RE:GUBEN » 13.2.1999 http://www.re-guben.de fragt nach den Folgen des Todes Farid Guendouls, der am 13. Februar 1999 auf der Flucht vor einer Gruppe Neonazis in Guben starb. Was geschah in jener Nacht? Wie wurde mit der Tat umgegangen? Wie kann Gedenken gestaltet werden? Wie reagieren Politik und Gesellschaft? Fri, 02 May 2014 16:27:31 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.8 Film: „Das kurze Leben des Omar ben Noui“ http://www.re-guben.de/?p=557 http://www.re-guben.de/?p=557#comments Mon, 05 Aug 2013 16:17:10 +0000 http://www.re-guben.de/?p=557 Am 13. November 2000 wurde im Prozess um die sogenannte Hetzjagd von Guben das Urteil vor dem Landgericht Cottbus verkündet. Am Abend zeigte das ORB-Fernsehen die 45-minütige Dokumentation „Das kurze Leben des Omar ben Noui“. Der Film des Journalisten und Dokumentarfilmers Kristian Kähler behandelt Aspekte, die in dem Gerichtsverfahren keine Rolle spielten: Er versucht eine Annäherung an den Menschen Farid Guendoul/Omar ben Noui und thematisiert die Folgen der Tatnacht für dessen zwei Begleiter, für die Familie und Freunde des Toten. Wir danken dem rbb und Kristian Kähler für die Genehmigung, den Film hier zeigen zu können.

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Wie es geschah – Die Nacht zum 13. Februar 1999 http://www.re-guben.de/?p=270 http://www.re-guben.de/?p=270#comments Tue, 05 Mar 2013 09:43:07 +0000 http://www.re-guben.de/?p=270 Vor der Frage Warum konnte es geschehen? steht die Frage Wie ist es geschehen? Mit dieser Idee hat die Soziologin Michaela Christ in einer Studie die Ereignisse und Dynamiken der Nacht vom 12. zum 13. Februar 1999 in Guben untersucht. Sie hat RE:GUBEN eine umfangreiche Darstellung zur Verfügung gestellt, die wir hier als PDF anbieten. Die Autorin rekonstruiert darin im Detail die Nacht, an deren Ende Farid Guendoul tot war.

Michaela Christ: Die Jagd. Über den Tod von Farid Guendoul in Guben in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar 1999

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„In Guben war es wie in einem schwarzen Loch“ http://www.re-guben.de/?p=260 http://www.re-guben.de/?p=260#comments Fri, 01 Mar 2013 12:07:55 +0000 http://www.re-guben.de/?p=260 Guben, Kleingartenanlage

Guben, Kleingartenanlage

Im Mai 2000 gehörte Andrea zu einer Gruppe von Jugendlichen, die sich auf einer Skaterbahn in der Obersprucke trafen. Sie erzählte uns damals in einem Interview für das Buch: Nur ein Toter mehr… von der Stimmung nach dem 13. Februar in Guben und ihrem Alltag, der wesentlich von Angriffen durch Neonazis bestimmt war. 2001 ist sie zum ersten Mal aus der Stadt weggezogen. Wir trafen uns im Januar 2013 erneut und sprachen mit ihr über ihre Erinnerungen und die Frage, was sich in Guben verändert hat.

Erinnerst Du Dich an die Zeit im Februar 1999?

Damals war ich 15. Ich war viel im Fabrik e.V., das war damals ein Jugendclub. Und dort haben Leute über den Tod von Omar Ben Noui gesprochen. Das war am Tag danach. Wir haben aber am Anfang noch gedacht: ‚Auf gar keinen Fall!’ Also wir wussten, dass es in der Stadt einen Haufen Spinner gibt. Aber das war eine Nummer, die wir den Leuten nicht zugetraut hatten, also dass es wirklich einmal bis zum Äußersten geht. Daran kann ich mich noch gut erinnern. Kurz danach war ja auch die Demo gewesen, bei der ich aber leider nicht war, weil meine Eltern das aus Angst um mich nicht wollten.

Wie waren die Reaktionen in den folgenden Wochen?

Ich war zu dieser Zeit viel in der Fabrik, aber das hat sich nach der Tat ziemlich schnell geändert. Mich hat das alles sehr mitgenommen und beschäftigt, aber die Leute, die damals meine Freunde waren und die da rumgehangen haben, nicht so sehr wie mich. Ich habe dann nach Menschen gesucht, für die das ebenfalls ein Thema war und die habe ich auch gefunden. Damit hat sich mein soziales Umfeld völlig verändert. Ich weiß nicht, ob ich so geworden wäre, wie ich heute bin, wenn das damals nicht so gewesen wäre. Diese Zeit hat mich sehr geprägt.

Ich konnte mit meinen Eltern darüber sprechen, bei denen solche Dinge schon immer ein Thema waren. Sie waren danach völlig schockiert, weil sie dachten: ‚Ok, wenn so etwas jetzt hier passiert, machen wir uns auch Sorgen um unser Kind.’ Sie haben mich dann eine Zeit lang so ein bisschen an der kurzen Leine gehalten, mit dem Weggehen und so. Sie hatten einfach viel Angst und deswegen haben wir öfter darüber geredet. Es war ganz viel Ohnmacht und Fassungslosigkeit auf ihrer Seite, denn sie erlebten Guben ja sonst ganz anders als ich. In der Schule dagegen, ich war auf der Gesamtschule, war es überhaupt kein Thema. Aber ich wüsste auch keinen Lehrer, dem ich zugetraut hätte, über so etwas mit den Schülern zu reden.

Das ist ja auch das Irre: Medial und außerhalb von Guben war es über viele Monate ein unglaublich großes und präsentes Thema; in Guben war es wie in einem schwarzen Loch. Ich hatte immer das Gefühl, dass von außen viel mehr passiert als in der Stadt selbst. Es verging so wenig Zeit bis alle gesagt haben: ‚Das interessiert mich nicht.’ Teilweise konntest du schon am Tag nach der Hetzjagd hören, dass jemand sagte: ‚Ich will davon nichts mehr wissen. Der ist selber schuld.’ Das habe ich noch sehr gut in Erinnerung.

Was hättest Du Dir denn gewünscht, was passieren soll?

Das ist eine gute Frage. Dass man offener damit umgeht, dass sich die Stadt anders positioniert, dass man sagt: ‚Ok, das ist jetzt passiert, das ist total dramatisch, aber jetzt müssen wir zeigen, dass wir das nicht wollen.’ Aber das ist völlig ausgeblieben. Es war eher so: Man steckte den Kopf in den Sand und sagte sich: ‚Jetzt halten wir das kurz aus und dann ist wieder Ruhe in der Stadt.’

Wie war es, als Jugendliche in Guben zu leben?

Ich hatte den ersten wirklichen Konflikt mit Nazis, da war ich 13. Aber wir haben ja einen ziemlich untypischen, undeutschen Familiennamen, deshalb war ich als kleines Mädchen bereits öfter im Fokus. Ich war eben nicht auf dem Gymnasium, wo die Schüler mehr zu den Alternativen und politisch Interessierten gehörten, sondern auf einer Gesamtschule, wo ich eher mit Rechten in Konflikte gekommen bin. Aber es war sicher auch die Gesamtkombination; ich hatte beispielsweise auch häufig wechselnde, eher unkonventionelle Haarfarben. Als an der Schule bekannt wurde, dass ich Kontakte zur Antifa Guben habe, wurde es ruhiger für mich.

Ein paar Jahre später, ich war für ein kürzeres Intermezzo nach Guben zurückgekehrt, hatte ich wieder mit Sport angefangen und bin dort zwei-, dreimal in der Woche mit dem Fahrrad hingefahren. Irgendwann ist dann aus einem fahrenden Auto ein Schuss mit einer Schreckschusspistole auf mich abgegeben worden. Da habe ich dann gedacht: ‚Nun sieh zu, dass du aus der Stadt wegkommst.’ Und habe aufgehört, Regelmäßigkeiten im öffentlichen Raum an den Tag zu legen.

Ich habe noch Jahre später die Folgen dieser Zeit gespürt. So war ich zum Beispiel eine Zeit ziemlich viel in Bielefeld. An einem Samstagabend wollten meine Freunde kurz zur Aral-Tankstelle gehen. Und ich sagte, gerade aus Brandenburg gekommen: ‚Wir können doch jetzt nicht zu Aral, es ist Wochenende, mitten in der Nacht. Das können wir nicht machen.’ Sie haben überhaupt nicht verstanden, warum mir das so gegen den Strich geht, worüber ich überhaupt rede. Aber das hatte ich immer, dieses vermeidende Verhalten. Ich wusste genau, wann ich wo sein kann, was möglich ist und was nicht mehr. Und Samstagabend zu Aral zu gehen, ging überhaupt nicht.

Wie erlebst Du Guben heute?

Ich bin nur noch sehr selten da, besuche eigentlich nur noch meine Eltern, zum Beispiel zu Weihnachten. Und da treffe ich auch Freunde, die ebenfalls zu Besuch in der Stadt sind. Aber es beschränkt sich auf ein Minimum. Leute, mit denen ich mal Zeit verbringen will, die leben ja nicht mehr da. Höchstens noch Menschen, mit denen ich zur Schule gegangen bin, aber mit denen habe ich keinen großen Gesprächsbedarf. Wegen einem von denen würde ich da nicht hinfahren. Aber das ist auch gut so; jeder mit Köpfchen hat da nichts verloren.

Ich weiß nicht, wie ich die Stadt heute beschreiben soll, ich glaube, die Fronten sind nicht mehr so klar. Es gibt nicht mehr wirklich Linke und dementsprechend sind die Rechten ruhiger. Es gibt keine Reibung mehr. Zum Beispiel sind Aufkleber oder Sprühereien ja auch ein Zeichen dafür, dass man sich in einem Kampf befindet, aber wenn da kein Gegner mehr ist, brauchst du es nicht zu machen. Es ist merkwürdig da, wie eine Geisterstadt. Es ist alles saniert und schön gemacht, aber es ist kein Mensch da, du siehst niemanden.

Als wir 2006 oder 2007 den Sani (der ‚Sanikasten’ war ein selbstverwalteter alternativer Treffpunkt, der seit Oktober 2000 existierte; Anmerkung der Red.) zugemacht haben, ist dann alles weggebrochen. Zu der Zeit war auch der Jahrgang, der ganz viel gemacht hatte, mit dem Abi fertig und ist gegangen. Ich bin dann erneut 2008 weggezogen. Und da kam dann nichts mehr hinterher, kein Nachwuchs, kein neuer Ort, nichts. Es gibt ja wirklich gar nichts, wohin du gehen kannst. Ich habe mich oft gefragt: Wie kommt es, dass es keine alternative Jugendkultur in Guben mehr gibt? Die Rechten dominieren jetzt klar die Stadt. Aber man kann ja nicht mehr zurückgehen. Da müssen andere kommen, die das stört. Das macht man alles eine Zeit lang, aber irgendwann geht das eigene Leben in eine andere Richtung. Man kämpft dann auf einer anderen Ebene. Aber ich will auch nichts mehr für Guben machen. Also wie ich das sage: für Guben. Das will ich nicht mehr. Wenn es vor Ort nicht einmal ein Problembewusstsein gibt.

Gibt es etwas, an das Du Dich gern erinnerst?

Mein persönliches soziales Umfeld war zu der Zeit in Guben schön. Ich hatte tolle Freunde und wir hatten den Sanikasten. Wir hatten es schön, abgesehen von dem Stress. Wir waren ja auch eine tolle Gruppe. Aber wir waren das auch, weil es so schlimm war. Wir hätten uns ja nicht in dem Ausmaß gerührt, wenn es nicht erforderlich gewesen wäre, wenn der Druck von außen nicht so groß gewesen wäre. Wir hätten uns vermutlich nicht zusammengefunden und wir wären nicht so eine starke Gruppe gewesen. Das merkt man ja jetzt, wenn man sieht, dass es nichts mehr gibt. Wir haben vielleicht aus der Situation das Beste gemacht. Es war ein Schutzraum und ich glaube, ich habe gerade in der ersten Zeit im Sani ganz viel gelernt. Und wenn ich mir überlege, dass so ein Ort jetzt nicht da ist, dann denke ich immer: Was wird denn jetzt aus den Jugendlichen? Das finde ich ganz schlimm.

 

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Nach der verlorenen Zeit http://www.re-guben.de/?p=339 http://www.re-guben.de/?p=339#comments Thu, 14 Feb 2013 21:06:32 +0000 http://www.re-guben.de/?p=339 Der folgende Beitrag von Alexandra Klei und Daniel Krüger erschien zuerst in der Jungle World vom 14. Februar 2013.

Die Prozessbeobachtungsgruppe Guben begleitete von 1999 bis 2002 das Gerichtsverfahren wegen des rassistischen Angriffs, der in der Politik und den Medien als „Hetzjagd von Guben“ bekannt wurde. Zwei damalige Mitarbeiter des Projekts haben die Kleinstadt an der Neiße besucht. Ein Spaziergang durch Guben.

Wir fahren auf der Cottbuser Straße nach Guben hinein. Bereits an der ersten Ampel stehen wir mitten in Erinnerungen: links die Aral-Tankstelle, ein Stück weiter ein Flachbau, der „Dance Club“, vorne rechts die Hugo-Jentsch-Straße. Einmal abbiegen, da liegt schon Obersprucke.

Es sind Orte des Geschehens jener Nacht zum 13. Februar vor 14 Jahren. Hier trafen sich die Täter, hier brachten sie sich in Stimmung, hier jagten sie Farid Guendoul, Khaled B. und Issaka K. durch die Straßen. Hier starb der 28jährige Guendoul.

Für uns sind diese Orte Geschichte. Sie sind gebunden an die Gerichtsaussagen über die Abfolge der Ereignisse, an die Berichte der Opfer über ihr Erleben, an die Versuche, sich vorzustellen, was in dieser Nacht genau geschah. Dabei gibt es viele Bilder, die irreal wirken. Etwa wie die beiden Glatzköpfe Steffen H. und Ronny P. in ihren grünen Bomberjacken erst den Film „Romper Stomper“ anschauen und dann in der Diskothek „Dance Club“ die Auseinandersetzung mit Vietnamesen suchen. Wie P. den Kürzeren zieht und sich das Gerücht verbreitet, er sei mit einer Machete aufgeschlitzt worden, wie sich der Mob zusammenrottet und auf der Suche nach Ausländern herumfährt. Wie sie schließlich aus ihren Autos springen und losstürmen, als sie die drei Männer aus Algerien und Sierra Leone erblicken.

Dann gibt es das reale Bild des blutverschmierten Treppenhauses in der Hugo-Jentsch-Straße 14. Das alles ist hier passiert. Die Ampel schaltet jetzt auf grün.

Wir sind heute nach Guben gefahren, um uns ein Bild zu machen. Wir haben uns 1999 und in den folgenden Jahren eingemischt. Wir haben die Opfer und die Angehörigen des Toten begleitet, das Gerichtsverfahren verfolgt und ein Buch über den Fall herausgegeben. („Nur ein Toter mehr. Alltäglicher Rassismus in Deutschland und die Hetzjagd von Guben“. Herausgegeben von der Prozessbeobachtungsgruppe Guben, Unrast-Verlag, 2001, Anm. d. Red.) Jetzt sind wir wieder am Ort des Geschehens, um zu sehen, was geblieben und was neu entstanden ist.

Auf der Fahrt haben wir uns über das öffentliche Bild der Stadt unterhalten. Im Laufe der Jahre ist so etwas wie die typische Guben-Reportage mit ihren eigenen Topoi entstanden. Eine kurze Darstellung der Tat gehört selbstverständlich dazu, die Biographie des Toten nicht. Auch wir kennen sie nicht im Detail. Vielmehr richtet sich die Aufmerksamkeit auf Guben, auf die Zeichen des Verfalls der Stadt und deren Umbau, auf die lokale Politik und die immer „schweigende Mehrheit“.

Es geht nicht nur um die hiesige rechtsextreme Szene mit ihrem „Chef“ Alexander Bode, einem der Haupttäter von 1999. Die Reportagen handeln von Plattenbauten und Industriebrachen, Abwanderung und Arbeitslosigkeit, vom – inzwischen vorläufig des Dienstes entbundenen – Bürgermeister und seiner Frage, was die Asylbewerber nachts auf der Straße zu suchen hätten, von Wagenburgmentalität und Leuten auf der Straße, die einen stumpfen Rassismus präsentieren. Das kann man alles in Guben finden – sehr leicht. Auch die Erwartungen über die ostdeutsche Provinz lassen sich hier schnell bestätigen und einfache Erklärungen für die Existenz von Neonazis finden. Wir wollen wissen, ob diese Bilder heute noch zutreffen. Oder hat sich vielleicht etwas verändert? Wir machen uns auf die Suche.

Einer der ersten Menschen, denen wir in Guben-Obersprucke auf der Straße begegnen, ist ein Fahrradfahrer. Das Rad ist klapprig, der Mann hat lange Haare und trägt einen Mittelscheitel. Auf dem Rücken seines Kapuzenpullovers steht „Hooligan“. Er heißt Markus Noack und ist einer von zwei NPD-Abgeordneten im Kreistag Spree-Neiße. Manchmal trägt er dort mit mäßigem Einsatz Anfragen vor, die von der Kommunalpolitischen Vereinigung der NPD unter den Mandatsträgern der Partei herumgereicht werden. Er ist aber auch einer, der immer mit Fahne oder Transparent dabei ist, wenn der NPD-Kreisverband Lausitz seine Demonstrationen und Kundgebungen abhält. Noack war zehn Jahre alt, als Farid Guendoul starb. Jetzt fährt er weiter. Guben macht es einem nicht leicht, ohne Klischees auszukommen.

Guben, Hochhaus

Guben, Hochhaus

Wir stehen in Obersprucke vor dem Hochhaus. Es heißt das Hochhaus, weil es das einzige ist. Gebaut wurde es Anfang der sechziger Jahre, als die realsozialistische Stadt einen industriellen Boom erlebte und neue Wohnkomplexe entstanden. Heute steht das Gebäude leer, ist abgesperrt und dem Verfall überlassen. Seinen letzten Zweck erfüllt es als Träger der Telekommunikationsantennen auf dem Dach. Ansonsten ist das privatisierte Haus ein Mahnmal des Niedergangs und zugleich ein Symbol für Gubener Ambivalenz, denn es steht im Zentrum eines Stadtteils, der in den vergangenen Jahren fast flächendeckend saniert und umgebaut wurde.

Doch deshalb stehen wir nicht hier. Das Haus war in der Nacht zum 13. Februar 1999 auch der Ausgangspunkt der Gubener Hetzjagd. Ronny P. wohnte hier. Ein Teil der späteren Täter sammelte sich bei ihm. Am Hochhaus trafen auch Polizisten auf den aufgehetzten Mob – und taten nichts, um die Jugendlichen zu stoppen. Für wen spielen diese Details der Tatnacht heute noch eine Rolle?

Das einzige Zeichen, welches an Farid Guendoul und dessen Tod erinnert, ist ein Gedenkstein. Er ist in eine Wiese an der Hugo-Jentsch-Straße eingelassen, ein paar Meter vom Tatort entfernt. Der Wohnblock, in dem der junge Algerier starb, wurde im Zuge des Stadtumbaus allerdings abgerissen. So liegt der Stein heute abseits und niemand muss sich durch seine Existenz diskreditiert fühlen. Angesichts der Mischung aus Gewöhnung und Vergessen findet er kaum mehr Beachtung. Lediglich am Jahrestag trifft sich hier eine Handvoll Gubener und legt Blumen nieder.

In diesem Wohngebiet haben die Neonazis nur wenige Spuren hinterlassen. Ein offensichtlich einige Jahre altes Graffito für Rudolf Heß ist übertüncht worden. Daneben sieht man ein paar verwitterte Aufkleber. Neuer zu sein scheinen kleine Edding-Kritzeleien auf Hauswänden gegen das Verbot der „Widerstandsbewegung in Südbrandenburg“. Gubener sind präsent in der rechtsextremen Szene der Region. Die Markierungen im öffentlichen Raum spiegeln das nicht wider, dieser ist auch nicht mehr umkämpft – Anti-Nazi-Parolen finden wir nicht.

Am Wilhelm-Pieck-Monument – dem Denkmal für den KPD- und SED-Politiker, der von 1949 bis 1960 Präsident der DDR war und in Guben geboren wurde – zeigt ein Foto auf einer Tafel Demonstranten, die sich hier 1989 versammelten. Der Platz war gefüllt mit Menschen. Jetzt herrscht hier Leere zwischen sanierten Wohnblocks. Im vergangenen Sommer hat die NPD am Monument eine Kundgebung abgehalten. Etwa 20 in Reihe aufgestellte und Fahnen schwenkende Leute. Protest dagegen? Fehlanzeige. Publikum? Gibt es auch nicht.

Die „schweigende Mehrheit“ verrät nicht, ob sie dafür oder dagegen ist. Was die Einzelnen denken, bleibt im Privaten. Wir vermuten, dass dort eine rhetorische Frage sehr häufig gestellt wird: was einen das alles anginge. Manche der wenigen Menschen, denen wir auf unserem Weg durch die Stadt begegnen, sind freundlich, andere wirken zurückgezogen und verschlossen. Wir versuchen, ihr Alter zu schätzen. Es gelingt uns kaum. Sie scheinen aus der Zeit herausgefallen zu sein. Wir spazieren durch eine Stadt, in der Resignation und Warten Alltag geworden sind.

Wir unterhalten uns mit Samy, der noch zur Schule geht und erzählt, er wolle aus Guben wegziehen, sobald er sie abgeschlossen hat. Samy ist unangepasst, er ist einer der wenigen Jugendlichen, die sich hier als links verstehen. Er spricht von seiner Wahrnehmung der Stadt, von den Neonazis und von den Schwierigkeiten, gegen sie aktiv zu werden. Auf die Frage, was er vom Tod Farid Guendouls wisse, sagt er: „Sehr wenig.“ In der Schule sei das kein Thema gewesen, in seiner Familie habe man aber darüber gesprochen.

Samy wird in ein paar Monaten gehen, wir fahren jetzt. Es bleiben wieder Bilder. Der Asylbewerber war im Leben nicht Teil dieser Stadt, sein Tod ist es auch nicht. Sichtbare Spuren hat die Tat kaum hinterlassen. Meinungen gibt es wohl, aber ein Wissen darum, was am 13. Februar 1999 in Guben geschah, fehlt ebenso wie eine politische Diskussion in der Stadt. Letzteres umfasst allerdings weitaus mehr. Es ist die Teilnahmslosigkeit, die einem in Guben auffällt. Die Oberfläche der Stadt hat sich verändert. Millionen Euro sind in den Stadtumbau geflossen. Das politische Leben scheint davon unberührt. Von einer aktiven Debatte darüber, wie die Gubener leben wollen, ist nichts zu bemerken. Alles geht seinen Gang. Die Neonazis sind nachgewachsen. Nur die Konflikte um sie sind weniger geworden, weil ihnen die unmittelbaren Gegner abhanden gekommen sind.

 

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Eine sehr deutsche Geschichte http://www.re-guben.de/?p=336 http://www.re-guben.de/?p=336#comments Thu, 14 Feb 2013 20:56:01 +0000 http://www.re-guben.de/?p=336 Der folgende Beitrag von Friedrich C. Burschel und Michael Bergmann erschien zuerst in der Jungle World vom 14. Februar 2013.

Farid Guendoul starb 1999 in Guben, als er versuchte, vor Neonazis zu flüchten. 14 Jahre nach der „tödlichen Hetzjagd“ will sich dort kaum jemand an das Opfer rassistischer Gewalt erinnern.

Um Menschen zu treffen, die Ende der neunziger Jahre in Guben gegen Neonazis aktiv waren, muss man schon lange nicht mehr in die Lausitz fahren. Sie sind fast alle fortgezogen. Viele von ihnen leben jetzt in Leipzig. In den Jahren um die Jahrtausendwende sahen viele angesichts der sich ausbreitenden Neonazi-Gruppierungen und des allgemeinen gesellschaftlichen Klimas in der Stadt keine andere Möglichkeit.

Lukas A. ist heute Anfang 40 und hat 34 Jahre seines Lebens in Guben verbracht. „Ich hatte schlicht keine Perspektive mehr in der Stadt“, sagt er, ein Satz, der von fast allen befragten ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohnern Gubens zu hören war. Damit meinen sie nicht nur eine berufliche Perspektive – es geht ihnen immer auch um die gesellschaftlichen Zustände, um den Alltag. „Schon früh war ich antifamäßig unterwegs und hatte irgendwann mehrere Generationen alternativer Jugendlicher erlebt“, sagt Lukas. „Man fing immer wieder bei null an, man hatte das Gefühl, auf der Stelle zu treten.“

Dabei war die Gubener Antifa bereits kurz nach dem Mauerfall entstanden. Die Neonazi-Gruppen wuchsen allerdings schneller und fingen bald an, Jagd auf Menschen zu machen, die nicht in ihr Weltbild passten. Lukas A. und seine Freundinnen und Freunde gehörten zu den wenigen, die von Anfang an versuchten, diese Entwicklungen zu bekämpfen.

Es sei eine sehr unruhige, aufreibende, nervöse Zeit gewesen, erinnern sich Eva R. und Ute C. Eva R. ist ebenfalls Anfang 40 und pendelte zuletzt täglich zu ihrer Arbeitsstelle nach Cottbus, damit sie in Guben bleiben und ihr Kind dort eine „unbeschwerte Schulzeit“ haben konnte. Obwohl sie sich ihrer Stadt „verbunden“ fühle, weiß sie kaum Positives über Guben zu erzählen. So erinnert sie sich an eine Arbeitskollegin: „Sie sprach nicht akzentfrei deutsch und hat ihre Tochter gebeten, im Freien nicht mit ihr zu sprechen, damit niemand hört, woher sie kommen.“ Diese Episode verdeutlicht für Eva, „welche Angst sie hatten“. Daran habe sich bis heute kaum etwas geändert, ergänzt Ute: „Vor dem Kaufland begegnet man Menschen, die Thor-Steinar-Jacken tragen, oder es werden Unterschriften zur Wiedereinführung der Todesstrafe gesammelt. In einer Großstadt wie Leipzig kann man das offen und laut anprangern. In Guben macht das niemand.“ Sie erwähnt aber nicht nur negative Erlebnisse im Guben der Jahrtausendwende und erinnert etwa an das antirassistische Sommercamp, das im nahen Forst im Jahr 2000 organisiert wurde, und an die Begegnungen mit auswärtigen Antifaschisten auf Demonstrationen. „Wütend und traurig“ bleibe Ute trotzdem, denn „die Jahrestage, die an die Opfer rassistischer Gewalt und Morde erinnern, kommen und gehen, aber nur wenige setzen sich tatsächlich gegen Rassismus ein.“

Im vergangenen Jahrzehnt haben viele Leute nicht nur Guben, sondern die gesamte Lausitz verlassen. Die Gründe sind immer dieselben: Keine Arbeit, fehlende Alltagskultur, Perspektivlosigkeit. Für Antifaschisten zählen aber auch der Schock nach der rassistischen Hetzjagd vom 13. Februar 1999, die zermürbenden Kämpfe um die gesellschaftliche Ächtung der Tat und der Täter, die fehlende Anerkennung der Opfer sowie die allgemeine gesellschaftliche Ignoranz zu den wichtigsten Gründen, warum sie diesen Ort verlassen haben.

In der Nacht des 13. Februar 1999 wurden Farid Guendoul, Issaka K. und Kahled B. von elf deutschen Jugendlichen im Gubener Stadtteil Obersprucke angegriffen. Die Täter waren Angehörige der rechten Schlägerszene sowie aktive Neonazis. In dieser Nacht waren sie, aufgeputscht von der Musik der Neonaziband „Landser“, auf der Suche nach „Ausländern“ (s. Seite 4). Die angegriffenen Flüchtlinge aus Algerien und Sierra Leone versuchten zu entkommen. Auch wenn sie nicht verstanden, was die Jugendlichen brüllten, wussten sie sofort, dass sie in höchster Gefahr waren. Einigen der Verfolger gelang es, Kahled B. einzuholen. Sie traten ihn, bis er ohnmächtig auf der Straße liegen blieb.

Farid Guendoul und Issaka K. suchten Schutz im Hauseingang der Hugo-Jentsch-Straße 14. Guendoul trat in seiner Panik die Türscheibe ein und verletzte sich dabei an der Beinschlagader. Der 28jährige Algerier verblutete wenig später im Treppenhaus.

Das Gerichtsverfahren gegen die elf jungen Männer endete im November 2000 vor dem Landgericht Cottbus: Acht von ihnen wurden der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen. Das Strafmaß bewegte sich zwischen drei Jahren Haft und einer richterlichen Verwarnung. Erst der Bundesgerichtshof trug im Revisionsverfahren dem Vorsatz Rechnung und bewertete im Oktober 2002 die Tat als versuchte Körperverletzung mit Todesfolge. Auf das Strafmaß hatte dies keinen Einfluss.

Das Gerichtsverfahren wurde von einem gleichbleibend hohen Medieninteresse begleitet. Das gehörte zu den Besonderheiten des Umgangs mit der rassistischen Tat, die als „tödliche Hetzjagd von Guben“ bekannt geworden ist, und die in eine Zeit fiel, in der der öffentliche Diskurs über Neonazis einen Wandel erlebte. Denn Guben war und ist kein Einzelfall: Mindestens 180 Menschen sind in Deutschland seit 1990 von Neonazis getötet worden. Die Reaktionen auf die rassistischen Taten haben sich in diesen Jahren oft geähnelt: Es findet sich immer irgendein Politiker, der das Geschehen herunterspielt; die Existenz einer lokalen rechten Szene wird geleugnet; die Opfer werden selbst für das Geschehene verantwortlich gemacht. Nach dem üblichen Aufschrei der „Zivilgesellschaft“, nach antifaschistischen Demonstrationen und den obligatorischen Forderungen nach einem Verbot der NPD kehrt spätestens mit der Verkündung eines Gerichtsurteils wieder Ruhe ein. An den ersten Jahrestagen werden noch Blumen niedergelegt, vielleicht fordert eine Initiative die Umbenennung einer Straße oder setzt eine Gedenktafel durch. Schulklassen absolvieren die immer gleichen Projekttage über „Toleranz“ und „Demokratie“ und „gegen Extremismus und Gewalt“. Festzustellen bleibt in der Regel, dass sich nichts geändert hat, weder am Fortbestehen mörderischer rechter Gewalt, noch an den immer gleichen Reaktionen darauf.

Die Europabgeordnete Ska Keller (Grüne) hatte als Kreisgeschäftsführerin bis zum vergangenen Jahr noch eine Adresse in Guben. Sie habe kein rein negatives Bild der Stadt, erzählt sie, für sie sei Guben lange einfach Alltag gewesen. Um die Jahrtausendwende suchte auch sie ihren Weg durch die politischen Verwerfungen nach dem Tod von Farid Guendoul. Und auch sie kommt nach langer Erfahrung in der Politik zu dem Schluss: „Anscheinend hat sich über all diese Jahre, alle Jahrestage, alle Gedenksteine und Fernsehreportagen hinweg nichts geändert.“ Sie beklagt, heute wie damals, den Mangel an Empathie, die Wiederkehr der immer gleichen Relativierungen dessen, was in der Nacht des 13. Februars geschah, und die Larmoyanz eines Gemeinwesens, das sich bis heute für das eigentliche Opfer der ganzen Tragödie hält. „Ich habe das Gefühl, dass gerade wieder niemand aufpasst in Guben“, sagt sie mit Blick auf die örtliche Neonaziszene und die trügerische Ruhe, die derzeit in der Stadt herrscht. Aber wer könnte das auch sein? Die wenigen aktiven Antifaschisten sind abgewandert oder infolge frustrierender Ausein­andersetzungen verstummt.

Presseanfragen zum Thema Neonazis stoßen bei Politikerinnen und Politikern in Guben nach wie vor auf wenig Begeisterung. So antwortete der örtliche SPD-Vorsitzende Günther Quiel, über dieses Thema sei schon „so viel Verwirrendes“ geschrieben und geäußert worden, „und immer zum Nachteil dieser ohnehin problematischen Stadt“. Umso mehr bemühen sich die politischen Institutionen, ein Stück kleinstädtischer Idylle zu präsentieren. Der kommissarische Bürgermeister Fred Mahro (CDU) berichtete etwa vom Neujahrsempfang und dem Stadtfest, die gemeinsam mit der polnischen Nachbarstadt Gubin begangen werden, und verweist auf eine „Schule ohne Rassismus“ im Ort. Er betonte, rechte Tendenzen würden nicht unterschätzt, es gebe „aber auch keinerlei Veranlassung“, dieses Thema „zu dramatisieren“. Das brandenburgische Innenministerium erklärte auf eine Anfrage der Jungle World, Guben sei keine „Problemregion“, dass die Situation dort aber „wegen des vergleichsweise hohen rechtsextremistischen Personenpotentials und wegen des Gewalttäters Alexander Bode Sorge“ bereite.

Bode, der Haupttäter des tödlichen Angriffs vom 13. Februar 1999, ist nämlich seit 2008 Stellvertretender Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Lausitz. Nach dem Tod von Guendoul war der damals 21jährige zu zwei Jahren Jugendknast verurteilt worden. Kein Grund zur Sorge, findet Bürgermeister Mahro, der in der NPD „eine in sich geschlossene Gruppierung“, sieht „die mit ihrem Gedankengut bei den Gubenern keine Aufmerksamkeit erregt“. Doch die NPD konnte mit 4,3 Prozent der Stimmen in die Stadtverordnetenversammlung einziehen. Zum Abgeordneten Marco Neuling sagte Mahro, dieser spiele in der politischen Arbeit „keine Rolle“.

Auf die Frage, ob und wie in Guben an den Tod von Farid Guendoul erinnert werde, verwies der Bürgermeister auf den Gedenkstein, an dem sowohl die Kirche als auch die Parteien jährlich eine Mahnveranstaltung durchführten. Edeltraud Mäser vom Ortsverband der Partei „Die Linke“ zeigte sich über diese Antwort verwundert: „Ich habe in den vergangenen Jahren weder Fred Mahro noch andere Vertreter der Stadt am Gedenkstein gesehen.“ Ausgerechnet dieses Jahr hätten sich jedoch Vertreter der Stadtverwaltung zur Veranstaltung am Gedenkstein angekündigt, sagte Peter Stephan, einer der Organisatoren des jährlichen Gedenkens.

„Niemand ist vergessen“, lautete eine der Parolen vieler Gedenkinitiativen und auf zahllosen Demonstrationen der neunziger Jahre. Guben ist nur ein Beispiel von vielen. Eine Handvoll Leute gibt es dort noch, die Farid Guendoul nicht vergessen wollen. Möglicherweise werden auch sie bald die Stadt verlassen. Vielleicht wird auch Farid Guendouls Familie irgendwann zum Gedenkstein nach Guben kommen. Dass sie dort auf jemanden treffen, der die Geschichte kennt, wird immer unwahrscheinlicher.

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Die Nacht des 12./13. Februar 1999 in Guben http://www.re-guben.de/?p=35 http://www.re-guben.de/?p=35#comments Wed, 13 Feb 2013 02:10:21 +0000 http://www.re-guben.de/?p=35 Beim folgenden Text handelt es sich um eine Zusammenfassung der Tatnacht auf der Grundlage einer Studie von Michaela Christ, deren ausführliche Darstellung als PDF verfügbar ist.

Am Abend des 12. Februar 1999, einem Freitag, besuchen die Asylbewerber Issaka K. (aus Sierra Leone) und Khaled B. mit ihrem Freund Farid Guendoul (beide aus Algerien) [1] die Diskothek ‚Dance-Club’ im Gubener Stadtteil Obersprucke. Am gleichen Abend treffen sich auch einige junge Männer in der Wohnung von Ronny P. in einem Hochhaus, welches sich unweit der Diskothek befindet. Sie trinken Bier, hören Musik, unter anderem der Gruppe „Landser”, einer Band, die bei rechtsgerichteten Männern überaus beliebt ist und schauen Videos. Der Film „Romper Stomper“ läuft; er erzählt die Geschichte einer Neonaziclique in Melbourne, die Migrant_innen jagt – und manchmal auch totschlägt. Im Laufe des Abends verlassen einige, darunter Alexander Bode, die Wohnung, um noch in eine Disko außerhalb Gubens zu fahren. Gegen 1 Uhr in der Nacht machen sich die anderen auf, um in die an der Bundesstraße gelegene Diskothek ‚Dance-Club’ zu gehen.

Dance-Club

Der ‚Dance-Club’ hat sich in den Abendstunden gefüllt. Kurz vor Mitternacht sind die Kubaner Julio N. und Leonardo G. mit einem Freund angekommen. Eine Gruppe Vietnamesen, Farid Guendoul, Issaka K, Khaled B., sowie ein Zeitsoldat mit seiner Freundin sind unter den Gästen. Auch drei der jungen Männer, die bei dem Videoabend waren, sind, bekleidet mit Bomberjacken, Springerstiefeln und millimeterkurz geschorenen Haaren, im Club. Sie treffen dort Freunde.

Guben, Dance-Club

Guben, Dance-Club

Gegen halb drei kommt es zwischen ihnen und einigen vietnamesischen Gästen zum Streit. Auslöser ist eine Zigarette. David B. sagt später vor Gericht aus, einer der Vietnamesen hätte ihm eine Zigarette an den Kopf geschnippt.

Der Konflikt schwelt an. Die deutschen Jugendlichen telefonieren Verstärkung herbei; vor der Tür kommt es zu Handgreiflichkeiten zwischen ihnen und den vietnamesischen Männern. Anschließend verweigern die Türsteher der deutschen Clique den erneuten Einlass. Als Julio N. und Leonardo G. den ‚Dance-Club’ verlassen wollen, werden sie vor der Tür von den rechtsgerichteten Jugendlichen bedrängt. Leonardo G. geht zurück in den Club, Julio N. wird von einigen Deutschen beleidigt und zu Boden gestoßen. Etwa zur selben Zeit verlassen auch der Soldat und seine Freundin die Disco. Draußen stehen sie vor einer Gruppe erregter Menschen; Ronny P. schreit: „Sind wir Fidschis, dass wir nicht reindürfen?“ und schlägt dem Soldaten mit der Faust ins Gesicht. Der schlägt zurück, Ronny P.s Lippe platzt auf und fängt an zu bluten.

Kurz darauf bekommt der noch am Boden liegende Julio N. ein Stück Metallschiene zu fassen, rappelt sich auf und schlägt, laut schreiend, dem Nächstbesten, den er als Angreifer identifizieren kann – Ronny P. –, zweimal mit der Schiene auf den Rücken. Die Clique der Deutschen läuft weg. Ronny P. klettert über einen Zaun, fällt hin, prellt sich das Knie und schürft sich die Hände auf. An der nahe gelegenen ARAL-Tankstelle verschwindet er in der Toilette. Steffen H. und David B. treffen an der Tankstelle ein, sie erzählen drei anderen aus ihrer Clique von der Schlägerei mit den Vietnamesen. Sie gehen zusammen zurück zum ‚Dance-Club’. Einer von ihnen, Alexander Bode, ist außer sich vor Wut. Es ist kurz vor drei Uhr, als er die Polizei ruft. Noch während sie auf diese warten, telefonieren sie nach weiteren Freunden.

Die Jugendlichen berichten den eingetroffenen Polizisten von einem Streit mit Vietnamesen und geben an, verletzt worden zu sein. Allerdings gibt es keine sichtbaren Wunden. Das Angebot der Polizisten, Anzeige zu erstatten, schlagen sie aus. Sie müssen sich einem Alkoholtest unterziehen und ihre Ausweise vorzeigen. Alexander Bode ist so aufgebracht, dass er dem Einsatzleiter seinen Ausweis vor die Füße wirft.

Als die Polizisten wegfahren, treffen die herbeitelefonierten Freunde ein. Neun junge Männer machen sich nun auf den Weg in eine Gaststätte, um nach weiteren Mitstreitern zu suchen. Sie finden niemanden. Erneut wollen sie nun versuchen, in den ‚Dance-Club’ „einzureiten“. Obwohl von den neun nur zwei überhaupt an den dortigen Ereignissen beteiligt waren, folgen alle diesem Vorschlag Alexander Bodes. Sie fahren zurück; und scheitern erneut am Türsteher.

Jemand telefoniert mit Ronny P. Der erzählt, er sei „von einem Neger mit einer Machete aufgeschlitzt worden“ und liege verletzt in seiner Wohnung. Mit „Neger“ ist wohl der dunkelhäutige Kubaner Julio N. gemeint, und die Machete scheint das gefundene Stück Metall zu sein. Obwohl niemand Ronny P. gesehen hat oder die Verletzungen bestätigen kann, werden seine Aussagen weiter verbreitet.

Hochhaus

Vier Uhr morgens am 13. Februar geht der 43-Jährige Axel S. zu Fuß nach Hause. Er sieht, wie vor dem Hochhaus drei Autos halten. Mehrere junge Männer steigen aus. Sie grölen Parolen. Zwei von ihnen zeigen den Hitlergruß. Da er jemanden aus der Gruppe kennt, geht er hin und spricht ihn an. Einer der Männer kommt auf ihn zu, stößt ihn an und bedeutet ihm, sich zu „verpissen“. Eine Polizeistreife hält an, zwei Beamte steigen aus. Sie begrüßen die jungen Männer und schicken Axel S. weg. Die Polizisten suchen Ronny P. zusammen mit seinen Freunden in dessen Wohnung auf und begutachten seine Verletzungen. Auch hier will niemand Anzeige erstatten.„Das regeln wir selbst“, sagt einer der jungen Männer. Die Beamten rufen einen Krankenwagen. Ronny P. wird, eskortiert von den Wagen seiner Freunde, ins Krankenhaus gebracht. Diese fahren anschließend weiter durch die Stadt. Unterwegs halten sie an einer Baustelle in der Altstadt an und laden Pflastersteine in die Kofferräume ihrer Autos. Einige hundert Meter später werfen drei der Jugendlichen die Scheiben eines Asia-Ladens ein. Die jungen Männer fahren erneut zur ARAL-Tankstelle, sie treffen auf zwei Bekannte, die sich ihnen anschließen: Elf junge Männer in drei Autos machen sich erneut auf den Weg.

Guben, Hochhaus

Guben, Hochhaus

Bundesstraße

Zu dieser Zeit leert sich der ‚Dance-Club’ allmählich. Farid Guendoul, Issaka K. und Khaled B. müssen zu Fuß zurück ins Flüchtlingsheim gehen. Kurz nach ihnen verlässt Diana G. das Lokal. Auch ihr Heimweg führt an der Bundesstraße entlang. Sie sieht etwa 50 Meter vor sich die drei Männer an der Straße gehen, als mehrere Autos ganz langsam neben ihr her fahren. Aus dem ersten Wagen werden Parolen gerufen. Die Autos bleiben stehen, Alexander B. und Steffen H. steigen aus und laufen hinter Diana G. her. Sie rufen: „Hass, Hass, Hass – Ausländer raus.“ Als sie Diana G. erreichen, schüttet einer der beiden Bier über sie. Anschließend steigen sie wieder in ihre Fahrzeuge. Die junge Frau versteckt sich hinter einen Stromkasten und beobachtet, wie die drei Wagen wenige Meter weiter fahren und dann erneut stehen bleiben.

Guben, Cottbuser Straße

Guben, Cottbuser Straße

In einem der Autos singen die Insassen laut die Musik von Landser mit, als Alexander Bode Farid Guendoul, Issaka K. und Khaled B. auf dem gegenüberliegenden Gehweg ausmacht. Auf Alexander Bodes Kommando „Anhalten, da sind Kanaken“ bremst Daniel R. scharf; auch die nachfolgenden Autos bleiben stehen. Aus dem ersten Wagen springen zwei der Jugendlichen. Sie laufen, schreiend – „Wir haben Euch was mitgebracht: Hass, Hass, Hass“ – auf Farid Guendoul, Issaka K. und Khaled B. zu. Auch aus den nachfolgenden Autos steigen Insassen aus. Die drei Asylbewerber sind stehen geblieben, sie sehen und hören die schreienden Männer auf sich zu kommen, machen kehrt und hasten zurück in Richtung ‚Dance-Club’. Sie winken einem vorbeifahrenden Polizeiwagen, der weiter fährt. Als Khaled B., Farid Guendoul und Issaka K. merken, dass sie keine Chance haben, bis zum ‚Dance-Club’ zu gelangen, machen sie kehrt und rennen.

Die Verfolger hasten zurück zu ihren Autos, steigen ein und rasen los, quer über die Straße und hinter den Flüchtenden her. Nach etwa hundert Metern quietschen die Bremsen erneut. Guendoul, Issaka K. und Khaled B. laufen zwischen den stehenden Wagen durch. Dann trennen sich ihre Wege. Khaled B. stürmt über die kleine Grünfläche, die die Bundesstraße von der Hugo-Jentsch-Straße trennt, auf die dort parkenden Autos zu, Farid Guendoul, gefolgt von Issaka K., rennt direkt auf die Häuser der Hugo-Jentsch-Straße zu.

Hugo-Jentsch-Straße

Die Verfolger stürmen los. Zwei der jungen Männer rennen hinter Farid Guendoul und Issaka K. her, drei hinter Khaled B. Einer – Rene K. – erreicht Khaled B. und versetzt ihm einen Fußtritt. Khaled B. stürzt zu Boden, kann sich aber sofort wieder aufrappeln und läuft weiter. Rene K. kommt wieder an ihn heran und tritt mehrfach mit dem Fuß in Khaled B.s Rücken. B. fällt hin, zwischen zwei Autos. Sein Kopf schlägt gegen eine Stoßstange. Der Algerier hält schützend seine Hände über den Kopf, schreit und jammert: „Ich bin tot, ich bin tot … Die Blut! … Mein Auge ist weg.“ Von hinten wirft einer einen Pflasterstein. Er verfehlt sein Ziel. Khaled B. wird ohnmächtig. Rene K. lässt von seinem Opfer ab. Gemeinsam gehen die Verfolger zurück zu den Autos.

Guben, Hugo-Jentsch-Straße

Guben, Hugo-Jentsch-Straße

Farid Guendoul erreicht die Haustür des Wohnhauses Hugo-Jentsch-Straße 14. Sie ist aus Glas. Er tritt die Scheibe ein und kriecht durch das Loch in den Hausflur des Plattenbaus. Er verletzt sich die Schlagader am Knie, Blut läuft an seinem Bein hinunter. Hinter ihm zwängt sich Issaka K. durch die Öffnung. Sie machen kein Licht, laufen hoch in den ersten Stock, dann noch einen Absatz höher. Sie wagen es nicht, an eine der Türen zu klopfen. Farid Guendoul bittet Issaka K., ein Taxi zu holen, damit sie ins Flüchtlingsheim gelangen. Issaka K. läuft wieder hinunter, lugt durch die Tür und sieht einige der Verfolger im Auto auf der Straße. Er berichtet seinem Freund, was er gesehen hat, bemerkt das Blut und beschließt, erneut nach einem Taxi zu schauen. Als er den Hauseingang verlässt, sieht er ein Taxi kommen und erkennt gleichzeitig eines der Autos, das ihn verfolgt hat.

Toms Bistro

Issaka K. springt in das Taxi und versucht zu erklären, dass sein Freund verletzt ist und er ins Flüchtlingsheim will. Der Taxifahrer Olaf R. fährt los, und sieht im Rückspiegel ein Auto, das ihm folgt. Weil ihm die Situation zu unsicher und zu bedrohlich ist, beschließt Olaf R. nicht zum Flüchtlingsheim, sondern zur nächsten Kneipe, ‚Toms Bistro’, zu fahren. Er hält vor dem Gebäude, das Fahrzeug der Verfolger blieb auf der Straße stehen. Olaf R. begleitet Issaka K. hinein und übergibt ihn der Obhut der dortigen Chefin. Als er mit seinem Wagen den Parkplatz verlässt, stehen 6 Jugendliche an dem Auto, einer von ihnen kommt zum Taxi, schaut hinein und brüllt, dass sie nur nachsehen wollen, ob der Ausländer noch drin sei.

Anschließend fordert die Gruppe von der Gastwirtin die Herausgabe von Issaka K. und versucht, in das Bistro zu gelangen. Die Wirtin verhindert dies mit einem Verweis auf ihre Hunde. Alexander Bode und Denny T. rufen die Polizei.

Diese kommt wenig später mit zwei Fahrzeugen. Die Beamten finden Issaka K. auf einem Stuhl sitzend, seine blutigen Hände im Schoß. Sie legen ihm Handschellen an und führen ihn aus der Gaststätte. Die jungen Männer bedrängen zuerst die Polizisten, dann bilden sie eine Gasse durch die Issaka K. gefesselt zum Polizeiwagen geführt werden kann.

Polizeiwache

Die beiden Polizeifahrzeuge fahren los, gefolgt von den Jugendlichen in ihren Autos. Im ersten Polizeiwagen sitzt K., immer noch in Handschellen. Einsatzleiter W. fährt den zweiten Wagen, unterwegs fordert er Verstärkung an. An einer Kreuzung bei grüner Ampel bleibt W. stehen, um dem ersten Wagen einen Vorsprung zu geben. Aus einem der nachfolgenden Autos der jungen Männer springt Daniel R., trommelt mit den Händen auf das Dach des Polizeifahrzeugs, beschimpft den Einsatzleiter und fordert ihn barsch zum Weiterfahren auf.

W. bleibt noch eine Weile stehen und fährt dann, ohne die Verstärkung abzuwarten, mit der Gruppe im Schlepptau ebenfalls zur Wache. Kurz nachdem Issaka K. dort eingetroffen war, erreichen auch die Verfolger das Gelände. Zwischen ihnen und einem Polizeibeamten kommt es vor dem Zugang zu heftigen Diskussionen. Wenig später versuchen die jungen Männer, über den Zaun auf das Gelände der Polizeiwache zu kommen. Die Beamten geben um 5:20 Uhr zwei Notrufe an den Bundesgrenzschutz ab, in denen es heißt, die Polizeiwache werde belagert, Jugendliche versuchten über den Zaun zu steigen.

Hugo-Jentsch-Straße

Zur gleichen Zeit, um 5:18 Uhr stellt der Notarzt in der Hugo-Jentsch-Str. 14 den Tod Farid Guendouls fest. Vom Aufbruch in der Disko bis zum Tod im Treppenhaus in der Hugo-Jentsch-Straße sind keine 30 Minuten vergangen. Furcht und Panik haben seinen Puls rasen und sein Herz häufiger als gewöhnlich schlagen lassen. Dies führte dazu, dass das Blut noch schneller aus seinem Körper gepumpt wurde. Nachbarn, die von Geräuschen im Treppenhaus geweckt wurden, hatten ihn schließlich gefunden.

Khaled B. erwacht um kurz nach fünf aus seiner Ohnmacht. Er läuft zum ‚Dance-Club’, der Wirt öffnet ihm die Tür. Khaled B. erzählt, er sei überfallen worden und bittet, die Polizei zu rufen.

Guben, Hugo-Jentsch-Straße

Guben, Hugo-Jentsch-Straße

Polizeiwache

Nach etwa 10 Minuten kommen vier bis fünf Beamte des Bundesgrenzschutzes in die Diskothek gestürmt. Khaled B. versucht zu erklären, was passiert ist und dass er nicht weiß, was mit seinen Freunden ist. Man sagt ihm, er solle abwarten und nimmt ihn mit zur Wache. Dort sieht er hinter einer Glasscheibe Issaka K. in Handschellen. Diese werden die Beamten ihm erst gegen Mittag abnehmen. Die beiden Überlebenden wollen sich durch Zeichensprache verständigen, die Polizisten unterbinden es. Khaled B. will eine Aussage machen, aber die Beamten nehmen sie nicht auf und entlassen ihn ohne eine Erklärung. Er geht nach Hause, da Farid Guendoul nicht da ist, fährt er ins Krankenhaus, um dort nach ihm zu fragen und sich untersuchen zu lassen. Das Krankenpersonal erzählt ihm, dass Farid Guendoul gestorben sei. Ihm selbst wird die Behandlung verweigert, weil er keinen Krankenschein vorweisen kann.

Guben

Nach den erfolglosen Versuchen, in die Polizeiwache zu gelangen, fährt einer der Jugendlichen nach Hause. Die anderen zehn fahren zum ‚Drachenstübchen’, einem asiatischen Restaurant, und werfen dort die Scheiben ein. Neue Pflastersteine hatten sie vorher an einer Baustelle besorgt. Danach geht es zu Ronny P. in die Wohnung. Nach kurzer Zeit beschließen fünf der jungen Männer noch einmal in die Hugo-Jentsch-Straße zu fahren, angeblich, weil einer von ihnen seinen Schlüssel verloren hat. Dort werden sie um 5:58 Uhr von der Polizei aufgegriffen und festgenommen. Die anderen sechs Jugendlichen werden im Laufe des Tages verhaftet.

[1] Farid Guendoul kam nach Deutschland, weil er in Algerien wegen Desertion gesucht wurde. Er stirbt im Verlauf der Nacht, deshalb ist sein Name hier nicht anonymisiert. Auch den Namen von Alexander Bode als einem der Täter schreiben wir im Folgenden aus. Er wurde im Zuge des Gerichtsverfahrens vor dem Cottbuser Landgericht als einer der Haupttäter identifiziert. Nach seiner Haftstrafe kehrte er nach Guben zurück. Hier war er nicht nur an zahlreichen Angriffen beteiligt, er kandidierte zudem im September 2008 bei den Kommunalwahlen für die NPD.

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Guben im 15. Jahr nach dem Tod Farid Guendouls http://www.re-guben.de/?p=88 http://www.re-guben.de/?p=88#comments Wed, 13 Feb 2013 02:05:37 +0000 http://www.re-guben.de/?p=88

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RE:GUBEN. Oder was bisher geschah http://www.re-guben.de/?p=55 http://www.re-guben.de/?p=55#comments Wed, 13 Feb 2013 02:00:32 +0000 http://www.re-guben.de/?p=55 In den Morgenstunden des 13. Februars 1999 starb in Guben der 28-jährige algerische Flüchtling Farid Guendoul in einem Hauseingang, nachdem er und seine beiden Freunde – Issaka K. aus Sierra Leone und Khaled B., ebenfalls aus Algerien – von einer Meute rechter Jugendlicher gejagt worden waren. Im Vergleich zu den meisten anderen rassistisch oder rechtsmotivierten Gewalttaten war der Tod von Farid Guendoul über Monate ein Thema in der medialen Öffentlichkeit – mit großer Empathie für das/die Opfer. Kein Verständnis indes fanden die Reaktionen der Stadt und der Region; die handelnden Akteur/innen (Angeklagte, Verteidiger, Staatsanwaltschaft und Richter) in dem 17-monatigen Verfahren vor dem Landgericht Cottbus und das erstinstanzliche Urteil; die andauernden Übergriffe auf Nichtrechte, Ausländer/innen und den kurz nach der Tat bereits gesetzten Gedenkstein im Stadtteil Obersprucke: Das Geschehen blieb bis Ende 2000 medial ungewöhnlich präsent. Derweil schienen es die Einwohner/innen und die politisch Verantwortlichen der Stadt und der nahen Umgebung darauf angelegt zu haben, die allgemeinen Vorurteile über die ostdeutsche Provinz zu bestätigen: eine grundsätzliche Abwehr dem Thema gegenüber, die Weigerung, sich mit den rechtsextremen und rassistischen Potenzialen in der eigenen Bevölkerung zu befassen, eine Verkehrung der Täter-Opfer-Verhältnisse in der Tatnacht, Schuldzuweisungen an die Opfer, die Presse, die Antifa und „Auswärtige“ allgemein, kurzum, eine „Wagenburgmentalität“ machte sich breit, in der alles, was von „außen“ kam, als Angriff auf das eigene Gemeinwesen wahrgenommen und abgewehrt wurde.

Die Zeit gab den Gubener/innen Recht: Alle Verantwortung für den Umgang mit den Ereignissen vom 13. Februar 1999 wurde dem Cottbuser Landgericht zugeschoben. Und als dieses die Tat als „fahrlässige Tötung“ verurteilte und die meisten der Täter auf freiem Fuß blieben, konnte man sich in Guben bestätigt sehen: Es war ein „tragischer“ Unfall, für den kein Gubener/keine Gubenerin die Verantwortung trug.

Die mediale Aufmerksamkeit ließ nach, als nichts mehr passierte, über das es sich zu berichten lohnte. Aber auch ein Gedenken an den Toten, von dem man meinen könnte, dass es nicht abhängig ist von Ereignissen oder der Presse, fand kaum statt. Es gab niemanden in der Stadt selbst, dem dies ein Anliegen war oder der das nötige Durchhaltevermögen besaß, es gegen den Willen der Mehrheit dauerhaft zu etablieren. Bestenfalls kleine Gesten der Erinnerung gab es am Todestag seit 2001: Einzelpersonen, welche die Notwendigkeit einer politischen Auseinandersetzung und/oder eines Gedenkens immer wieder anmahnten, 100 Gubener/innen, die 2001 eine Patenschaft für den Gedenkstein übernahmen, um dessen Pflege zu garantieren, eine bundesweit mobilisierte antifaschistische Demonstration im Jahr 2005 und einige zivilgesellschaftlich motivierte Aktionen zum 10. Todestag.

Farid Guendoul ist eines von mindestens 150 Opfern rassistischer und/oder rechtsextremer Gewalt in Deutschland seit 1990. Und auch wenn seinem Tod das Privileg großer öffentlicher Aufmerksamkeit zu Teil wurde, war er „Nur ein Toter mehr…“. Die Reaktionen auf derartige Taten gleichen sich so sehr, dass sie häufig identisch sind: Abwehr und Leugnung bei den städtischen Verantwortlichen auch noch Jahre später; bestenfalls Betroffenheit bei einigen wenigen Bürger/innen; Verständnis für die Täter; eine in der Regel kleine Antifagruppe, die versucht, die Erinnerung an den Toten, den Umgang mit der Tat und rechtsextreme Gruppierungen zu thematisieren; Gerichtsurteile, die den Ereignissen und den Empfindungen von Hinterbliebenen und Freund/innen nicht gerecht werden können und die trotzdem als abschließende Festsetzung und Einordnungen dienen. So auch in Guben: Man darf nicht „Mord“ sagen, weil es nach juristischen Maßstäben kein Mord war. Die fehlenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, die zu einem anderen Urteil kommen könnten, weil sie über die justiziablen Zuschreibungen hinausgehend andere Kriterien von Schuld anwenden, fanden und finden nicht statt.

Am Ende bleibt in der Regel Schweigen. Und nur noch die großen Jahrestage führen zu vorhersehbaren Betroffenheitsgesten.

Guben, Gedenkstein für Farid Guendoul

Guben, Gedenkstein für Farid Guendoul

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