Frank
Jansen

Journalist

Frank Jansen

Journalist

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Du warst 2008 wieder in Guben, hast Du Unterschiede festgestellt zu der Zeit 9 Jahre davor?

Leider nicht. Als ich nach 9 Jahren noch einmal hingefahren bin, war es auch vor dem Hintergrund, dass Kommunalwahlen anstanden und Alexander Bode für die NPD kandidierte. Ich war dann wieder in Obersprucke und auffällig war zunächst, wie anders es aussah: Alles war aufgehübscht und ein Teil der Plattenbauten war abgerissen, auch der, in dem Farid Guendoul zu Tode gekommen war. Da gibt es jetzt einen Park mit Kletterfelsen und adrett angelegten Beeten. Es sah alles sehr ordentlich deutsch aus, so dass man den Eindruck hatte, es ist alles befriedet. Aber in den Köpfen war es das überhaupt nicht. Ich habe mit Leuten gesprochen, zum Beispiel in einer Gaststätte und dann in einem Plattenbau direkt neben dem der damaligen Hugo-Jentsch-Straße 14, und der Horror von vor 9 Jahren wiederholte sich: Bis auf eine Frau, eine Medizinerin, die ein Fahrrad schob, hatte niemand Mitleid mit dem Opfer. Es kamen eher Geschichten wie: "Naja, die waren ja hinter unseren Mädchen her." Immer wieder bekam ich zu hören: "Die Ausländer nehmen uns hier die Arbeitsplätze weg." Obwohl die meisten, die ich fragte, Arbeit hatten. Aber immer kannte jemand jemanden, der keine hatte, der zu Hause sitzt und nicht weiß, was er mit seiner Zeit machen soll. Nur diese eine Frau sagte, dass es schrecklich gewesen sei, was dem Algerier passiert ist. Alle anderen reagierten nach dem Motto: selbst schuld. Das war 9 Jahre danach. Obwohl sich in dieser Zeit zivilgesellschaftlich eine Menge getan hatte, in Brandenburg zum Beispiel mit dem Programm Tolerantes Brandenburg. Aber in den Köpfen der Leute hatte sich nichts geändert.

Aber erreicht es sie einfach nicht?

Ich meine, der Süden Brandenburgs war immer schon sehr stark von rechtsextremen Aktivitäten belastet. Und es gibt die Nähe zu Sachsen, wo unter anderem die NPD zweimal hintereinander in den Landtag gekommen ist. Aber es fällt mir schwer, eine monokausale Erklärung zu liefern. Ich glaube, viele Menschen in Obersprucke und in der Region hat diese zivilgesellschaftliche Aufklärung in der Tat offenbar nicht erreicht. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass Guben durch die Wende, durch den wirtschaftlichen Umbruch und durch den enormen Verlust an Bevölkerung sehr gelitten hat. Ich meine, dass in Obersprucke so viele Häuser abgerissen wurden, lag ja nicht daran, dass sie hässlich waren, sondern weil da niemand mehr wohnte. Wenn in so einem Viertel nur die Hälfte der Bewohner übrig bleibt, die Arbeitslosenquote relativ hoch ist und die Leute sich als Verlierer fühlen, ist es nicht verwunderlich, wenn Demagogen in die Köpfe eindringen können. Ich glaube auch, dass da die Stadt, oder besser die, die sich für Demokratie engagierten, zu wenig Kraft hatten, um entgegenzuwirken. Vielleicht hatten sie auch manchmal zu wenige Argumente. Was nützt es, wenn ein Viertel hübsch saniert wird, alles proper aussieht und die Leute trotzdem extrem unzufrieden sind und Angst um ihre Zukunft haben. Das ist keinerlei Rechtfertigung. Aber man muss feststellen, dass sich diese Verbitterung, die ich auch in anderen Plattenbauvierteln erlebte, regelrecht eingefressen in die Bevölkerung hat und da tief drin sitzt. Obwohl man auch sagen muss, dass bei der Kommunalwahl 2008 Bode nicht gewählt wurde. Dass er überhaupt kandidiert hatte, war meines Erachtens auch ein Zeichen für die typische Dreistigkeit der rechten Szene.

Auch dafür, dass ihm seine Tat und die Verurteilung überhaupt nicht geschadet haben. Im Gegenteil.

Das Erstaunliche war bei dieser Recherche 9 Jahre danach, dass sich keiner als Rechter zu erkennen gegeben hat. Viele sagten, dass sie die NPD nicht wählen würden. Und trotzdem war Alltagsrassismus ganz normal.

Ich würde gern noch einmal auf einen Punkt zurückkommen: Du hast gesagt, dass es aus deiner persönlichen Perspektive Mord sei, das Gericht aber aufgrund von Gesetzen et cetera zu einer anderen Einordnung kommen musste. Und da muss man eben feststellen, Farid Guendoul ist nicht angefasst worden, sie haben ihn nicht erschossen und so weiter. Trotzdem kann man so eine Tat anders bezeichnen; ich würde auch sagen, dass sie ihn umgebracht haben. In Guben weigerte man sich, das so zu sehen, dort reagierte man sehr abwartend zum Beispiel in der Diskussion um den Gedenkstein. Man wollte immer erst wissen, was das Gericht sagt. Was könnte aus Deiner Sicht die Rolle von Medien sein, um so ein Gerichtsurteil nicht als die alleinige Einordnung einer solchen Tat stehen zu lassen?

Richter müssen ein Urteil auf der Basis von Gesetzen fällen, sie dürfen sich ja nicht von rein moralischen Überlegungen leiten lassen. Es ist gut, dass der Rechtsstaat so funktioniert. Es geht nicht darum, eine Tat härter zu bewerten, weil sie einen politischen Hintergrund hat oder die Täter politisch motiviert sind. So widerwärtig die Tat auch ist, aber sie muss so bewertet werden wie es im Strafgesetzbuch angezeigt ist. Die Aufgabe von Medien ist aber natürlich, den gesellschaftlichen Kontext zu erklären. Es mag juristisch weniger gravierend bewertet werden, aber trotzdem ist es so: Farid Guendoul wäre nicht in diese Glastür gesprungen, wenn er nicht gejagt worden wäre. Dass er nicht mitbekommen hat, dass die Hetzjagd aufhörte, weil die Rechten aus der Puste waren und sie nicht mehr weiter zu Fuß gejagt haben, kann man ihm nicht vorhalten. Es macht die Sache nicht besser. Dieser Mob hat in Farid Guendoul so viel Panik ausgelöst, diese Jagd hat so viel Panik in ihm ausgelöst, dass es ein klares Verhältnis von Ursache und Wirkung gibt. Wäre er nicht gejagt worden, würde er heute noch leben. So einfach ist das. Es ist die Aufgabe von Medien und Journalisten, das plausibel aufzuzeigen. Und darzustellen, wie dieser Prozess ablief, wie ein Teil der Verteidiger dazu beigetragen hat, dass sich an dem Mangel an Unrechtsbewusstsein bei den Angeklagten nichts änderte, wie Alltagsrassismus wirkt, wie die Stimmung in einem Viertel wie der Obersprucke ist und wie diese dazu beigetragen hat, dass sich Jugendliche berechtigt fühlen, den Vollstrecker zu mimen. Ich denke, es ist die Aufgabe der Medien, die größeren Zusammenhänge darzustellen und sich nicht auf das Juristische zu beschränken.

Gibt es etwas, das Du Dir gewünscht hättest?

Ich hätte mir gewünscht, dass die Demokraten in Guben mehr Kraft gehabt hätten, Zeichen zu setzen. Ich hätte mir gewünscht, dass dieser Alltagsrassismus stärker thematisiert worden wäre, dass von der Landesregierung mehr sichtbares Engagement gekommen wäre, vielleicht auch mit einer nachhaltigen Idee, wie man einer Wiederholungsgefahr begegnen kann. Ich hätte mir auch gewünscht, dass die wenigen, die den Mut hatten, sich um den Gedenkstein zu kümmern, mehr Unterstützung bekommen hätten. Ich meine, ich habe das alles auch woanders erlebt. Aber sich in Guben gegen Rechtsextremismus und Alltagsrassismus zu stellen, erforderte viel Mut. Die wenigen, die es gemacht haben, hatten zu Recht das Gefühl, da ziemlich allein zu sein. Ich hätte mir einfach gewünscht, um es einmal platt zu formulieren, dass da einfach mal ein paar Leute zum Nachdenken gekommen wären. Wenn 9 Jahre nach der Hetzjagd bei so einer Miniumfrage des Tagesspiegels bis auf eine Frau niemand Mitleid mit dem Opfer hat, dann wünsche ich mir dringend, dass da etwas passiert. Dass die örtliche Politik und all diejenigen, die sich um ein demokratisches Miteinander bemühen, also Kirchen, Verbände, Gewerkschaften, vielleicht Unternehmen, gemeinsam etwas bewegen, um all dem entgegenzuwirken.

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