Samy ist einer der wenigen Jugendlichen, die heute in Guben leben und sich als links, alternativ und unangepasst verstehen. RE:GUBEN traf ihn im November 2012 und sprach mit ihm über das Leben in einer Stadt, in der kaum jemand ein Problem mit Rechtsextremismus sieht.
RE:GUBEN: Wie hast Du zum ersten Mal vom Tod von Farid Guendoul gehört.
Samy: Ich war 1999 ja erst 5 Jahre alt; also habe ich das erst einige Jahre später wirklich wahrgenommen. Ich glaube, meine Schwester hat mir davon erzählt. Und ansonsten findet man ja zum Beispiel Videos auf youtube. In der Schule ist das kein Thema. Es gab in den letzten Jahren auch keine Gedenkveranstaltungen mehr, jedenfalls habe ich nichts mitbekommen. Ich habe schon überlegt, selbst eine zu organisieren, aber hier sind zu wenige Menschen, die daran teilnehmen würden. Und wenn man dann da zu fünft steht, ist das ja auch deprimierend.
Ansonsten hört man nur manchmal Sachen, wenn man sich mit Mitschülern unterhält. Aber da heißt es nur: „Das war doch einer, der bei dieser Hetzjagd dabei war“ oder „Da ist ein Mensch gestorben, aber das ist schon so lange her und geht mich nichts an.“ Ich denke, man sollte sich zumindest darüber im Klaren sein, dass da ein Mensch durch einen politischen Hintergrund gestorben ist.
Wie ist die Situation mit Rechten in Guben heute?
Man muss sagen, die halten sich hier ziemlich zurück, vor allem dafür, dass sie zahlenmäßig überlegen sind. Eigentlich gibt es kaum Linke in Guben. Und die wenigen sind sehr passiv, kleben nur ab und zu vielleicht mal einen Sticker. Die Präsenz der Rechten wirkt ziemlich erdrückend. Man sieht zum Beispiel ständig jemanden mit einer Thor-Steinar-Jacke oder immer wieder neue „Nationaler Widerstand“-Graffitis und -Sticker. In Obersprucke ist das natürlich schlimmer als in der Innenstadt. Dort versammeln sie sich offensichtlicher, unter anderem an einer ehemaligen Einkaufspassage. Das ist schon seit mindestens fünf Jahren einer ihrer Treffpunkte. Einige besuchen den Jugendclub „Comet“, aber die sind meist nicht besonders aktiv. Manchmal kann man einige im oder vor der Gaststätte Prellbock antreffen. Einmal ist uns von da ein Auto hinterhergefahren und die Insassen haben Flaschen auf uns geworfen. Grundsätzlich würde ich sagen, dass es umso weniger Rechte sind, je näher man der Neisse kommt.
Wie viel bekommt man von den Aktivitäten der Rechten mit?
Man weiß, dass die zum Teil sehr aktiv sind, zum Beispiel bundesweit zu Demos fahren. Sie sind natürlich vernetzt mit Rechten aus der Umgebung, unter anderem nach Cottbus. Von den eigentlichen Aktivitäten höre ich meistens erst am Tag selbst oder danach. Das heißt, es ist auch für Gegenaktivitäten immer zu spät. Es gibt kein Netzwerk in Guben, das über die Aktivitäten der Rechten informiert. Es gibt ein paar wenige Leute, die sich engagieren oder gern engagieren würden, aber ihnen fehlt es bereits an einer guten Kommunikation untereinander.
Und wie geht die Stadt mit dem Thema um?
Soweit wie ich es beurteilen kann, ist es gar kein Thema. Das hat aber vielleicht auch damit zu tun, dass es kein wirkliches Problem ist. Die Rechten sind zwar sehr präsent, aber sie ziehen nicht durch die Stadt und verprügeln permanent Leute. Das heißt, es ist ein Problem, aber es ist keins, bei dem die Stadt sich gezwungen sieht, etwas dagegen zu unternehmen. Aber das betrifft ja auch die meisten der anderen Jugendlichen. Die sagen zwar immer wieder, dass es schlimm ist, aber im Endeffekt ist es nicht schlimm genug, um aktiv zu werden. Man hat sich an den Zustand gewöhnt. Damit wird es aber für diejenigen, die etwas machen wollen, schwieriger. Hinzu kommt, dass die meisten sowieso nach der Schule weggehen, im Gegensatz zu den Nazis, von denen ziehen ja immer mehr hierher. Die sehen Guben vermutlich als eine Art Hochburg, in der sie ungestört ihr Ding machen können, weil es keine Gegenwehr gibt. Aber nächstes Jahr im Sommer habe ich mein Abitur und dann bin ich hier auch weg.
Wo trefft ihr euch?
Es ist nicht so, dass man sich verstecken muss. Der Großteil der Leute, mit denen ich etwas mache, ist allerdings wenig engagiert. Da fällt man nicht so auf. Und die Nazis belegen nicht alle öffentlichen Plätze, man geht sich aus dem Weg. Hier fehlt es wirklich an einer Anlaufstelle für Engagierte. Aber es ist schwer, so etwas in die Hand zu nehmen. Und wenn man eh bald weg ist, denkt man sich auch, wofür soll ich es machen? Dafür, dass es am Ende keiner weiterführt? Ich höre immer wieder von Leuten, dass es cool sei, dass ich mich hier engagiere. Aber am Ende kann man sich davon nichts kaufen. Es ist zwar schön und gut, wenn man zu zweit oder zu dritt versucht, etwas zu machen. Aber das reicht nicht. Es bleibt bei einem Scheinaktivismus, bei dem jeder sagt: „Ja, es ist Scheiße und es muss etwas geändert werden.“ Aber am Ende will dann keiner konkret etwas tun. Und immer alles alleine zu organisieren, bringt am Ende auch nichts. Es gab schon ein paar Versuche, aber viele der Jugendlichen sind erst 16 oder 17 und haben das Problem, dass ihre Eltern ihnen Dinge verbieten. Die würden vielleicht mitmachen, dürfen aber nicht. Ich bin damit immer anders umgegangen, habe mir von meinen Eltern nichts vorschreiben lassen. Deshalb kann ich schlecht nachvollziehen, warum andere zu Hause bleiben. Das ist ärgerlich. Wenn man ein paar Mal vergeblich versucht hat, Leute zu motivieren, verliert man die Lust. Man kann die Leute nicht zwingen, mitzumachen.
Gibt es denn Ansprechpartner/innen für euch, Menschen, die offen für die Probleme sind?
Gar nicht. Ich war einmal bei dem Laden von der Linken. Die haben uns aber nur ein paar Flyer gegeben, damit wir die an unserer Schule verteilen können und Bonbons. Dann konnten wir wieder gehen. Und wir hatten denen gesagt, dass wir uns engagieren wollen. Vielleicht nicht unbedingt in der Partei selbst, aber ich denke, man kann ja zusammen arbeiten. Aber daran gab es kein Interesse. Und ansonsten sieht es mit Ansprechpartnern ziemlich schlecht aus.
Gibt es etwas Positives an Guben?
Positiv wäre eigentlich nur, dass wenn man etwas macht, es quasi ungestraft bleibt, weil sich wirklich gar niemand mit dem Thema auseinandersetzt. Wenn man zum Beispiel mal sprayen geht, muss man sich keine Sorgen machen, dass man erwischt wird. Das interessiert einfach keinen. Über Guben weiß ich, dass, wenn ich hier weg bin, ich nicht mehr zurück komme. Ich habe meine Erfahrungen mit der Stadt gemacht. Keine Ahnung was ich hier gut finde. Das ist schwierig.
Alexander Bode als einer der damaligen Täter ist ja immer noch sehr aktiv…
Ja, er hatte vor einiger Zeit einige Auseinandersetzungen mit einem Jugendlichen, der zu der Zeit noch politisch links war. Damals ging es auch im „Comet“ noch ein bisschen mehr in diese Richtung. Nach dem Konflikt mit Bode hat der Jugendliche eine Zeitlang mit Nazis rumgehangen und sich seinen Iro abrasiert. Im „Comet“ haben sich alle angepasst, die haben gemerkt, dass sie schlechte Karten haben und es besser ist, bei den Rechten mitzumachen. Das zeigt, dass diese Einschüchterungsversuche funktionieren. Meistens werden Leute aber nicht angegriffen, sondern nur angepöbelt, vor allem bei Stadtfesten oder am Wochenende. Aber das nimmt man nur zur Kenntnis, damit geht man nicht zur Polizei. Man weiß von den meisten Nazis nicht mal den Namen; damit kennt sich keiner aus, auch ich nicht. Und wenn ich zum Beispiel einen Spruch höre, ist das so und ich belasse es dabei. Mir ist das seit einer Weile nicht mehr passiert. Denn so richtig getrauen sie sich im Endeffekt dann doch nichts. Vielleicht wollen sie keine große Aufruhr machen. So etwas, wie der Angriff von Bode jedenfalls ist schon eine Weile nicht mehr passiert.
Aber ist das dann nicht etwas unheimlich?
Auf jeden Fall. Es ist wie ein Pulverfass, das am Ende nur explodieren muss. Es braucht vielleicht nur einen Funken, vielleicht nur einen, der mal sagt: „Hey, Scheiß-Nazi“. Das ist nur eine Frage der Zeit, denke ich. Und gleichzeitig ist es eine ausweglose Situation: Es gibt keine Leute, die etwas machen wollen, die Rechten sind so viel mehr geworden und von der Stadt wird das überhaupt nicht wahrgenommen. Alles arbeitet gegen einen. Es kann sein, dass es noch 3 oder 4 andere in Guben gibt, die etwas machen wollen. Aber die kenne ich nicht. Und ich kann ja nicht durch die Straßen rennen und rufen: „Hier, wer will mitmachen?“
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