Frank
Jansen

Journalist

Frank Jansen

Journalist

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Im Unterschied zu diesem Prozess, wo die Umstände der Tat und der Ablauf vergleichsweise klar waren, scheint das NSU-Verfahren auch eine höhere Bedeutung für eine Aufklärung dessen zu haben, was da eigentlich passiert ist.

Dieses Verfahren ist in seinen Dimensionen in der Justizgeschichte seit der Wiedervereinigung einmalig. Der Prozess ist jetzt seit einem halben Jahr im Gange. Und bereits jetzt ist auf schmerzhafte Weise zu erkennen, was alles passiert ist, was bei den Ermittlungen falsch gelaufen ist, wie die Opfer beziehungsweise die Angehörigen der Mordopfer traktiert worden sind in den Ermittlungen, wie die Polizei und die Staatsanwaltschaften stur an ihren Theorien festhielten, dass es einen Hintergrund im Bereich der organisierten Kriminalität geben müsste, dass die Opfer in dunkle Machenschaften verstrickt und in sofern nicht unschuldig an ihrem eigenen Tod gewesen wären et cetera. Obwohl sich überhaupt keine Anzeichen dafür gefunden haben. Dass man einer Theorie nachgeht, ist ja legitim, dass man sich das persönliche Umfeld des Opfers ansieht, auch. Schließlich werden 80 Prozent aller Morde aus persönlichen Motiven heraus begangen. Aber wenn man dann dafür keine Anhaltspunkte findet und wenn klar ist, dass es sich um eine Serie handelt, weil jeweils die gleiche Waffe benutzt wurde, während es zwischen den einzelnen Mordopfern überhaupt keinen Zusammenhang gibt, dann muss man sich doch intensiv fragen, ob es nicht einen anderen Hintergrund geben könnte, beispielsweise einen rassistischen. Die Frage ist zwar in der Polizei gestellt worden, es wurde nur nie so intensiv thematisiert oder bei den Ermittlungen hervorgehoben, wie das mit den anderen abgegriffenen, abgedroschenen und in die Irre führenden Theorien der Fall war. Das ist komplett unverständlich.

Der Prozess ist nun aber kein Untersuchungsausschuss, sondern soll die Schuld oder Unschuld der Angeklagten feststellen. Allerdings wird auf schmerzhafte Weise deutlich, wie die Angehörigen, die als Zeugen aussagen, gelitten haben. Und nicht nur sie, sondern auch andere, die von dem Terror betroffen waren. Beispielsweise der Geschäftspartner des in München erschossenen Griechen Theodorous Boulgarides. Die beiden hatten zwei Wochen vor der Tat gemeinsam einen Schlüsseldienst aufgemacht, dann ist Boulgarides in dem Lokal erschossen worden und der Geschäftspartner fand ihn tot in der Blutlache. Das für sich ist schon grauenhaft und dieser Mann ist gebrochen. In seiner Zeugenaussage erzählte er, dass er den Schlüsseldienst aufgegeben und seine langjährige Freundin verloren hat. Die Polizei vernahm ihn x-mal dazu, ob Boulgarides sexsüchtig oder spielsüchtig war. Da fragt man sich schon, in welcher Weise bei einem Teil der Ermittler Vorurteilsstrukturen doch so stark verankert sind, dass die dann einfach blind agieren. Und dass sie in ihrer Blindheit, gepaart mit einem enormen Aufwand und auf eine unbegreifliche Weise über Monate, wenn nicht Jahre hinweg die Angehörigen gequält haben, das ist einfach unerträglich.

Mit jedem Prozesstag zeigt sich zumindest aber auch indirekt immer stärker, wie die Gesellschaft an sich versagt hat und wie wir Medien versagt haben. Diese Morde sind ja thematisiert worden, bevor der NSU aufflog, aber immer in eine Richtung, die von den Sicherheitsbehörden vorgegeben war. Es hat nie jemand im großen Stil mal die Frage gestellt, ob es rassistische Morde sind. Das betrifft auch mich selbst: Wir haben einfach diese Frage nicht gestellt.

Ich würde das noch weiter fassen: Keine zivilgesellschaftliche Gruppe, keine antirassistische Gruppe, keine Antifa, niemand hat diese Frage gestellt. Auch aus diesem Umfeld hat keiner auf die Angehörigen reagiert, die zum Teil ja erkannt haben, dass es einen rechten Hintergrund gibt.

Das ist schrecklich. Aber wir waren nicht besser. Ich recherchiere mit Heike Kleffner seit 2000 die Liste mit Todesopfern rechter Gewalt und wir haben uns zig Fälle angeschaut und bei jedem extrem kritisch untersucht, wie staatliche Behörden die Tat bewertet haben. Und bei diesen neun Morden haben wir das einfach gelassen, haben autoritätsgläubig hingenommen, was die Behörden vorbeteten. Das war ja immer vage, es gab nie einen Tatverdächtigen. Bei den anderen Fällen guckt man super kritisch hin und bei dieser Geschichte ließ man alle Kritik fahren. Das ist etwas, das ich, auch vom journalistischen Ansatz her, nicht verstehe, wieso die ganze Professionalität weg war. Ich habe dafür bis heute keine Erklärung. Ich bin mit Heike von einem Fernsehmagazin interviewt worden, das uns fragte, ob vielleicht auch rassistische Vorurteilsstrukturen bei uns eine Rolle gespielt haben. Ich wies das empört zurück, schließlich hatten wir uns so viele Fälle auch von Tötungsverbrechen an Migranten angesehen. Heike dagegen hat es nicht ausgeschlossen. Ich weiß es nicht. Ich meine, es ist natürlich richtig, wenn 9 Juden ermordet wären oder 9 Linke, dann hätte man die Frage gestellt, ob die Täter Nazis waren. Und bei 8 Türken und einem Griechen haben wir es nicht getan.

Ich denke, hinzu kommt, dass die Taten nicht dem Muster entsprachen, das wir aus diesem Bereich kennen. Damit möchte ich nicht entschuldigen, dass wir das nicht gesehen haben. Aber die rassistischen Morde, die wir bis zu dem Zeitpunkt kannten, sind alle anders verlaufen.

Das stimmt natürlich. Wir kannten bis dahin keine solche Mordserie mit rechtsextremistischem Hintergrund. Ich kenne hunderte Verfahren und Geschichten, bei denen mit roher und stumpfer Gewalt Opfer verprügelt wurden, zum Teil bis sie tot waren. Da gab es den direkten Angriff, die Täter waren oft angetrunken, hatten sich mit rechtsextremer Hassmusik aufgepeitscht et cetera. Aber so eine Mordserie hat man der rechtsextremen Szene nicht zugetraut. Obwohl es andererseits in der Bundesrepublik rechtsextremistischen Terror bereits gegeben hatte, 1980 den Oktoberfestanschlag mit 13 Toten oder 2003 diesen Versuch der Wiese-Gruppe, das Jüdische Gemeindezentrum in München anzugreifen. Ich selbst habe das alles immer wieder thematisiert, unter anderem weil ich Ende der 1990er Jahre mitbekam, wie es Versuche in der Berliner Szene gab, sich zu bewaffnen. Darüber, dass Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe 1998 untertauchten, habe ich geschrieben und mich bei Fernsehinterviews und so weiter geäußert. Ich habe noch im November 2010 bei einem Hintergrundgespräch im Thüringer Innenministerium danach gefragt, was mit ihnen ist. Dass sie ein Jahr später so auffliegen würden, war natürlich jenseits meiner Vorstellungskraft. Aber unabhängig davon: Wenn neun Migranten mit derselben Waffe ermordet werden, dann ist klar, dass derjenige, der das macht, damit eine demonstrative Absicht verfolgt. Es kann keine organisierte Kriminalität mehr sein, weil ein Profikiller die Waffe nach einem Mord verschwinden lässt, um nicht entdeckt zu werden. Und zwischen den einzelnen Opfern gab es wie gesagt keine Verbindung. Aber wir haben uns diese Fragen einfach nicht gestellt. Wir haben einfach, ohne dass ich es erklären kann, den Verstand ausgeschaltet. Es hätte ja schon gereicht, das einmal zu thematisieren. Aber nicht einmal das ist passiert. Ich habe das schon mehrmals auch öffentlich gesagt: Das ist ein Tiefpunkt in meiner journalistischen Laufbahn. Es entwertet nicht die Arbeit, die ich sonst mache, aber es ist definitiv ein Tiefpunkt.

Ich habe mich auch intensiv mit dem Fall NSU beschäftigt, weil ich finde, dass sich alles auf das Versagen der Behörden konzentriert. Hinsichtlich des Verfassungsschutzes und der Ermittlungsbehörden ist das natürlich klar und soll nicht in Frage gestellt werden; es ist auch richtig, dass das aufgeklärt werden muss. Aber all das andere, was da auch eine Rolle gespielt hat, gerät aus dem Blick. Und ich denke, man macht es sich da sehr einfach, wenn man nur das Versagen und die Rolle des Verfassungsschutzes benennt.

Es ist richtig, dass da eine Menge schief gelaufen ist. Und das Versagen ging weit über den Verfassungsschutz hinaus. Was mich an der gesellschaftlichen Reaktion befremdet, ist, dass sie so flau ausgefallen ist. Der öffentliche Aufschrei fand nur in Politik und Medien statt, nicht auf der Straße. Es gab keine Demonstration mit 200.000 Menschen am Brandenburger Tor wie im Jahr 2000 beim Aufstand der Anständigen. Trotz der schlimmsten rechtsextremen Terrorserie seit der Wiedervereinigung. Da kann man sich auch hier fragen, wie weit verbreitet der Mangel an Empathie ist: Es waren eben "nur" ein paar Türken, ein Grieche und eine Polizistin. Es ist unbegreiflich. Und es ist auch einfach unbegreiflich, wenn diejenigen, die sich seit Jahren mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandersetzen, es nicht gesehen haben oder nicht auf die Idee kamen, Fragen zu stellen. Nicht einmal diejenigen, die sich mit den Opfern beschäftigen, also nicht nur Heike oder ich, sondern auch die Opferberatungsstellen. Da wird ein Türke nach dem anderen abgeschossen und alle gehen davon aus, dass es schon etwas dunkles, diffuses sein wird. Das begreife ich nicht. Bei anderen Morden an Migranten oder an Obdachlosen und Punks war dieser Verdacht immer da, automatisch und oft auch begründet.

Oder wenn ein Haus brennt, in dem Ausländer wohnen, da ist es das erste, woran man denkt.

Solingen, Mölln. Aber man hat der rechtsextremen Szene diese Professionalität nicht zugetraut.

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