Warum, womit und wie erinnert man an rassistische Gewalttaten und an ihre Opfer? Diese Fragen stehen nicht nur in Guben an. In der letzten Zeit erlebten wir einige Jahrestage: Über zwanzig Jahre sind die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock oder der Brandanschlag von Mölln her und auf verschiedene Weise wird mit ihnen umgegangen. Zugleich steigt das zeitgeschichtliche Interesse an diesen Ereignissen. Aktuell wird Gedenken im Zusammenhang mit den Mordanschlägen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) diskutiert: Am 25. Februar 2004 wurde Mehmet Turgut in Rostock-Toitenwinkel durch drei Schüsse der NSU-Attentäter getötet, als er in einem Imbiss arbeitete. Nach dem Ende der Terrorzelle erklärte im April 2012 die Stadt Rostock zusammen mit den sechs anderen Tatort-Städten ihre Verantwortung für ein Gedenken an die Opfer. Auch Initiativen forderten eine Gedenkstele in Toitenwinkel und die Umbenennung des Neudierkower Weges, an dem der Mord geschah, in Mehmet-Turgut-Weg. Die Ortsbeiräte in Dierkow und Toitenwinkel blockierten dieses Vorhaben.
Ein Bericht im ZDF-heute-nacht-Magazin erinnerte uns frappierend an Debatten um einen Gedenkstein in Guben vor 14 Jahren. Wir sprachen deshalb mit Christoph Schützler vom Verein Soziale Bildung in Rostock. SoBi führt in Mecklenburg-Vorpommern landesweit Projekte in der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung durch. Der Verein gehört auch zum Bündnis Erinnern! Verantworten! Aufklären!, das am 25. Februar 2013 in Toitenwinkel eine Gedenkkundgebung veranstaltete.
RE:GUBEN: Was möchte das Bündnis erreichen?
Christoph Schützler: Zum einen fordern wir die Umbenennung des Neudierkower Wegs in Mehmet-Turgut-Weg und die Errichtung einer Gedenkstele in Toitenwinkel. Wir wollen, dass am Ort des Mordes der Name des Opfers sichtbar wird. Das ist für uns Teil eines respektvollen Gedenkens. Nachdem die Ortsbeiräte in Dierkow und Toitenwinkel letztes Jahr die Umbenennung abgelehnt haben, stagniert die Situation. Wir fordern, dass die Stadt sich jetzt bewegt.
Zum anderen soll das Erinnern nicht dabei stehen bleiben. Uns geht es auch um Aufarbeitung der Tat und eine offensivere Auseinandersetzung mit rassistischer Gewalt. Das heißt zum Beispiel Bildungsarbeit und aktive Erinnerungspädagogik, die Jugendliche erreicht und einbezieht.
Welche Reaktionen erfahren Sie darauf in Rostock?
Wie gesagt haben die Ortsbeiräte die Umbenennung des Weges abgelehnt. Man findet vor Ort in den Stadtteilen auch Abwehrhaltungen. In dem ZDF-Beitrag wurden ja zum Beispiel Anwohner befragt, die das Thema nicht interessiert hat. Das sind aber auch Einzelmeinungen, die man nicht verallgemeinern sollte. Es gibt in Rostock eine breitere Zivilgesellschaft, die das Gedenken an Mehmet Turgut als wichtig erachtet.
Wie wird in Mecklenburg-Vorpommern politisch mit dem NSU-Anschlag umgegangen?
Bisher hat sich nur die Linkspartei im Landtag für einen NSU-Untersuchungsausschuss in Mecklenburg-Vorpommern ausgesprochen. Im Bericht, den der Innenminister zum NSU vorgelegt hat, endet aber im Prinzip jeder Absatz mit „näheres ist nicht bekannt“ und „Ermittlungen der Bundesanwaltschaft bleiben abzuwarten“. Das Innenministerium sieht keine Verbindungen des NSU nach Mecklenburg-Vorpommern und die anderen Fraktionen im Landtag halten einen Untersuchungsausschuss nicht für notwendig. Bislang stehen auch Bündnis 90/Die Grünen einem solchen Ausschuss skeptisch gegenüber. Es gibt allerdings Hinweise und Informationen, die Fragen offen lassen und auf Versäumnisse der Sicherheitsbehörden schließen lassen. Das und der Umgang mit den Angehörigen von Mehmet Turgut sind Gründe dafür, dass Initiativen weiterhin die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses fordern.
In Bezug auf Rostock und rassistische Gewalt denkt man auch an das Pogrom in Lichtenhagen 1992. In welchem Verhältnis stehen die Erinnerung daran und an den NSU-Mord?
Der Mord an Mehmet Turgut und Lichtenhagen 1992 waren zwei unterschiedliche Ereignisse, die auch getrennt voneinander betrachtet werden sollten. Für den Pogromcharakter von Lichtenhagen spielten viel mehr politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen eine Rolle, zum Beispiel die verschärfte Asyldebatte. Der Mord an Mehmet Turgut war explizit neonazistische Gewalt in ihrer extremsten Form. Deshalb ist es für uns auch sinnvoll, die Erinnerung daran unterschiedlich zu behandeln. Beider Ereignisse soll gedacht werden, aber eben in Hinblick auf die jeweils verschiedenen Bedingungen.
Dazu muss man allerdings auch sagen, dass das Pogrom von 1992 in der Stadt und im Land bislang genau so schlecht aufgearbeitet ist wie der Mord, gerade hinsichtlich der Verantwortung von Politik und Behörden. Es gibt lediglich eine Ausstellung in Rostock dazu von Bunt statt braun und letztes Jahr haben Initiativen am Rathaus eine Kopie der Tafel angebracht, die Beate Klarsfeld 1992 anbringen wollte. Diese Tafel ist jetzt geduldet, aber am Sonnenblumenhaus in Lichtenhagen zum Beispiel gibt es kein Erinnerungszeichen. Nur das Haus selbst.
Sehen Sie Parallelen zwischen den Gedenkinitiativen in Rostock und Guben?
Es gibt diese Situation ja in vielen Orten, nicht nur in Rostock, Guben oder Hoyerswerda. In Greifswald zum Beispiel, wo Eckard Rütz im Jahr 2000 von Neonazis erschlagen wurde, sind es auch kleine zivilgesellschaftliche Initiativen, die daran erinnern. In Teilen der Kommunalpolitik findet man dagegen die Haltung, dass das Gedenken als „Nestbeschmutzung“ und Image-Schaden wahrgenommen wird und dass eine Auseinandersetzung gedeckelt wird. Dabei ist die Aufarbeitung solcher Taten und die aktive Erinnerung überhaupt erst die Voraussetzung für Pluralität und die Weltoffenheit, die in vielen Städten als politisches Ziel genannt wird.
Nachtrag: An der Kundgebung nahmen etwa 160 Menschen teil und unterstrichen die Forderung des Bündnisses. Am selben Tag erklärte die Präsidentin der Rostocker Bürgerschaft Karina Jens (CDU), dass es Ziel der Stadt sei, noch in diesem Jahr einen Gedenkstein zu errichten, der eine allgemeine Aufschrift ohne Bezug zur Täterschaft des NSU tragen solle.
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