Wer jetzt die Ergebnisse der Bundestagswahl erwartet, wird enttäuscht werden: Wir können nicht in die Zukunft sehen – hier heißt es: Vor der Wahl ist nach der Wahl. Es geht um die Frage, wie die NPD bei den letzten Wahlen, den Kommunalwahlen 2008, der Landtagswahl 2009 sowie der Bundestagswahl 2009, in Guben abgeschnitten hat. Bei den Kommunalwahlen erlangte die NPD zwei Mandate für den Kreistag Spree-Neiße und ein Mandat für die Gubener Stadtverordnetenversammlung (SVV).
Die prozentualen Ergebnisse waren:
- Wahl zur SVV Guben 2008: 4,3%,
- Wahl zum Kreistag Spree-Neiße 2008: 4,8%,
- Wahl zum Landtag 2009: 4,1% nach Erststimmen, 4,0% nach Zweitstimmen,
- Wahl zum Bundestag 2009: 4,7% nach Erststimmen, 4,2% nach Zweitstimmen.
Bei der Kreistagswahl erzielte die NPD damit in Guben ein leicht überdurchschnittliches Ergebnis im Vergleich mit dem gesamten Landkreis (NPD 4,0%). Das Ergebnis der Landtagswahl lag in Guben deutlich über dem Landesdurchschnitt (NPD Zweitstimmen Brandenburg 2,6%, Spree-Neiße 3,6%), ebenso bei der Bundestagswahl. Die Wahlbeteiligung in Guben lag für die SVV-Wahl bei 50,3% und für die Kreistagswahl bei 42,9%.
Bei der Landstagswahl entschieden sich damit in Guben 340 (Erststimmen) bzw. 349 (Zweitstimmen) Wähler für die NPD, bei der Bundestagswahl waren es 402 (Erststimmen) bzw. 357 (Zweitstimmen). Für die Kommunalwahlen lässt sich das nicht mit Sicherheit bestimmen, da dort jede Person jeweils drei Stimmen hatte, die einem Kandidaten gegeben oder auf mehrere Kandidaten verteilt werden konnten. Bei der SVV-Wahl bedeuteten die 4,3% 1094 Stimmen, bei der Kreistagswahl resultierten die 4,8% aus 1050 Stimmen. Realistisch erscheint, dass die Zahl der NPD-Wähler bei den Kommunalwahlen ähnlich zur Landtags- und zur Bundestagswahl war und im Bereich von mindestens 350 bis etwa 400 lag. Zumindest für die SVV-Wahl ergibt sich rechnerisch, dass die NPD nicht in allen Fällen drei Stimmen ihrer Wähler erhalten hat.
Für die Wahl zur SVV liegen die Ergebnisse der einzelnen Gubener Wahllokale vor, so dass man feststellen kann, dass die NPD nicht in allen Stadtteilen gleichermaßen gewählt wurde. Es waren im Wesentlichen die Wohnkomplexe (WK) Obersprucke und Reichenbacher Berg, zusammen der bevölkerungsreichste und zugleich problembeladenste Stadtteil, in denen die NPD überdurchschnittliche Ergebnisse erzielte, in einem Wahllokal in der Obersprucke waren es 8,5%. Auch ein Wahllokal in der Altstadt verzeichnete einen überdurchschnittlichen Wert. Im WK I lagen die Ergebnisse meist unter der Durchschnittszahl der Stadt. Auffällig war, dass die NPD in den durchaus noch dörflich geprägten Ortsteilen Kaltenborn (1,5%) und Bresinchen (1,7%) schlecht abschnitt, ebenso bei der Briefwahl (2,2%).
Für einen regionalen Vergleich bieten sich zum Beispiel die NPD-Ergebnisse der Spree-Neiße-Kreistagswahl in den Städten Guben, Spremberg und Forst an. Ihre Einwohnerzahlen bewegen sich jeweils an der Grenze von Klein- und Mittelstadt. Zusammen lebt in ihnen die Hälfte der Wahlberechtigten im Landkreis Spree-Neiße. In Guben erzielte die NPD bei der Kreistagswahl wie schon dargestellt 4,8% (1050 Stimmen), in Spremberg waren es 4,5% (1220 Stimmen) und in Forst 3,4% (636 Stimmen). Relevant werden diese Zahlen in einem Vergleich der Städte. Ohne das hier umfangreich darzustellen, lässt sich doch festhalten, dass die Stadt Spremberg zum Beispiel mit ihren Energieindustrieansiedlungen wirtschaftlich besser aufgestellt ist als Guben, die NPD dort aber ein ähnliches Ergebnis erreichte. In Forst, in ähnlicher Weise wie Guben von Deindustrialisierung, Abwanderung und anderen Problemen betroffen, erhielt die NPD weniger Stimmen. Eine mögliche Erklärung – die zu untersuchen wäre – liegt in Aspekten der politischen Kultur in den Städten, welche politischen Traditionen eine Stadt hat, wie sie zum Beispiel Jugendarbeit gestaltet und letztlich wie sie mit der NPD und rechtsextremen Entwicklungen umgeht. Festzuhalten ist aber auch, dass sich in Forst mit einer Beteiligung an der Kreistagswahl von 36% deutlicher Zeichen einer generellen politischen Desintegration zeigten. (Der Vergleich der Wahlbeteiligungen in den Städten zeigt übrigens, dass nicht allgemein gelten kann, dass die NPD bei höherer Wahlbeteiligung schlechter abschneidet.)
Interessant ist zuletzt natürlich noch die Frage, in welchen sozialen Gruppen die NPD in Guben Anklang findet. Weil dazu für die Stadt keine statistischen Angaben vorliegen, kann es dazu keine genaue Antwort geben. Für die Landtagswahl 2009 existiert immerhin eine repräsentative Erhebung der NPD-Ergebnisse in Alters- und Geschlechtergruppen bezogen auf das gesamte Land Brandenburg (die Daten basieren auf einer Umfrage; daher die minimale Abweichung zum reellen Endergebnis).
Auch für die Bundestagswahl 2009 gibt es eine solche Erhebung für Brandenburg mit nur minimal unterschiedlichen Prozentangaben, der gleichen Verteilung und derselben Grundaussage. Die Statistik sagt, dass die NPD bei Männern höhere Ergebisse erzielt als bei Frauen und dass die Partei in jüngeren Altersgruppen besser abschneidet – zusammengefasst: Die NPD kommt besonders bei jüngeren Männern an. Das könnte auch in Guben so zutreffen. Dieser Versuch, sich über die Brandenburg-Statistik an die Situation in der Stadt anzunähern, wirft allerdings weitere Fragen auf, zum einen weil das Wahlergebnis der NPD in Guben höher war als im Landesdurchschnitt, zum anderen weil auch die Sozialstruktur Gubens vom Landesdurchschnitt abweicht.
Legt man die statistische Verteilung in den Alters- und Geschlechtergruppen zugrunde und nimmt man an, dass die Ergebnisse in Guben in allen Gruppen gleichermaßen höher waren, kommt man zu dem Schluss, dass im Durchschnitt der Stadt deutlich über 10% der 18- bis 35-jährigen Männer NPD gewählt haben müssten. Zieht man dazu die detaillierten Ergebnisse der SVV-Wahl heran, gelangt man zu der Überlegung, dass – insbesondere in dieser Gruppe – die NPD in einzelnen Quartieren (bis zu 8,5% im Schnitt für alle Alter und Geschlechter) noch einmal höhere Zustimmung erhalten haben müsste.
Guben unterscheidet sich aber vom Land Brandenburg insgesamt darin, dass der Altersdurchschnitt der Einwohner, besonders in der Obersprucke, höher ist. Wo es weniger junge Leute gibt, ist rechnerisch betrachtet auch ihr Einfluss auf das Gesamtwahlergebnis geringer. Das heißt, dass die Proportionen der Brandenburg-Statistik zu Alters- und Geschlechtergruppen nicht einfach übertragbar sind und sich die Verteilung in den einzelnen Gruppe in Guben unterscheidet. Es liegt der Schluss nahe, dass es in Guben Alters- und Geschlechtergruppen gibt, in denen die NPD Ergebnisse erzielt, die deutlich nach oben vom Brandenburg-Durchschnitt abweichen.
Zusammengefasst lässt sich also, wenig überraschend, sagen: Die NPD wurde in Guben gewählt. Die Ergebnisse für die Partei bei den letzten Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen lagen in der Stadt zwischen 4% und knapp 5%. Die Zahlen waren ähnlich zu denen in einigen anderen Gemeinden, lagen aber auch leicht bis deutlich über regionalen und überregionalen Durchschnittswerten. Die höchsten Stimmanteile holte die NPD in Guben, etwas klischeehaft, in zwei Plattenbausiedlungen der 60er, 70er und 80er Jahre. Dass aber nicht nur soziale Problemlagen als Erklärung herangezogen werden sollten, sondern zum Beispiel auch Aspekte der politischen Kultur, macht der Vergleich mit anderen Städten in der Region deutlich. In absoluten Zahlen hat die NPD in Guben jeweils ca. 350 bis 400 Wähler mobilisieren können. Ob das viele oder wenige sind, liegt im Auge des Betrachters; in Guben waren es eben zwischen 4% und 5% der Wähler. Die gelegentliche Behauptung, dass es sich um ein paar „verirrte Jugendliche“ handelte, ist – auch angesichts der Zahl – eine realitätsferne Legende. Überhaupt sprechen einige Wahluntersuchungen dafür, dass die NPD generell weniger „Protestwähler“ anspricht, sondern über eine relativ feste Stammwählerschaft verfügt. Die ähnlichen Zahlen der verschiedenen Wahlen in Guben, auch wenn sie zeitlich nah beieinander lagen, scheinen diese Tendenz zu bestätigen. Das heißt, in Guben haben sich regelmäßig 350 bis 400 Wähler für eine Partei entschieden, die offen völkisch und ausländerfeindlich auftritt und deren lokale Akteure zum Teil in Verbindung zu Gewaltstraftaten und Propagandadelikten gebracht wurden. Wie sich die Gruppe dieser Wähler zusammensetzt, lässt sich nicht sicher bestimmen. Die rechnerischen Überlegungen weisen aber darauf hin, dass man der Frage nachgehen müsste, welche Wahlergebnisse die NPD zum Beispiel bei jüngeren Männern in der Obersprucke erzielte.
Über ihre Wähler könnte man zudem etwas über die politische Bedeutung der NPD erfahren. Drei Kommunalmandate sind das eine. Auch wenn die damit verbundenen Einflussmöglichkeiten gering und die Fähigkeiten der Abgeordneten teils recht limitiert sind, tragen sie zur Stabilisierung der NPD-Arbeit in der Region bei. Der andere und vielleicht bedeutendere Punkt ist, wie sich 350 bis 400 NPD-Wähler abseits der Wahlen im Alltagsleben einer Stadt bemerkbar machen.
Wie die Ergebnisse der nächsten Bundestagswahl in Guben aussehen, wird der 22. September zeigen. Im Vergleich zu früheren Wahlergebnissen könnten einige Faktoren Einfluss haben, etwa die Mobilisierungsfähigkeit der NPD, politische Konkurrenten, aktuelle Stimmungslagen oder soziale und politische Entwicklungen in Guben in den letzten Jahren. Dass die NPD nicht in den Bundestag einzieht, gilt als recht wahrscheinlich. Am Ergebnis in Guben werden sich zumindest Thesen überprüfen lassen. Es könnte auch eine Tendenz für die Kommunalwahlen und die Landtagswahl 2014 aufzeigen. Der gegenwärtige regionale Wahlkampf der NPD zielt jedenfalls jetzt schon auf diese Termine.