In keiner anderen Stadt habe ich mehr Lebensjahre verbracht als in Guben. Auch wenn ich zuversichtlich bin, dass sich dieser Fakt in den nächsten Jahren unwiderruflich ändern wird, so bleibe ich doch mit diesem Ort verbunden. Eine meiner präsentesten Erinnerungen ist eine Party in den ehemaligen Fabrikhallen der Gubener Wolle. Das war um die Jahrtausendwende. Ich wohnte schon nicht mehr in Guben und hatte wenige Tage davor zufällig davon erfahren. Zwei DJ-Größen aus Berlin sollten auflegen und ich war etwas irritiert, wie es passieren konnte, dass sie es ausgerechnet nach Guben schafften. Egal. Ich fuhr hin. Die großen Industrieanlagen an der Neiße standen seit mehr als zehn Jahren leer. Ich habe zum ersten Mal bewusst wahrgenommen, dass es möglich war, dass sich darin größere Menschenmengen aufhielten. Als hier noch produziert wurde, war ich ein Kind. Nachdem man das Eingangstor passiert hatte, stand man auf einem Innenhof. Der Boden uneben. Hier und da ein paar Sträucher und kleine Bäumchen, die in der Ruine zwischen dem Kopfsteinpflaster in den letzten Jahren gewachsen waren. Dazwischen brennende Mülltonnen und junge Menschen, die nicht so aussahen, als ob sie aus Guben kamen. Umgeben von riesigen Mauern türmten sich vierstöckige Backsteinfassaden in die Höhe. Aus einem der Gebäude blitzte farbiges Licht und ein dumpfer Bass verbreitete Spannung. Industrieromantik und Techno, wie man sie besser nicht haben konnte. In Berlin waren zu jenem Zeitpunkt alle spannenden Flächen längst wegsaniert. Ich wagte mich rein. Eine lange hohe Industriehalle, alte Lastenkräne über den Köpfen der tanzenden Menschen, in der Mitte irgendeine riesige Maschine mit großen Zahnrädern. Der ganze Raum war von einer Empore umgeben, die mich an das alte E-Werk in Berlin erinnerte. Die Musik wummerte und hunderte Menschen feierten. Ich bewegte mich nicht in dieser Nacht. War angespannt. Ich hatte das Gefühl, dass alle Menschen aus Guben im Alter zwischen 18 und 30 Jahren in dieser Nacht auf dem Gelände waren. Das hätte bedeutet, dass auch die Täter der Nacht vom 13. Februar 1999 da wären. Ich kannte ihre Gesichter, wusste wie ihre Stimmen klangen und hatte eine Ahnung davon, wie sie sich bewegten. Ich habe sie gesucht. Ohne zu wissen, was ich anstellen würde, wenn mir einer von ihnen gegenüber stände. Einfach zuschlagen? Vorher noch was sagen? Verfolgen und draußen zuschlagen? Ich habe niemanden von ihnen dort gesehen. Wahrscheinlich waren sie nicht da. Ich habe Guben wieder verlassen. Unzufrieden. Die Industriegebäude der Gubener Wolle sind heute abgerissen. Feiern gehe ich woanders.
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