügung.

Über uns

Wir, die Redaktion dieser Seite, haben das Verfahren 1999/2000 ebenfalls direkt und umfangreich verfolgt. Seit 1998 hatten wir in Südbrandenburg die Anlaufstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt e.V. aufgebaut, eines der ersten Beratungsprojekte dieser Art in Deutschland. Nach dem Tod Farid Guendouls haben wir einige seiner Freunde und Angehörigen begleitet. Zu unserer Arbeit gehörte nicht nur, die Betroffenen in Gerichtsverfahren nicht allein zu lassen, sondern auch, ihr Erleben und ihre Wahrnehmungen einer Öffentlichkeit zu vermitteln. Zusammen mit der Antifa Guben und Aktivisten wie Friedrich Burschel fassten wir 1999 den Entschluss, den Prozess vor dem Landgericht Cottbus zu beobachten und die Entwicklung in Guben mit einer eigenen Öffentlichkeitsarbeit zu thematisieren. 2001 haben wir unsere Erfahrungen mit dem Gerichtsprozess und den politischen Entwicklungen im Buch Nur ein Toter mehr... festgehalten.

Mit dem Projekt RE:GUBEN, das vom 13. Februar 2013 bis zum 13. Februar 2014 läuft, fragen wir nach den Folgen des Todes Farid Guendouls. Wie wurde mit der Tat umgegangen? Wie kann Gedenken gestaltet werden? Wie reagieren Politik und Gesellschaft? Wir verstehen dies als eine Form aktiven Erinnerns. Ein Teil dieser Idee des "wieder Redens" ist, mit zeitlichem Abstand über das Gerichtsverfahren ins Gespräch zu kommen und es zu reflektieren.

Weiterlesen im Teil "Das Gerichtsverfahren" →