Friedrich
Burschel

Prozessbeobachter

Friedrich Burschel

Prozessbeobachter

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Aber was ist die Rolle einer unabhängigen Prozessbeobachtung bei einem solchen Verfahren, neben dem, was zum Beispiel Medien machen.

Unsere Aufgabe kann es eigentlich nur sein, ein Minderheitenvotum, einen Minority Report abzugeben. Und zu sagen: Man kann es auch anders sehen. Es kann sein, dass ihr uns als linke Spinner bezeichnet, aber wir sehen da etwas anderes, wir haben da etwas anderes gehört, wir beobachten da etwas anderes, wir haben etwas anderes recherchiert als die Polizei. Weil die es zum Beispiel gar nicht so recherchieren kann, weil sie voreingenommen ist, was das Thema Nazis angeht und daher bestimmte Dinge nicht sehen kann. Heute weiß man durch den NSU-Prozess, der einen einsamen Kulminationspunkt an behördlichem Rassismus aufzeigt, wie weit das geht. Zu der Zeit des Guben-Verfahrens kam zu dem latenten oder dem manifesten Rassismus bei Polizeibeamten noch eine totale Überforderung: Das waren entweder junge Westbeamte, die dahin geschickt worden sind, BGSler zum Teil, oder es waren ehemalige Volkspolizisten, die komplett unsicher in diesem neuen System waren, in dem sie sich zurecht finden mussten. Dazu kam, auch das nicht nur in Guben, dass sie die Täter persönlich kannten oder die Eltern, oder dass einige der Eltern selbst Polizeibeamte waren und so weiter. Es hat Voreingenommenheit gegeben, eine Sympathie für die und ihre Wahrnehmung als "unsere Jungs", die eigentlich nichts Böses im Schilde führten und im Suff da reingeraten sind.

Die Rolle ist ja im Grunde vergleichbar mit der von dem Projekt NSU-Watch. Und in dem NSU-Verfahren bin ich in einer ähnlichen Situation wie damals zu Guben: Ich bin nicht kommerziell, das heißt ich bekomme für das, was ich da mache, kein Geld. Wenn ich welches bekomme, fließt es direkt zu NSU-Watch. Insofern sehe ich tatsächlich so eine unabhängige Beobachtung als eine Art Korrektiv des normalen Ablaufs, das heißt ein Blick, der schräg von der Seite reingeworfen wird. Ein Blick auch, der anderes Wissen hat, als Journalisten haben zum Beispiel. Da ist auf unserer Seite ein Insiderwissen, das enorm ist. Ich sehe meine Rolle als die einer kritischen Öffentlichkeit an, vielleicht einfach auch eine etwas schrille Öffentlichkeit, die es sich erlauben kann, mal einen Schritt zurück zu treten und zu fragen: Was machen die eigentlich, die Medienvertreter? Wie fühlt sich das an, unter denen zu sitzen? Was sind das für Leute? Wie verständigen die sich untereinander und was für Wettbewerbe finden da statt? Das ist interessant von außen zu sehen: Man ist drin, gehört aber nicht dazu. Es ist auch so, dass ich auf meiner Gefühlsebene sagen würde, dass ich da nicht dazu gehören will. Ich möchte nicht um einer schmissigen Schlagzeile willen Tatsachen verdrehen. Der dritte Punkt ist vielleicht, und der bezieht sich eher auf das NSU- als auf das Guben-Verfahren: Es gibt noch sehr viele Ebenen: Wir haben die Untersuchungsausschüsse, die Antifarecherchen, die juristische Schiene mit befreundeten Nebenklagevertreterinnen und -vertretern und die Prozesse selbst. Das sind Elemente, die man versuchen muss, zusammenzuführen. Und unsere Rolle ist dann, daraus ein anderes Bild, ein schärferes Bild oder vielleicht ein Bild zu zeichnen, bei dem die Lücken deutlich zu sehen sind und benannt werden, also das, was wir alles nicht wissen. Wenn man sich beim NSU-Prozess anguckt, wie viele Unklarheiten und Ungereimtheiten da noch da sind, alleine was zum Beispiel den Komplex Baden-Württemberg angeht, dann ist es unsere Aufgabe, darauf hinzuarbeiten, dass das geklärt wird. Und natürlich ist es im Gerichtssaal so, dass die Bundesanwaltschaft versucht, genau das rauszugrätschen und zu sagen, dass es hier eine Zelle mit drei Leuten gibt und eine Handvoll Helfer/innen und alles andere, was sonst noch passiert ist, interessiert sie nicht. Ihr geht es allein darum, diese drei Täter zu überführen.

So eine Situation gab es in Guben nicht, da war klar, diese Angeklagten haben diese Hetzjagd veranstaltet. Die Frage war, wie diese zu beurteilen ist. Wir haben damals aktiv Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Ich meine, wenn ich mir heute diese Sachen ansehe, dann denke ich, dass wir es tatsächlich geschafft haben, uns wahrnehmbar zu machen, wir sind eingeladen worden, wir haben Interviews gegeben, in Zeitungen sind unsere Stellungnahmen und Bewertungen gedruckt worden. Am Schluss haben wir noch ein Buch gemacht. Wir waren präsent. Natürlich war es eine marginale Position, die Journalisten deshalb gut fanden, weil dann in ihren Artikeln noch eine andere Stimme kam, außer dem, was Verteidiger, Staatsanwaltschaft und Nebenklage sagten. Aber natürlich müsste man an der Stelle auch sagen, dass niemand vorher den Umgang mit einer rassistischen Mordtat derart intensiv und mit derart unterschiedlichen Aspekten begleitet hat, wie wir es getan haben.

Was ist die Rolle von Gerichtsverfahren in einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung um die konkrete Tat und ihre Bewertung?

Das Gerichtsverfahren ist nur ein Aspekt von vielen. Das hatte ich bezogen auf NSU ja schon gesagt. Meine Kritik am Gericht und an seinem Vorsitzenden Richter Dönitz war unter anderem, dass ich den Eindruck gewann, dass er beziehungsweise seine Kammer nicht wirklich in Rechnung stellten, was es bedeutet, was sie sagen, wenn sie Wertungen vornahmen, Einschätzungen im Zusammenhang mit der Tat abgaben. Da war ihnen nicht klar, wie das in der Öffentlichkeit aufgenommen wird. Denn natürlich spielt ein Gericht in so einem Fall auch eine politische Rolle. Neben der juristischen Wissenschaft der Abläufe, Begriffe, Gesetze hat es diese, weil es quasi die Reaktion des Gemeinwesens auf eine Straftat dokumentiert. Da komme ich zu dieser Ehrenerklärung für Wolfram Nahrath zurück, die ist mir, obwohl es noch andere Punkte gab, die ich zu kritisieren fand, am meisten in Erinnerung geblieben. In einer Situation, in der Nazis absolutes Oberwasser hatten in Deutschland, Jungnazis, die dachten, dass sie im Grunde machen können, was sie wollen, die wussten, wenn sie erwischt werden, dann sind das Bagatellstrafen, zu denen sie verurteilt werden. Die also vor der Polizei und vor der Justiz nichts zu fürchten hatten. Und in dieser Situation, in der rassistische Angriffe auf Nichtdeutsche, als nicht-deutsch wahrgenommene Menschen, auf Linke, Obdachlose und so weiter alltäglich waren, waren diese, wie ich es damals fand, naiven Aussagen über Nahrath verheerend.

Es gibt ja historische Beispiele dafür, in denen das Agieren einer Justiz bewertet worden ist. Da sind diese Bücher von Emil Gumbel, unter anderem "Vier Jahre politischer Mord", wo er in der Weimarer Republik statistisch erfasste, welche Urteile gegen mörderische Rechtsterroristen gefällt wurden, was der Inhalt der Urteile war et cetera. Sein Ergebnis war, dass die Justiz linke und Kommunisten zu Todesstrafen für relativ banale Straftaten verurteilte und gleichzeitig Mörder auf der rechten Seite regelmäßig glimpflich davon kamen, also mit Haftstrafen, aber nicht mit Todesstrafen. Es gab also schon immer diese Frage, welche Rolle die Justiz in einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung hat. Heute ist dies alles vor allem auch dadurch gekennzeichnet, dass sie unter dem Label der Unabhängigkeit, der Unantastbarkeit des Richters steht. Aber dennoch sind diese Richter ja nicht aus der Verantwortung dafür entlassen, was sie tun. Und genau das ist der Streitpunkt. Im NSU-Verfahren sind wir mit derselben Situation konfrontiert: Wer ist dieser Richter Götzl? Welche Rolle spielt er? Wir merken deutlich, wie stark es von ihm und seinem Kollegium abhängt, in welche Richtung das Verfahren geht.

Dazu habe ich eine konkrete Nachfrage: Ist es denn die Aufgabe dieses einen Gerichtsverfahrens all die offenen Fragen einzubeziehen und zu behandeln, die Aufklärungsarbeit zu leisten?

Ich glaube schon. Du hast einen bestimmten Tatkomplex und den kannst du entweder weit auslegen und sagen, dass da jede Menge offene Fragen zu klären sind, oder du sagst, dass das, was die Staatsanwaltschaft auf den Tisch gelegt hat, die Essenz ist, an der du dich abarbeiten willst. Das sind dann die drei Täter mit ihrem Miniumfeld, die müssen überführt werden, um sie zu verurteilen. Das steht alles in der Anklageschrift, in der all die kleinen Hinweise zusammengetragen sind. Ich könnte aber auch sagen, dass es Dutzende von haarsträubenden offenen Fragen gibt, im Zusammenhang mit staatlichen und halbstaatlichen Akteuren innerhalb des ganzen Geschehens und so weiter und diese zu behandeln sind.

Aber warum lade ich diesem einen Gerichtsverfahren, dieser einen Kammer das alles auf?

Das tue ich nicht. Damals bei Guben konnte man auch sagen "Shit happens", der hat halt Angst gehabt. Und wenn er nicht so ein Angsthase gewesen wäre, dann wäre er nicht so panisch weggelaufen und diese ganze Situation nicht entstanden. Oder Du kannst auch sagen, das waren angesoffene Jungrechte ohne ideologische Tiefe. Du kannst das alles komplett anders interpretieren, um daraus eine bedauerliche Tragödie zu machen. Das ist ja auch vielfach geschehen. Das Gericht kann doch nicht dieses gesamte Setting nur anhand dessen begutachten, was sich auf der Straße und in dieser halben Stunde abgespielt hat, als Farid Guendoul sich die tödlichen Verletzungen zuzog. Sondern das Gericht muss sich fragen, in welcher gesellschaftlichen Situation diese jungen Leute agierten, welche Auswirkungen das auf ein Gemeinwesen, auf eine Szene, auf die Gesellschaft hatte. Damit bürde ich dem Gericht nicht auf, eine letztgültige Aufklärung zu bringen. Aber ich fordere, dass sie ihre Rolle innerhalb der Gesellschaft nicht komplett abgekoppelt betrachten.

Aber das ist ja ein Unterschied zwischen dem Guben- und dem NSU-Verfahren. Bei letztgenanntem ist das, was Du als offene Fragen oder haarsträubende Ungereimtheiten bezeichnest, ein viel größerer Komplex. Und die Frage ist wirklich, wie das Gericht es leisten soll, dies alles aufzuklären.

Wir haben beim NSU ja die Untersuchungsausschüsse, die ein politisches Organ sind, ein parlamentarisches. Das heißt, wir haben hier Material, Ermittlungsergebnisse, Erkenntnisse aus sehr vielen unterschiedlichen Bereichen. Ich denke, letzten Endes wird es ein Projekt wie NSU-Watch sein, dass diese Puzzleteile zusammenträgt und versucht, ein einigermaßen stringentes, scharfes und unabhängiges Bild zu zeichnen. Das ist in diesem Fall nicht nur das Gericht. Es sieht danach aus, dass es sich an die von der Bundesanwaltschaft unter der Oberüberschrift "Beschleunigungsgebot" geforderten Maßgaben hält und den Prozess eng an den zu verhandelnden Taten führt, 600 Zeugen befragt und schaut, dass das, was diese fünf Angeklagten betrifft, möglichst schnell zu Ende gebracht wird. Es gäbe die andere Möglichkeit, dass das Gericht zum Beispiel sagt, dass es wissen will, was ein V-Mann-Führer am Tatort in dem Internetcafé in Kassel in genau den Minuten machte, in denen der Mord an Halit Yozgat stattfand. Das Gericht kann das frei entscheiden, denn sowohl die Nebenklagevertreter und -vertreterinnen als auch die Verteidigung besonders von Beate Zschäpe formulieren ein Interesse an dieser Frage, wenn auch aus unterschiedlichen Beweggründen. Denn natürlich wollen sie wissen, wie viel Staat in diesen Taten steckt. Auf der Seite der Angeklagten könnte dies eine Entlastung bedeuten, für die Nebenkläger bestärkt dies deren Recht auf eine "lückenlose Aufklärung", die ja Kanzlerin Merkel versprochen hat. Das Gericht muss irgendwann eine Richtungsentscheidung zwischen diesen Anforderungen und dem systematischen Runterkochen durch die Bundesanwaltschaft treffen.

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