Die traurige Bilanz der vergangenen 23 Jahre: 27 Todesopfer in Folge rechter Gewalt allein in Brandenburg. Farid Guendoul war einer von ihnen. Sein Todestag jährt sich am 13. Februar 2014 zum fünfzehnten Mal. Viel Zeit ist also seit der sogenannten Hetzjagd von Guben vergangen. Viel Zeit, die zu Veränderungen hätte führen können. Im Kontext des Umgangs mit Opfern rechter Gewalt gilt: viel Zeit, in der sich hätte mehr verändern müssen. Aber damals wie heute lautet der Wunsch der Gubener Bevölkerung, „Gras über die Sache wachsen zu lassen“. Und damals wie heute ist dieser Wunsch moralisch hochgradig verwerflich.
Optisch hat sich in Guben in den vergangenen 15 Jahren einiges getan. Ja, es ist fast hübsch geworden, nur leben will dort kaum noch wer. Die kleine Stadt an der Neiße hat mittlerweile nur noch knapp 18.000 Einwohner. Gerade die Jüngeren nutzen Chancen, die Stadt zu verlassen. Daher ist der Anteil, der unter 25 Jährigen, hier nur noch gering. Nun sind es gerade die jungen Menschen, die gesellschaftliche Prozesse in Frage stellen und die durch Kreativität sowie dem Willen sich auszuprobieren, einer Stadt das „gewisse Etwas“ verleihen. Guben hat dies nicht.
Zähneknirschend schaue ich heute auf diese Stadt. Einer Stadt, in der das Erleiden von Rassismus für mich Alltag bedeutete. Ein alltäglicher Rassismus, der in der Gubener Bevölkerung nicht der Rede wert zu sein scheint, auch nicht, nachdem er ein Menschenleben forderte. Schön sanierte Plattenbauten und ein neuer Stadtkern trüben diese Erinnerungen nicht – denn ich erinnere mich.
Die Frage nach dem „warum jetzt“ stellt sich für mich nicht. Ganz im Gegenteil: Das Erinnern an Farid Guendoul, die Auseinandersetzung mit den Themen Rechtsextremismus und Rassismus ist für mich selbstverständlich und sollte es auch für die Gubener Bevölkerung sein. Doch die ältere Generation ist das Thema in ihrer Stadt leid und die jüngere Generation der Gubener, welche keine eigene Erinnerung an die Tatnacht haben, sondern nur wiedergeben kann, was an Erinnerungen an sie herangetragen wurde, hinterlässt den Eindruck, als würde es ein anderes Guben geben, „wo mal son Ausländer durch ne Scheibe gesprungen ist“. Von Erinnerungskultur scheint in Guben keine Spur zu sein.
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