Christina
Clemm

Rechtsanwältin
Nebenklagevertreterin

Christina Clemm

Rechtsanwältin, Nebenklagevertreterin

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Welche Bedeutung hat das Urteil des Bundesgerichtshofes?

Der Bundesgerichtshof änderte durch unsere Revision seine Rechtsprechung. Bewertet wurde die Tat nun als versuchte Körperverletzung mit Todesfolge. Das ist ein wenig kompliziert zu erklären, weil es ein Vorsatz-Fahrlässigkeits-Delikt in der Form des Versuchs ist. Bisher war es nur als gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge strafbar, wenn man jemanden verletzte und dieser aufgrund dieser Verletzung starb. Das ist die gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge. Farid Guendoul war aber noch gar nicht von den Angreifern verletzt worden. Es war aber eben zumindest der Versuch, indem sie ihn und die anderen beiden Geschädigten durch die Stadt jagten, grölend und geifernd und den Plan verfolgten zu verletzen, sobald sie einen von Ihnen ergreifen könnten. Das nennt man juristisch das unmittelbare Ansetzen zu einer gefährlichen Körperverletzung, den Beginn des Versuchs einer Straftat und dies wurde hier dann mit der Todesfolge verknüpft.

Diese Änderung der Rechtsprechung bedeutet auch, dass in allen Standardkommentaren bei denen es um dieses Delikt geht, die Gubener Hetzjagd aufgeführt ist. Jeder, der heutzutage Jura studiert, muss also diesen Fall durchnehmen. Das ist ein schöner Nebeneffekt. Darüber hinaus hat der BGH ein salomonisch anmutendes Urteil gesprochen, den Strafausspruch geändert, die Rechtsfolge aber belassen. Die Strafen aus dem ersten Verfahren waren sehr gering. Einzig Alexander B., der ja auch heute noch in der Neonaziszene sehr aktiv ist, ist als Anführer für diese Tat ins Gefängnis gegangen, die zwei anderen Freiheitsstrafen wurden nur verhängt, weil diese beiden Täter bereits andere Straftaten angesammelt hatten. Ansonsten gab es Bewährungsstrafen und ein Teil bekam sogar nur Verwarnungen. Das konnte mein Mandant schwer nachvollziehen und ist für juristische Laien kaum zu verstehen.

Aber ist das nur als Laie schwer zu verstehen?

Es gibt Strafmilderungsgründe, die anzuwenden sind. Es gibt einen Strafrahmen, der ist bei Jugendlichen heruntergesetzt. Strafe soll hier zudem nur erzieherische Zwecke verfolgen. Außerdem gibt es zwei Kriterien für eine Jugend-, das heißt Freiheitsstrafe. Die Entscheidung, ob dies eine Bewährung ist oder nicht, ist hierbei zunächst noch offen. Zum einen wird Jugendstrafe verhängt, wenn bei der Person sogenannte schädliche Neigungen vorliegen. Das bedeutet, dass man wiederholt wegen Straftaten auffällt oder aufgrund anderer Umstände davon ausgegangen wird, dass man erneut Straftaten begehen wird. Schädliche Neigungen müssen im Moment des Urteils vorliegen, nicht im Moment der Tat. Oder eine Jugendstrafe wird verhängt, wenn die Kriterien der sogenannten Schwere der Schuld vorliegen. Bei dem vorliegenden Delikt würde man sagen: "Schwere der Schuld, keine Frage". Aber im Gesetz heißt es auch hier weiter: zum Zeitpunkt des Urteils. Und dann muss in beiden Fällen zum Zeitpunkt des Urteils die Verhängung einer Jugendstrafe noch erzieherisch erforderlich sein. In der Urteilsbegründung hat das Landgericht hierzu gesagt, dass die lange Verfahrensdauer erzieherisch schon so sehr auf die Angeklagten eingewirkt habe, dass erzieherisch in den allermeisten Fällen die Verhängung einer Jugendstrafe nicht mehr notwendig ist.

Man konnte hier schon sehr darüber nachdenken, ob das tatsächlich so war. Denn neben den Strafmilderungsgründen gibt es auch Strafschärfungsgründe. Was das Landgericht nämlich unterlassen hat, ist, in seine Bewertung die besondere Menschenverachtung einzubeziehen, die hier tragend war. Kein Wort davon. Hingegen hob das Gericht auf sogenanntes jugendtypisches Verhalten ab, als sei es jugendtypisch, rassistische Parolen grölend Menschen durch eine Stadt zu jagen. Man weiß nie, wie was wovon bedingt wird. Vielleicht war es die besondere öffentliche Beobachtung und man dachte, da müsse man nun besonders milde sein. Es hieß ja ständig, die Angeklagten hätten aufgrund dieser Medienbeobachtung große Probleme gehabt. Ich wage das zu bezweifeln. Aber auch das wurde strafmildernd berücksichtigt. Man hätte natürlich urteilen können, dass es aufgrund der Menschenverachtung und der rassistischen ausländerfeindlichen Gesinnung auf jeden Fall eine Jugendstrafe geben müsse. Da spreche ich noch nicht davon, ob jemand ins Gefängnis muss oder nicht. Das ist eine sehr individuelle Abwägung und hängt auch von der persönlichen Überzeugung ab. Also ich weiß nicht, ob jemand ein besserer Mensch wird, wenn er als Rassist gerade in Cottbus ins Gefängnis kommt. Da werden sich Strukturen auch eher festigen als ändern. Ich als Juristin hätte mir gewünscht, dass es Jugendstrafen zur Bewährung aber mit ganz erheblichen und ernsthaften Auflagen gibt. Damit kann man eine ganze Menge erreichen. Man hätte die Angeklagten in Projekte schicken können, die etwas im Denken bewirken können. Aber das ist nicht erfolgt, sondern es war eher das Motto: Okay, man muss sie verurteilen, aber eigentlich sind unsere Jungs schon bestraft genug.

Du warst mehrmals in Guben, wie hast du die Stadt wahrgenommen?

Wir haben da unter anderem eine Veranstaltung gemacht und das war beeindruckend, fast schon gruselig: Das Gefühl, dass wir als Störenfriede wahrgenommen werden, war in Guben sehr groß. Es gab zudem keinerlei Unterstützung von städtischer Seite.

Ich fand unsere Rolle damals zunächst auch durchaus fragwürdig oder überdenkenswert: Da kommen Berliner Anwältinnen und Organisationen, wenn auch zusammen mit einigen Menschen vor Ort und vermitteln denen in Guben: "Wir wissen, wie es besser geht. Ihr macht alles falsch, ihr Brandenburger Rassisten, und wir sagen Euch jetzt, wo es lang geht!" Aber aufgrund unserer Erlebnisse um diesen Prozess änderte sich meine Position. Ich dachte irgendwann, dass man die wenigen in Cottbus und Guben, die sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus öffentlich einsetzen, unterstützen muss. Ich dachte einfach: Nein, man darf euch von der Cottbuser Anlaufstelle und die wenigen von der Gubener Antifa nicht allein lassen. Es fand sich einfach kaum jemand, der unseren Part hätte übernehmen können. Es gab so wenig liberale Öffentlichkeit dort, die fehlte gänzlich, würde ich sagen. Und es gab eine fast unglaubliche Solidarität mit den Tätern. Das war für mich nachhaltig beeindruckend. Auch zum Beispiel diese Geschichte mit dem Gedenkstein, das war erschreckend würdelos, die gesamte Geschichte der Errichtung des Gedenksteines, der Gegenwehr gegen die Errichtung, das mangelnde Interesse an dem Bestand et cetera. Die Auseinandersetzung um den Gedenkstein gipfelte dann darin, dass zwei der Angeklagten während des laufenden Verfahrens auch noch den Gedenkstein geschändet haben. Sie wurden zwar dabei festgenommen, aber hätten wir dies nicht durch Zufall erfahren, so wäre die Tatsache, dass Angeklagte es wagten, während des Verfahrens den Gedenkstein des Opfers, für das sie sich da gerade zu verantworten haben, zu schänden, stillschweigend übergangen worden. Wie zu erwarten, blieb dies in dem Verfahren dann auch folgenlos für die Betreffenden. Und fataler Weise blieb auch in der Stadt Guben selbst eine Empörung darüber völlig aus.

Die wenigen, die aus der Stadt kamen und sich organisierten, wie eben die Antifa, galten als Nestbeschmutzer und waren massiver Kritik ausgesetzt. Ich hatte und habe größte Hochachtung vor denjenigen, die es wagten, sich dort in Guben gegen den rassistischen Konsens zu wehren. Denn man musste ja nicht einmal politisch sein, um in das Visier der Rassisten zu gelangen, was wir ja auch an der Hetzjagd gesehen haben. Zu Beginn dieser wurde ja eine Frau von den Tätern angegriffen allein deshalb, weil aus dem Kreis der Täter jemand wusste, dass sie Kontakt zu Menschen mit einer anderen Hautfarbe hatte. Damit wird ja klar, was für eine Stimmung in der Stadt herrschte.

Ich habe in Freiburg studiert und dort sind zwei Grenzen in der Nähe. Grenzen sind dort etwas positiv besetztes; Dreiländereck zu sein, so einfach in die Nachbarländer zu können. Erst als wir in Guben waren, wurde mir klar, dass es eine Grenzstadt ist und man nach Polen rübergehen kann. Ich war angetan und merkte erst später, dass die Grenze zu Polen in der Stadt nur als etwas Negatives definiert wurde. Alle, mit denen wir gesprochen haben, waren irgendwie polenfeindlich eingestellt und das einzige, was es für unsere Gesprächspartner akzeptabel machte, dass man dort billig tanken oder einkaufen gehen konnte. Aber eigentlich hätte man am liebsten die Brücke abgerissen, die Grenze geschlossen.

Nach der Tat und bis weit nach dem Ende des Gerichtsverfahrens gab es in Guben und Umgebung sehr viele rassistische oder rechtsextrem motivierte Gewalttaten. Eigentlich sollte man doch meinen, dass eine Tat wie die Hetzjagd doch in einer solchen Kleinstadt dazu führen, dass Menschen, selbst wenn sie Rassisten sind, merken, wohin solche Taten führen und dass sie es zu weit getrieben haben.

Es gab aber in Guben keine öffentliche Missbilligung der Tat. Es hätte sich natürlich gehört, dass der Erste auf dieser Demo am 14. Februar der Bürgermeister ist. Und dass die "Verantwortungsträger der Stadt" öffentlich ihre Missbilligung ausdrücken und offensichtliche Unternehmungen starten, um weiteren Schaden von der Stadt zu nehmen und möglicherweise sogar etwas zu verändern, um sich mit dem Problem des Rechtsextremismus und Neofaschismus in der Stadt zu stellen. Sich also zivilgesellschaftliche Aufklärungskampagnen zu holen, Veranstaltungen zu organisieren et cetera. Aber genau das ist in Guben nicht passiert oder nur von sehr wenigen passiert. Es gab sofort diese Abwehrhaltung: Es gibt kein Problem in Guben, das hat nichts mit Guben zu tun. Die Beschuldigten sind unsere Jungs, aber Rassisten und Neonazis sind andere.

Genau deswegen ist es weiter eskaliert. Denn: Eine öffentliche Verurteilung gab es nicht, Konsequenzen für die Beschuldigten ebenfalls nicht. Man konnte das eben tun.

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