„Die Sachverständige Prof. John hat außerdem angeregt, eine Neudefinition von fremdenfeindlichen Straftaten vorzunehmen. Diese Neudefinition solle Ermittlungen gegen Rechtsextremismus als Standardaufgabe bei Gewalt gegen Einwanderer etablieren. Die Polizei erkenne fremdenfeindliche Straftaten bisher nur, wenn entsprechende Symbole aufgetaucht seien, wie Hakenkreuze, Bekennerschreiben etc. Deshalb müsse das Prüfen auf einen rechtsextremistischen Bezug als Standardermittlung bei Gewalt gegen Einwanderer eingeführt werden.“ (Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages, Beschlussempfehlung und Bericht des 2. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes, S. 828)
Wenn ich im Folgenden über zwei nicht aufgeklärte Gewalttaten in Guben schreibe, die im April und im Juli 2013 verübt wurden, kann ich nichts Belastbares über ihre Hintergründe sagen. Ich kenne sie nicht und die Polizei kann dahingehend keine Ermittlungsergebnisse vorweisen. Gleichwohl stelle ich Spekulationen in den Raum. Sie sollen hier aber nicht das eigentliche Thema sein. Vielmehr geht es um die Möglichkeit extrem rechter Motive, den Umgang damit und das Unbehagen mit der fehlenden Antwort auf die Frage, was geschehen ist.
Ein abgebrannter Imbissstand
In einer ersten Polizeimeldung vom 22. April 2013 hieß es kurz: „Feuerwehr und Polizei wurden nach einem Anruf gegen 01:25 Uhr am Montag in die Damaschkestraße gerufen. Auf dem dortigen Parkplatz stand ein seit kurzem nicht mehr genutzter Imbissstand in Flammen. Personen oder andere Gebäude waren nicht in Gefahr. Zur Schadenshöhe gibt es keine Erkenntnisse. Die Kriminalpolizei ermittelt zur Brandursache.“ Am 24. April schrieb die Lausitzer Rundschau: „Die Ermittlungen der Kriminalpolizei zu der Brandstiftung am Imbissstand in der Damaschkestraße haben ergeben, dass unbekannte Täter vor dem Brand gewaltsam in den Imbiss eingedrungen waren. Die genaue Brandursache ist noch nicht bekannt. Es liegen keine Erkenntnisse vor, die auf eine politisch motivierte Tat hindeuten können, ausgeschlossen werden kann sie jedoch auch nicht, teilt die Polizei mit.“
Offenbar ging es bei dieser Tat um die Zerstörung des Imbiss-Häuschens auf dem Kaufland-Parkplatz. Gegenüber auf der anderen Seite der Damaschkestraße steht ein Wohnblock, in dem viele potenzielle Zeugen leben, die aber zur nächtlichen Tatzeit offenbar nichts bemerken konnten. Zum Motiv der Tat kann die Polizei nichts sagen. Der oder die Täter haben keine Hinweise hinterlassen und so kommen selbstverständlich verschiedene Möglichkeiten in Betracht. Warum weist der Bericht dann explizit darauf hin, dass eine politisch motivierte Tat nicht ausgeschlossen werden könne? Ein Detail fehlt im Polizeibericht und in der Zeitungsmeldung – es handelte sich um einen Döner-Imbiss.
Thomas Bürk und Beate Selders haben 2004 in einer Studie fremdenfeindliche und rechtsextreme Anschläge auf Imbissbuden im Land Brandenburg untersucht. Sie kamen unter anderem zu dem Ergebnis, dass es sich in Polizeimeldungen zu Imbissen im Fall von Vandalismus immer um Asia- oder Döner-Imbissbetriebe handelte (S. 57). Außerdem stellten sie in einer ihnen damals vorliegenden Dokumentation von Brandstiftungen an Asia- und Döner-Imbissen fest, dass in allen aufgeklärten Fällen die „Täter aus rechtsradikalen Szenen und deren Umfeld“ kamen (S. 77f.). Sagt die Statistik etwas über den Einzelfall? Nein. Aber sie zeigt ein Muster auf und nährt damit eine Vermutung. Im konkreten Fall tun die zeitliche Nähe der Tat zum 20. April und der Umstand, dass in dem Zeitraum die Gubener Nazi-Szene einmal mehr mit Propaganda-Aktionen aktiv war, ihr Übriges.
Im Juni hat der Gubener Stadtverordnete Peter Stephan (Die Linke) bei der Polizei nachgefragt. Die Polizeiinspektion Cottbus/Spree-Neiße teilte daraufhin mit, dass bislang keine Täter ermittelt werden konnten und es keine Hinweise auf ein fremdenfeindliches Motiv gebe. Parallel bekam RE:GUBEN von der Staatsanwaltschaft Cottbus die Auskunft, dass ein rechtsmotivierter Hintergrund nicht ausgeschlossen werden könne. Der Stand im Sommer 2013 war also wie zuvor: Imbissstand abgebrannt, Täter und Motiv unbekannt, Raum für Spekulationen.
Überfall an der Neiße
Am 10. Juli 2013 meldete die Lausitzer Rundschau: „Geschlagen und in die Neiße gestoßen wurde bereits am vergangenen Samstag ein Mann. Das berichtete die Polizei am gestrigen Dienstag. Der Vorfall ereignete sich zwischen 19.50 und 20.05 Uhr auf der Holzbrücke an den Neißeterrassen. Den Angaben zufolge näherten sich drei männliche Personen dem Geschädigten, einer schlug ihn mehrmals mit Fäusten ins Gesicht und stieß ihn dann in den Grenzfluss. Beobachtet wurde die Körperverletzung von mehreren auf Bänken sitzenden Jugendlichen. Die drei deutsch-sprechenden Täter sind etwa 30 bis 35 Jahre alt und zwischen 170 und 180 Zentimeter groß.“ Auch hierzu hat RE:GUBEN nachgefragt und von der Staatsanwaltschaft im Juli die Antwort bekommen: Rechtsmotivierter Hintergrund nicht ausgeschlossen. Aber eben auch nicht bestätigt.
Warum kann man in diesem Fall mutmaßen? Folgt man dem Polizeibericht, ging es ausschließlich um Gewalt, es handelte es sich nicht um einen Raub oder ähnliches. Es war offenbar keine Beziehungstat, Täter und Opfer müssen sich dem Bericht nach unbekannt gewesen sein. Die Tat wurde demnach spontan, brutal und aus einer Gruppe heraus ausgeführt. Das Muster spricht für geübtes Gewalthandeln. Wer fällt einem da als Tätergruppe, männlich, Anfang 30, in Guben ein? Auffällig ist, dass der Bericht über das Opfer keine Informationen gibt. Das dient möglicherweise dessen Schutz, verhindert aber auch, dass man aus der Person des Opfers Rückschlüsse auf die Motivation der Täter, etwa spezifische Feindschaften, ziehen kann. Wiederum Raum für Spekulation. Ein Mann wird zusammengeschlagen und in die Neiße gestoßen. Warum?
Nicht-Wissen
Wo liegt nun das Problem? Die Polizei kann nur das mitteilen, was sie in ihren Ermittlungen herausfindet. Wenn die Täter keine verwertbaren Spuren hinterlassen haben und sich erst recht nicht zu der Tat bekannt haben, wenn es keine Zeugen gibt oder sie sich nicht melden, was sollte die Polizei anderes sagen als, dass das Motiv unbekannt ist und sie nichts ausschließen kann? Solange die beiden Fälle nicht aufgeklärt sind, bleibt objektiv ein Nicht-Wissen. Insofern wäre es ein Fehler, den Taten zum Beispiel einen fremdenfeindlichen Hintergrund zuzuschreiben. Vielleicht lässt er sich zu einem späteren Zeitpunkt ausschließen, vielleicht wird er bestätigt. Wenn dies nicht passiert, muss man mit Mutmaßungen leben, wie es gewesen sein könnte, weil man aus Erfahrung Muster erkennt.
Darüber hinaus ist allerdings, nicht nur in den beiden genannten Fällen, auch festzustellen, dass in den Polizeiberichten Informationen fehlen. Es wurde beispielsweise nicht von einem Döner-Imbiss gesprochen. Würde ein Hinweis darauf die öffentliche Meinung im Fall einer Brandstiftung zu bestimmten, nicht belegbaren Schlussfolgerungen führen? Vielleicht. Andererseits dürfte zumindest einigen Gubenern klar sein, um welchen Imbiss es sich handelte. Die Strategie des Nicht-Redens lässt sich auch in den Polizeiberichten zu Parolen finden, die in der Obersprucke im Mai und im August 2013 mit Kreide geschrieben wurden. Nur aus dem Kontext war ein extrem rechter Hintergrund zu schließen – es sind jeweils relevante Daten für die Nazi-Szene. Zeitgleich tauchte zum 8. Mai ein Graffiti gegenüber des Pieck-Monuments auf, das heute übrigens immer noch zu lesen ist. Im August wurden Rudolf-Hess-Plakate geklebt. Da diese Aktionen in den Polizeimeldungen außen vor blieben und kein politisches Motiv benannt wurde, muss man sich mit Interpretationen behelfen. Welche Art von Kreideschreibereien ist es wert, dass die Polizei Ermittlungsverfahren einleitet und darüber berichtet?
Es gehört zu Polizeiarbeit in einem Rechtsstaat, vorurteilsfrei und unvoreingenommen zu ermitteln. Das heißt auch, in alle Richtungen zu ermitteln. Dass dies nicht immer geschieht, hat zumindest der NSU-Untersuchungsausschuss mit der eingangs zitierten Anregung wahrgenommen. Daneben kommt der Polizei aber auch eine wichtige Rolle im öffentlichen Diskurs zu. Was und wie sie über Straftaten berichtet, prägt die öffentliche Wahrnehmung.
Was tun mit der Dunkelziffer?
Der Umgang mit der Dunkelziffer, mit Straftaten, die nicht er- oder bekannt werden, ist aber nicht nur eine Herausforderung für die Polizei. Auch die Öffentlichkeit hat ein Interesse am Wissen insbesondere über Taten, die das Zusammenleben in einem Gemeinwesen treffen, zumindest sollte sie es haben (nicht nur im Fall gestohlener Autos und Fahrräder). Sie ist damit nicht angehalten, Polizeiarbeit zu übernehmen, auch nicht aufgrund von Mutmaßungen Urteile zu fällen. Sie kann aber immer wieder nachfragen, wie oben genannt in der Stadtverordnetenversammlung. Lokale Medien sind dahingehend ebenso gefordert, den Dingen auf den Grund zu gehen. Wesentlich ist das Interesse selbst, auch wenn den Antworten Grenzen gesetzt sind.
Wichtiger als Fragen an die Polizei erscheint dabei das Interesse an den Betroffenen von Gewalttaten. Was ist ihnen widerfahren, was sind die Folgen für sie, wie können sie damit umgehen, wie bewerten sie Angriffe? Ihre Perspektive fehlt zumeist in der öffentlichen Wahrnehmung. Eine Verschiebung der Aufmerksamkeit, weg von den unbekannten Tätern, bietet dagegen die Chance, sich mit Menschen und ihrem konkreten Erleben auseinanderzusetzen. Dass regional verankerte Beratungs- und Kommunikationsstrukturen, die sich um die öffentliche Vermittlung eben dieser Perspektive bemühen, faktisch fehlen, trägt letztlich auch zu dem bestehenden Diskurs-Defizit bei. Die Anregung, solche Strukturen auf- und auszubauen, ist übrigens auch im Bericht des NSU-Untersuchungsausschusses zu finden.