Erinnerung ist ein Kampf. Es ist ein entscheidender Kampf um die Deutung eines Ereignisses. Wenn es um die rassistischen Gewaltverbrechen in Deutschland geht, sind Erinnern und Gedenken auch eine Rückforderung, ein Eintreten wenigstens für die Achtung der Würde und Unversehrtheit der Getöteten, wenn dieser Kampf denn zu Lebzeiten schon verloren gegeben werden musste. Sie sind der Versuch, dieses Leben und diesen Tod zurückzufordern, anzuerkennen und aus den Klauen der Missachtung zu befreien. Weiterlesen
Kategorie-Archiv: Kommentar
Warum Guben?
Ich werde den Tag im März 1999 nicht vergessen, als die Tür zum in der Unordnung eines halben Dutzends eng zusammenstehender Schreibtische und im Chaos unbesiegbarer Papierberge und Zeitungsschnipsel dämmernden Büro der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration e.V. im Berliner Mehringhof sich öffnete und drei junge Leute eintraten. Sie gehörten sichtlich zu jenem Schlag Ostdeutscher, die in den Opferbilanzen der „Nachwendezeit“ gerne als „alternative Jugendliche“ bezeichnet werden. Die junge Frau hatte einen gigantischen Wust rotgefärbter Dreadlocks mit einem Band am Rande des Reißens auf den Rücken gebändigt, die beiden Männer sahen handfest und fast etwas ledrig aus. Weiterlesen
Warum Guben?
Der 13. Februar 1999
war ein kalter Wintertag. Ich stand morgens auf dem Hermannplatz in Berlin, als mich ein Freund aus Guben anrief und sagte: „Sie haben jemanden abgestochen.“ Ich wusste, wen er mit „sie“ meinte und auch zu welcher Gruppe „jemand“ gehörte. Und ich war nicht überrascht, dass es ausgerechnet in Guben passiert war. Als wir abends in der Stadt ankamen, war es unglaublich still. Vor dem Hauseingang Hugo-Jentsch-Straße lagen Blumen, die Scheibe war zerbrochen, dahinter lag dunkel der Treppenaufgang. Weiterlesen
Warum Guben?
In keiner anderen Stadt habe ich mehr Lebensjahre verbracht als in Guben. Auch wenn ich zuversichtlich bin, dass sich dieser Fakt in den nächsten Jahren unwiderruflich ändern wird, so bleibe ich doch mit diesem Ort verbunden. Eine meiner präsentesten Erinnerungen ist eine Party in den ehemaligen Fabrikhallen der Gubener Wolle. Das war um die Jahrtausendwende. Ich wohnte schon nicht mehr in Guben und hatte wenige Tage davor zufällig davon erfahren. Zwei DJ-Größen aus Berlin sollten auflegen und ich war etwas irritiert, wie es passieren konnte, dass sie es ausgerechnet nach Guben schafften. Egal. Ich fuhr hin. Weiterlesen
Warum Guben?
Die Frage lässt sich nicht nur unterschiedlich beantworten, sondern schon auf verschiedene Weise stellen. Rhetorischer Art ist etwa die vorwurfsvolle, genervte Variante: „Warum denn schon wieder Guben!? Warum immer wieder die alten Geschichten und diese Nazis!?“ Die unerwünschte Antwort ist einfach: Weil die Frage so gestellt wird. Weiterlesen
RE:GUBEN. Oder was bisher geschah
In den Morgenstunden des 13. Februars 1999 starb in Guben der 28-jährige algerische Flüchtling Farid Guendoul in einem Hauseingang, nachdem er und seine beiden Freunde – Issaka K. aus Sierra Leone und Khaled B., ebenfalls aus Algerien – von einer Meute rechter Jugendlicher gejagt worden waren. Im Vergleich zu den meisten anderen rassistisch oder rechtsmotivierten Gewalttaten war der Tod von Farid Guendoul über Monate ein Thema in der medialen Öffentlichkeit – mit großer Empathie für das/die Opfer. Kein Verständnis indes fanden die Reaktionen der Stadt und der Region; die handelnden Akteur/innen (Angeklagte, Verteidiger, Staatsanwaltschaft und Richter) in dem 17-monatigen Verfahren vor dem Landgericht Cottbus und das erstinstanzliche Urteil; die andauernden Übergriffe auf Nichtrechte, Ausländer/innen und den kurz nach der Tat bereits gesetzten Gedenkstein im Stadtteil Obersprucke: Das Geschehen blieb bis Ende 2000 medial ungewöhnlich präsent. Derweil schienen es die Einwohner/innen und die politisch Verantwortlichen der Stadt und der nahen Umgebung darauf angelegt zu haben, die allgemeinen Vorurteile über die ostdeutsche Provinz zu bestätigen: eine grundsätzliche Abwehr dem Thema gegenüber, die Weigerung, sich mit den rechtsextremen und rassistischen Potenzialen in der eigenen Bevölkerung zu befassen, eine Verkehrung der Täter-Opfer-Verhältnisse in der Tatnacht, Schuldzuweisungen an die Opfer, die Presse, die Antifa und „Auswärtige“ allgemein, kurzum, eine „Wagenburgmentalität“ machte sich breit, in der alles, was von „außen“ kam, als Angriff auf das eigene Gemeinwesen wahrgenommen und abgewehrt wurde. Weiterlesen