RE:GUBEN » Reportage http://www.re-guben.de fragt nach den Folgen des Todes Farid Guendouls, der am 13. Februar 1999 auf der Flucht vor einer Gruppe Neonazis in Guben starb. Was geschah in jener Nacht? Wie wurde mit der Tat umgegangen? Wie kann Gedenken gestaltet werden? Wie reagieren Politik und Gesellschaft? Fri, 02 May 2014 16:27:31 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.8 Nach der verlorenen Zeit http://www.re-guben.de/?p=339 http://www.re-guben.de/?p=339#comments Thu, 14 Feb 2013 21:06:32 +0000 http://www.re-guben.de/?p=339 Der folgende Beitrag von Alexandra Klei und Daniel Krüger erschien zuerst in der Jungle World vom 14. Februar 2013.

Die Prozessbeobachtungsgruppe Guben begleitete von 1999 bis 2002 das Gerichtsverfahren wegen des rassistischen Angriffs, der in der Politik und den Medien als „Hetzjagd von Guben“ bekannt wurde. Zwei damalige Mitarbeiter des Projekts haben die Kleinstadt an der Neiße besucht. Ein Spaziergang durch Guben.

Wir fahren auf der Cottbuser Straße nach Guben hinein. Bereits an der ersten Ampel stehen wir mitten in Erinnerungen: links die Aral-Tankstelle, ein Stück weiter ein Flachbau, der „Dance Club“, vorne rechts die Hugo-Jentsch-Straße. Einmal abbiegen, da liegt schon Obersprucke.

Es sind Orte des Geschehens jener Nacht zum 13. Februar vor 14 Jahren. Hier trafen sich die Täter, hier brachten sie sich in Stimmung, hier jagten sie Farid Guendoul, Khaled B. und Issaka K. durch die Straßen. Hier starb der 28jährige Guendoul.

Für uns sind diese Orte Geschichte. Sie sind gebunden an die Gerichtsaussagen über die Abfolge der Ereignisse, an die Berichte der Opfer über ihr Erleben, an die Versuche, sich vorzustellen, was in dieser Nacht genau geschah. Dabei gibt es viele Bilder, die irreal wirken. Etwa wie die beiden Glatzköpfe Steffen H. und Ronny P. in ihren grünen Bomberjacken erst den Film „Romper Stomper“ anschauen und dann in der Diskothek „Dance Club“ die Auseinandersetzung mit Vietnamesen suchen. Wie P. den Kürzeren zieht und sich das Gerücht verbreitet, er sei mit einer Machete aufgeschlitzt worden, wie sich der Mob zusammenrottet und auf der Suche nach Ausländern herumfährt. Wie sie schließlich aus ihren Autos springen und losstürmen, als sie die drei Männer aus Algerien und Sierra Leone erblicken.

Dann gibt es das reale Bild des blutverschmierten Treppenhauses in der Hugo-Jentsch-Straße 14. Das alles ist hier passiert. Die Ampel schaltet jetzt auf grün.

Wir sind heute nach Guben gefahren, um uns ein Bild zu machen. Wir haben uns 1999 und in den folgenden Jahren eingemischt. Wir haben die Opfer und die Angehörigen des Toten begleitet, das Gerichtsverfahren verfolgt und ein Buch über den Fall herausgegeben. („Nur ein Toter mehr. Alltäglicher Rassismus in Deutschland und die Hetzjagd von Guben“. Herausgegeben von der Prozessbeobachtungsgruppe Guben, Unrast-Verlag, 2001, Anm. d. Red.) Jetzt sind wir wieder am Ort des Geschehens, um zu sehen, was geblieben und was neu entstanden ist.

Auf der Fahrt haben wir uns über das öffentliche Bild der Stadt unterhalten. Im Laufe der Jahre ist so etwas wie die typische Guben-Reportage mit ihren eigenen Topoi entstanden. Eine kurze Darstellung der Tat gehört selbstverständlich dazu, die Biographie des Toten nicht. Auch wir kennen sie nicht im Detail. Vielmehr richtet sich die Aufmerksamkeit auf Guben, auf die Zeichen des Verfalls der Stadt und deren Umbau, auf die lokale Politik und die immer „schweigende Mehrheit“.

Es geht nicht nur um die hiesige rechtsextreme Szene mit ihrem „Chef“ Alexander Bode, einem der Haupttäter von 1999. Die Reportagen handeln von Plattenbauten und Industriebrachen, Abwanderung und Arbeitslosigkeit, vom – inzwischen vorläufig des Dienstes entbundenen – Bürgermeister und seiner Frage, was die Asylbewerber nachts auf der Straße zu suchen hätten, von Wagenburgmentalität und Leuten auf der Straße, die einen stumpfen Rassismus präsentieren. Das kann man alles in Guben finden – sehr leicht. Auch die Erwartungen über die ostdeutsche Provinz lassen sich hier schnell bestätigen und einfache Erklärungen für die Existenz von Neonazis finden. Wir wollen wissen, ob diese Bilder heute noch zutreffen. Oder hat sich vielleicht etwas verändert? Wir machen uns auf die Suche.

Einer der ersten Menschen, denen wir in Guben-Obersprucke auf der Straße begegnen, ist ein Fahrradfahrer. Das Rad ist klapprig, der Mann hat lange Haare und trägt einen Mittelscheitel. Auf dem Rücken seines Kapuzenpullovers steht „Hooligan“. Er heißt Markus Noack und ist einer von zwei NPD-Abgeordneten im Kreistag Spree-Neiße. Manchmal trägt er dort mit mäßigem Einsatz Anfragen vor, die von der Kommunalpolitischen Vereinigung der NPD unter den Mandatsträgern der Partei herumgereicht werden. Er ist aber auch einer, der immer mit Fahne oder Transparent dabei ist, wenn der NPD-Kreisverband Lausitz seine Demonstrationen und Kundgebungen abhält. Noack war zehn Jahre alt, als Farid Guendoul starb. Jetzt fährt er weiter. Guben macht es einem nicht leicht, ohne Klischees auszukommen.

Guben, Hochhaus

Guben, Hochhaus

Wir stehen in Obersprucke vor dem Hochhaus. Es heißt das Hochhaus, weil es das einzige ist. Gebaut wurde es Anfang der sechziger Jahre, als die realsozialistische Stadt einen industriellen Boom erlebte und neue Wohnkomplexe entstanden. Heute steht das Gebäude leer, ist abgesperrt und dem Verfall überlassen. Seinen letzten Zweck erfüllt es als Träger der Telekommunikationsantennen auf dem Dach. Ansonsten ist das privatisierte Haus ein Mahnmal des Niedergangs und zugleich ein Symbol für Gubener Ambivalenz, denn es steht im Zentrum eines Stadtteils, der in den vergangenen Jahren fast flächendeckend saniert und umgebaut wurde.

Doch deshalb stehen wir nicht hier. Das Haus war in der Nacht zum 13. Februar 1999 auch der Ausgangspunkt der Gubener Hetzjagd. Ronny P. wohnte hier. Ein Teil der späteren Täter sammelte sich bei ihm. Am Hochhaus trafen auch Polizisten auf den aufgehetzten Mob – und taten nichts, um die Jugendlichen zu stoppen. Für wen spielen diese Details der Tatnacht heute noch eine Rolle?

Das einzige Zeichen, welches an Farid Guendoul und dessen Tod erinnert, ist ein Gedenkstein. Er ist in eine Wiese an der Hugo-Jentsch-Straße eingelassen, ein paar Meter vom Tatort entfernt. Der Wohnblock, in dem der junge Algerier starb, wurde im Zuge des Stadtumbaus allerdings abgerissen. So liegt der Stein heute abseits und niemand muss sich durch seine Existenz diskreditiert fühlen. Angesichts der Mischung aus Gewöhnung und Vergessen findet er kaum mehr Beachtung. Lediglich am Jahrestag trifft sich hier eine Handvoll Gubener und legt Blumen nieder.

In diesem Wohngebiet haben die Neonazis nur wenige Spuren hinterlassen. Ein offensichtlich einige Jahre altes Graffito für Rudolf Heß ist übertüncht worden. Daneben sieht man ein paar verwitterte Aufkleber. Neuer zu sein scheinen kleine Edding-Kritzeleien auf Hauswänden gegen das Verbot der „Widerstandsbewegung in Südbrandenburg“. Gubener sind präsent in der rechtsextremen Szene der Region. Die Markierungen im öffentlichen Raum spiegeln das nicht wider, dieser ist auch nicht mehr umkämpft – Anti-Nazi-Parolen finden wir nicht.

Am Wilhelm-Pieck-Monument – dem Denkmal für den KPD- und SED-Politiker, der von 1949 bis 1960 Präsident der DDR war und in Guben geboren wurde – zeigt ein Foto auf einer Tafel Demonstranten, die sich hier 1989 versammelten. Der Platz war gefüllt mit Menschen. Jetzt herrscht hier Leere zwischen sanierten Wohnblocks. Im vergangenen Sommer hat die NPD am Monument eine Kundgebung abgehalten. Etwa 20 in Reihe aufgestellte und Fahnen schwenkende Leute. Protest dagegen? Fehlanzeige. Publikum? Gibt es auch nicht.

Die „schweigende Mehrheit“ verrät nicht, ob sie dafür oder dagegen ist. Was die Einzelnen denken, bleibt im Privaten. Wir vermuten, dass dort eine rhetorische Frage sehr häufig gestellt wird: was einen das alles anginge. Manche der wenigen Menschen, denen wir auf unserem Weg durch die Stadt begegnen, sind freundlich, andere wirken zurückgezogen und verschlossen. Wir versuchen, ihr Alter zu schätzen. Es gelingt uns kaum. Sie scheinen aus der Zeit herausgefallen zu sein. Wir spazieren durch eine Stadt, in der Resignation und Warten Alltag geworden sind.

Wir unterhalten uns mit Samy, der noch zur Schule geht und erzählt, er wolle aus Guben wegziehen, sobald er sie abgeschlossen hat. Samy ist unangepasst, er ist einer der wenigen Jugendlichen, die sich hier als links verstehen. Er spricht von seiner Wahrnehmung der Stadt, von den Neonazis und von den Schwierigkeiten, gegen sie aktiv zu werden. Auf die Frage, was er vom Tod Farid Guendouls wisse, sagt er: „Sehr wenig.“ In der Schule sei das kein Thema gewesen, in seiner Familie habe man aber darüber gesprochen.

Samy wird in ein paar Monaten gehen, wir fahren jetzt. Es bleiben wieder Bilder. Der Asylbewerber war im Leben nicht Teil dieser Stadt, sein Tod ist es auch nicht. Sichtbare Spuren hat die Tat kaum hinterlassen. Meinungen gibt es wohl, aber ein Wissen darum, was am 13. Februar 1999 in Guben geschah, fehlt ebenso wie eine politische Diskussion in der Stadt. Letzteres umfasst allerdings weitaus mehr. Es ist die Teilnahmslosigkeit, die einem in Guben auffällt. Die Oberfläche der Stadt hat sich verändert. Millionen Euro sind in den Stadtumbau geflossen. Das politische Leben scheint davon unberührt. Von einer aktiven Debatte darüber, wie die Gubener leben wollen, ist nichts zu bemerken. Alles geht seinen Gang. Die Neonazis sind nachgewachsen. Nur die Konflikte um sie sind weniger geworden, weil ihnen die unmittelbaren Gegner abhanden gekommen sind.

 

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Eine sehr deutsche Geschichte http://www.re-guben.de/?p=336 http://www.re-guben.de/?p=336#comments Thu, 14 Feb 2013 20:56:01 +0000 http://www.re-guben.de/?p=336 Der folgende Beitrag von Friedrich C. Burschel und Michael Bergmann erschien zuerst in der Jungle World vom 14. Februar 2013.

Farid Guendoul starb 1999 in Guben, als er versuchte, vor Neonazis zu flüchten. 14 Jahre nach der „tödlichen Hetzjagd“ will sich dort kaum jemand an das Opfer rassistischer Gewalt erinnern.

Um Menschen zu treffen, die Ende der neunziger Jahre in Guben gegen Neonazis aktiv waren, muss man schon lange nicht mehr in die Lausitz fahren. Sie sind fast alle fortgezogen. Viele von ihnen leben jetzt in Leipzig. In den Jahren um die Jahrtausendwende sahen viele angesichts der sich ausbreitenden Neonazi-Gruppierungen und des allgemeinen gesellschaftlichen Klimas in der Stadt keine andere Möglichkeit.

Lukas A. ist heute Anfang 40 und hat 34 Jahre seines Lebens in Guben verbracht. „Ich hatte schlicht keine Perspektive mehr in der Stadt“, sagt er, ein Satz, der von fast allen befragten ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohnern Gubens zu hören war. Damit meinen sie nicht nur eine berufliche Perspektive – es geht ihnen immer auch um die gesellschaftlichen Zustände, um den Alltag. „Schon früh war ich antifamäßig unterwegs und hatte irgendwann mehrere Generationen alternativer Jugendlicher erlebt“, sagt Lukas. „Man fing immer wieder bei null an, man hatte das Gefühl, auf der Stelle zu treten.“

Dabei war die Gubener Antifa bereits kurz nach dem Mauerfall entstanden. Die Neonazi-Gruppen wuchsen allerdings schneller und fingen bald an, Jagd auf Menschen zu machen, die nicht in ihr Weltbild passten. Lukas A. und seine Freundinnen und Freunde gehörten zu den wenigen, die von Anfang an versuchten, diese Entwicklungen zu bekämpfen.

Es sei eine sehr unruhige, aufreibende, nervöse Zeit gewesen, erinnern sich Eva R. und Ute C. Eva R. ist ebenfalls Anfang 40 und pendelte zuletzt täglich zu ihrer Arbeitsstelle nach Cottbus, damit sie in Guben bleiben und ihr Kind dort eine „unbeschwerte Schulzeit“ haben konnte. Obwohl sie sich ihrer Stadt „verbunden“ fühle, weiß sie kaum Positives über Guben zu erzählen. So erinnert sie sich an eine Arbeitskollegin: „Sie sprach nicht akzentfrei deutsch und hat ihre Tochter gebeten, im Freien nicht mit ihr zu sprechen, damit niemand hört, woher sie kommen.“ Diese Episode verdeutlicht für Eva, „welche Angst sie hatten“. Daran habe sich bis heute kaum etwas geändert, ergänzt Ute: „Vor dem Kaufland begegnet man Menschen, die Thor-Steinar-Jacken tragen, oder es werden Unterschriften zur Wiedereinführung der Todesstrafe gesammelt. In einer Großstadt wie Leipzig kann man das offen und laut anprangern. In Guben macht das niemand.“ Sie erwähnt aber nicht nur negative Erlebnisse im Guben der Jahrtausendwende und erinnert etwa an das antirassistische Sommercamp, das im nahen Forst im Jahr 2000 organisiert wurde, und an die Begegnungen mit auswärtigen Antifaschisten auf Demonstrationen. „Wütend und traurig“ bleibe Ute trotzdem, denn „die Jahrestage, die an die Opfer rassistischer Gewalt und Morde erinnern, kommen und gehen, aber nur wenige setzen sich tatsächlich gegen Rassismus ein.“

Im vergangenen Jahrzehnt haben viele Leute nicht nur Guben, sondern die gesamte Lausitz verlassen. Die Gründe sind immer dieselben: Keine Arbeit, fehlende Alltagskultur, Perspektivlosigkeit. Für Antifaschisten zählen aber auch der Schock nach der rassistischen Hetzjagd vom 13. Februar 1999, die zermürbenden Kämpfe um die gesellschaftliche Ächtung der Tat und der Täter, die fehlende Anerkennung der Opfer sowie die allgemeine gesellschaftliche Ignoranz zu den wichtigsten Gründen, warum sie diesen Ort verlassen haben.

In der Nacht des 13. Februar 1999 wurden Farid Guendoul, Issaka K. und Kahled B. von elf deutschen Jugendlichen im Gubener Stadtteil Obersprucke angegriffen. Die Täter waren Angehörige der rechten Schlägerszene sowie aktive Neonazis. In dieser Nacht waren sie, aufgeputscht von der Musik der Neonaziband „Landser“, auf der Suche nach „Ausländern“ (s. Seite 4). Die angegriffenen Flüchtlinge aus Algerien und Sierra Leone versuchten zu entkommen. Auch wenn sie nicht verstanden, was die Jugendlichen brüllten, wussten sie sofort, dass sie in höchster Gefahr waren. Einigen der Verfolger gelang es, Kahled B. einzuholen. Sie traten ihn, bis er ohnmächtig auf der Straße liegen blieb.

Farid Guendoul und Issaka K. suchten Schutz im Hauseingang der Hugo-Jentsch-Straße 14. Guendoul trat in seiner Panik die Türscheibe ein und verletzte sich dabei an der Beinschlagader. Der 28jährige Algerier verblutete wenig später im Treppenhaus.

Das Gerichtsverfahren gegen die elf jungen Männer endete im November 2000 vor dem Landgericht Cottbus: Acht von ihnen wurden der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen. Das Strafmaß bewegte sich zwischen drei Jahren Haft und einer richterlichen Verwarnung. Erst der Bundesgerichtshof trug im Revisionsverfahren dem Vorsatz Rechnung und bewertete im Oktober 2002 die Tat als versuchte Körperverletzung mit Todesfolge. Auf das Strafmaß hatte dies keinen Einfluss.

Das Gerichtsverfahren wurde von einem gleichbleibend hohen Medieninteresse begleitet. Das gehörte zu den Besonderheiten des Umgangs mit der rassistischen Tat, die als „tödliche Hetzjagd von Guben“ bekannt geworden ist, und die in eine Zeit fiel, in der der öffentliche Diskurs über Neonazis einen Wandel erlebte. Denn Guben war und ist kein Einzelfall: Mindestens 180 Menschen sind in Deutschland seit 1990 von Neonazis getötet worden. Die Reaktionen auf die rassistischen Taten haben sich in diesen Jahren oft geähnelt: Es findet sich immer irgendein Politiker, der das Geschehen herunterspielt; die Existenz einer lokalen rechten Szene wird geleugnet; die Opfer werden selbst für das Geschehene verantwortlich gemacht. Nach dem üblichen Aufschrei der „Zivilgesellschaft“, nach antifaschistischen Demonstrationen und den obligatorischen Forderungen nach einem Verbot der NPD kehrt spätestens mit der Verkündung eines Gerichtsurteils wieder Ruhe ein. An den ersten Jahrestagen werden noch Blumen niedergelegt, vielleicht fordert eine Initiative die Umbenennung einer Straße oder setzt eine Gedenktafel durch. Schulklassen absolvieren die immer gleichen Projekttage über „Toleranz“ und „Demokratie“ und „gegen Extremismus und Gewalt“. Festzustellen bleibt in der Regel, dass sich nichts geändert hat, weder am Fortbestehen mörderischer rechter Gewalt, noch an den immer gleichen Reaktionen darauf.

Die Europabgeordnete Ska Keller (Grüne) hatte als Kreisgeschäftsführerin bis zum vergangenen Jahr noch eine Adresse in Guben. Sie habe kein rein negatives Bild der Stadt, erzählt sie, für sie sei Guben lange einfach Alltag gewesen. Um die Jahrtausendwende suchte auch sie ihren Weg durch die politischen Verwerfungen nach dem Tod von Farid Guendoul. Und auch sie kommt nach langer Erfahrung in der Politik zu dem Schluss: „Anscheinend hat sich über all diese Jahre, alle Jahrestage, alle Gedenksteine und Fernsehreportagen hinweg nichts geändert.“ Sie beklagt, heute wie damals, den Mangel an Empathie, die Wiederkehr der immer gleichen Relativierungen dessen, was in der Nacht des 13. Februars geschah, und die Larmoyanz eines Gemeinwesens, das sich bis heute für das eigentliche Opfer der ganzen Tragödie hält. „Ich habe das Gefühl, dass gerade wieder niemand aufpasst in Guben“, sagt sie mit Blick auf die örtliche Neonaziszene und die trügerische Ruhe, die derzeit in der Stadt herrscht. Aber wer könnte das auch sein? Die wenigen aktiven Antifaschisten sind abgewandert oder infolge frustrierender Ausein­andersetzungen verstummt.

Presseanfragen zum Thema Neonazis stoßen bei Politikerinnen und Politikern in Guben nach wie vor auf wenig Begeisterung. So antwortete der örtliche SPD-Vorsitzende Günther Quiel, über dieses Thema sei schon „so viel Verwirrendes“ geschrieben und geäußert worden, „und immer zum Nachteil dieser ohnehin problematischen Stadt“. Umso mehr bemühen sich die politischen Institutionen, ein Stück kleinstädtischer Idylle zu präsentieren. Der kommissarische Bürgermeister Fred Mahro (CDU) berichtete etwa vom Neujahrsempfang und dem Stadtfest, die gemeinsam mit der polnischen Nachbarstadt Gubin begangen werden, und verweist auf eine „Schule ohne Rassismus“ im Ort. Er betonte, rechte Tendenzen würden nicht unterschätzt, es gebe „aber auch keinerlei Veranlassung“, dieses Thema „zu dramatisieren“. Das brandenburgische Innenministerium erklärte auf eine Anfrage der Jungle World, Guben sei keine „Problemregion“, dass die Situation dort aber „wegen des vergleichsweise hohen rechtsextremistischen Personenpotentials und wegen des Gewalttäters Alexander Bode Sorge“ bereite.

Bode, der Haupttäter des tödlichen Angriffs vom 13. Februar 1999, ist nämlich seit 2008 Stellvertretender Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Lausitz. Nach dem Tod von Guendoul war der damals 21jährige zu zwei Jahren Jugendknast verurteilt worden. Kein Grund zur Sorge, findet Bürgermeister Mahro, der in der NPD „eine in sich geschlossene Gruppierung“, sieht „die mit ihrem Gedankengut bei den Gubenern keine Aufmerksamkeit erregt“. Doch die NPD konnte mit 4,3 Prozent der Stimmen in die Stadtverordnetenversammlung einziehen. Zum Abgeordneten Marco Neuling sagte Mahro, dieser spiele in der politischen Arbeit „keine Rolle“.

Auf die Frage, ob und wie in Guben an den Tod von Farid Guendoul erinnert werde, verwies der Bürgermeister auf den Gedenkstein, an dem sowohl die Kirche als auch die Parteien jährlich eine Mahnveranstaltung durchführten. Edeltraud Mäser vom Ortsverband der Partei „Die Linke“ zeigte sich über diese Antwort verwundert: „Ich habe in den vergangenen Jahren weder Fred Mahro noch andere Vertreter der Stadt am Gedenkstein gesehen.“ Ausgerechnet dieses Jahr hätten sich jedoch Vertreter der Stadtverwaltung zur Veranstaltung am Gedenkstein angekündigt, sagte Peter Stephan, einer der Organisatoren des jährlichen Gedenkens.

„Niemand ist vergessen“, lautete eine der Parolen vieler Gedenkinitiativen und auf zahllosen Demonstrationen der neunziger Jahre. Guben ist nur ein Beispiel von vielen. Eine Handvoll Leute gibt es dort noch, die Farid Guendoul nicht vergessen wollen. Möglicherweise werden auch sie bald die Stadt verlassen. Vielleicht wird auch Farid Guendouls Familie irgendwann zum Gedenkstein nach Guben kommen. Dass sie dort auf jemanden treffen, der die Geschichte kennt, wird immer unwahrscheinlicher.

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2009: Unterwegs in Guben http://www.re-guben.de/?p=93 http://www.re-guben.de/?p=93#comments Wed, 13 Feb 2013 02:15:05 +0000 http://www.re-guben.de/?p=93 Die folgende Reportage erschien 2009 zum 10. Jahrestag des Todes von Farid Guendoul. Sie ist ein Zeitdokument zum Gedenken in Guben. Hat sich etwas in den letzten Jahren verändert?

Am 13. Februar 1999 wurde im brandenburgischen Guben der algerische Asylbewerber Farid Guendoul zu Tode gehetzt. Ein Ortstermin zehn Jahre danach.

„Es ist schon recht trist“, sagt der evangelische Pfarrer Michael Domke. Auch wenn man die Fortschritte sehen wolle, seufzt er, „man kriegt doch immer wieder einen Schlag nach dem anderen. Der letzte ist nun, dass der Tagebau Jänschwalde die Stadt einkreisen soll bis in allernächste Nähe.“ Wer an Gubens schäbigem Bahnhof ankommt und sich in der um fast die Hälfte geschrumpften 19 000-Einwohner-Stadt bewegt, kann diese gedrückte Stimmung förmlich spüren. Schnee und strahlender Sonnenschein an diesem Wintertag, aber kaum ein Mensch auf der Straße. „Stadt im Aufbruch“, heißt es auf der offiziellen Internetseite.

Am 13. Februar 1999 war Guben „No-go-Area“: Der 28-jährige Asylbewerber Farid Guendoul und zwei algerische Landsleute wurden von einer Gruppe Neonazis angegriffen und gejagt. Die Verfolgten suchten Zuflucht im Hauseingang der Hugo-Jentzsch-Straße 14 im Ortsteil Obersprucke. Guendoul verletzte sich an dem in Panik eingetretenen Türglas so schwer, dass er verblutete. Was in jener Nacht geschah, wird allenthalben Hetzjagd genannt – nur in Guben nicht. Hier sprechen viele heute noch von einem „tragischen Unfall“. Wenn das Gespräch darauf kommt, hat man das Gefühl, die Zeit habe zehn Jahre stillgestanden.

Ex-Bürgermeister Gottfried Hain war damals parteilos, dann ist er der SPD beigetreten, für die er heute im Kreistag sitzt – neuerdings übrigens mit zwei Ratskollegen von der NPD. Der 53-jährige Verwaltungschef des wohltätigen Naemi-Wilke-Stifts kommt auf den „Stein des Anstoßes“ zu sprechen, wie ihn damals viele Zeitungen genannt haben, weil die Redewendung so gut passte. Es geht um den Gedenkstein für das Opfer der Hetzjagd oder, worauf auch Hain besteht, des „Unfalls“. Der Stein war von der Antifa Guben errichtet und fortan immer wieder, zum Teil von den Angeklagten, geschändet worden. Öffentlich wurde gestritten, ob er bleiben sollte. „Ich hab damals gesagt: Wenn es ein Stein der Behörden ist, kann er weg. Wenn es ein Stein der Bürger wird, soll er bleiben“, erinnert sich Hain.

Und so kam es: auf Initiative des Berliner Regisseurs Peter Krüger, der im Mai 2000 mit der Inszenierung des jüdischen Stücks „Der Dibbuk“ ein Zeichen gegen rechte Gewalt in Guben setzte, fanden sich Vertreter der Kirche, von Gewerkschaften, aus dem Internationalen Jugendverein Guben-Gubin und der PDS zusammen und entwickelten ein Patenschaftssystem für den Stein.

Die Stimme der schweigenden Mehrheit

Zwar ist diese Initiative irgendwann eingeschlafen, doch sie sorgte in jenen Tagen dafür, dass der andauernden Verhöhnung des Opfers – die Gedenkplatte war zertrümmert und entwendet, Blumen wurden zertrampelt, die Inschrift zugesprüht – die Spitze genommen wurde. Gottfried Hain weiß das noch heute zu würdigen, wenn er auch sonst genau so redet wie damals. Als hätte er es sich irgendwo notiert, um es nach zehn Jahren zu wiederholen. 2001 wurde Hain abgewählt und musste schon im ersten Wahlgang dem FDP-Mann Klaus-Dieter Hübner weichen, der den Job bis heute macht.

Wenn man in der Stadt mit Menschen über Hübner spricht, verdrehen die meisten die Augen. So auch das Lehrer-Ehepaar Kerstin und Frank Nedoma. Sie war damals und ist noch heute Fraktionschefin der LINKEN in der Stadtverordnetenversammlung. Kerstin Nedoma beklagt, dass alle Bemühungen, Konsequenzen aus der Gewalttat zu ziehen, im Sande verlaufen sind: „Die anderen Fraktionen haben da nicht richtig mitgearbeitet. Es wurde ja auch ein Handlungskonzept erstellt, Papier beschrieben, aber es ist nichts verwirklicht worden.“ Nach dem ersten Schreck und einer bewegenden Spontan-Demo mit dem damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe sei eigentlich sofort damit begonnen worden, sich „einzumauern“, erinnert sie sich. Alles Schlechte habe man von außen eindringen sehen – Reporter, Neonazis, Antifa, Ausländer.

Der Bürgermeister macht nicht nur in den Augen der Nedomas viel kaputt in Guben. Nicht im städtebaulichen Sinne, da werden Veränderungen wie der neue Stadtplatz, der Abriss leerer Häuser in der Sprucke, das Feuerwehr-Zentrum und der Kletterpark einhellig gutgeheißen. Nein, es geht um die politische Kultur. Überregional ist Guben immer nur mit Domkes „Schlägen“ in den Schlagzeilen: der erbitterte Streit um Gunther von Hagens „Plastinarium“; der NPD-Kommunalwahlkampf mit dem verurteilten Haupttäter der Hetzjagd, Alexander Bode; der Streit mit der polnischen Zwillingsstadt Gubin um eine Fußgängerbrücke über die Neiße; ein Nazi-Angriff auf Jugendliche beim Frühlingsfest 2006 mit mehreren Verletzten, nachdem der Bürgermeister vorher bei „Sabine Christiansen“ verkündet hatte, Guben habe keine derartigen Probleme; der Plan des autoritären Stadtchefs, Mietschuldner ins einstige Asylbewerberheim in der Forster Straße zwangseinzuweisen. Das sei für die Betroffenen nicht zumutbar, war damals zu hören. Die Asylsuchenden lebten viele Jahre darin.

Hübner spricht einer schweigenden Mehrheit aus der Seele. Er tritt laut und selbstgewiss auf und bringt es fertig, zehn Jahre danach die Geschichte vom 13. Februar 1999 komplett umzudrehen. „Was haben die Damen und Herren, also die Algerier, dort gemacht, zu einer Zeit, wo sie eigentlich schon im Heim hätten sein müssen?“ Er geht so weit, die Tat selbst – die nächtliche Jagd auf Dunkelhäutige in einer ostdeutschen Kleinstadt – in Frage zu stellen und letztlich die Version der Täter zu wiederholen: „Dass da Provokationen stattfanden, ist ja herauslesbar.“

Dabei springt er auf und holt von seinem überladenen Schreibtisch die Prozessakte, um aus dem Urteil des Cottbusser Landgerichts zu zitieren, wo den elf Tätern Fahrlässigkeit, aber keine Tötungsabsicht unterstellt wird. Dass der Bundesgerichtshof in Leipzig im Revisionsverfahren im Oktober 2002 die Fahrlässigkeit durch „versuchte Körperverletzung mit Todesfolge“ ersetzte, für die selbst die Angeklagten voll verantwortlich gewesen seien, die im Auto warteten, hat in Hübners Sicht keinen Platz. Jedenfalls ist er mit seiner Interpretation des Geschehens näher am Text auf der Homepage des NPD-Kreisverbandes Spree-Neiße dran als an dem, was in 83 Prozesstagen als Tathergang rekonstruiert wurde.

Dem – neben dem sterbenden Farid Guendoul und dem zu Boden geprügelten Khaled B. – dritten Gejagten, Issaka K., wirft Hübner gar Versagen vor. Die Geringschätzung gegenüber dem Toten und den anderen Opfern blendet deren panische Todesangst aus, welche das Landgericht Cottbus festgestellt und der Bundesgerichtshof nochmals unterstrichen hat. Hübner: „Die Haustür war offen, da hätte keiner durch die Tür gehen müssen. Wer hat denn versagt, warum hat der Kollege, der mit dem Herrn mit war, nicht geholfen?“

Eine Horde mit Hassmusik aufgeputschter Jungrechter, die alkoholisiert durch die Straßen Gubens fuhren, „alternative“ und dunkelhäutige Menschen aggressiv anpöbelten, die Schaufenster eines Asia-Ladens zertrümmerten und sich auf die Suche nach einem „Neger“ machten, scheint es in der offiziellen Gubener Erzählung nicht zu geben. Auch nicht, dass die Nazis die überforderte Polizei bis zur Wache verfolgten und dort belagerten. Letztlich waren diese „Damen und Herren“, wie Hübner die Opfer unablässig nennt, selber schuld.

Das Opfer heißt in dieser Logik Guben: „Was mich am meisten berührt, ist, dass man zehn Jahre danach noch dieses Treppenhaus zeigt und Guben in Verbindung bringt mit dem Thema rechts“. Rechtsextreme in Guben? Der eine NPD-Mann im Stadtparlament könne doch gar nicht folgen. Hakenkreuzschmierereien? „Hamwa nich!“ Und wenn, machen’s die Linksextremen sicher selber. Der Angriff beim Frühlingsfest 2006? „Das waren Eisenhüttenstädter!“ Man darf also gespannt sein, was Hübner mit einer Podiumsdiskussion bezweckt, die er zum „Gedenkjahr“ angekündigt hat.

„Ein großes Stück Jugendkultur ist kaputt“

Am Rande des neuen Kletterparks liegt immer noch der Gedenkstein. Das Haus, an dessen Eingang Farid Guendoul starb, gibt es nicht mehr; es wurde abgerissen. Im Schnee ist deutlich zu sehen, dass der Stein Unverbesserlichen offenbar als Urinal dient, immer noch. Für die aus Guben stammende Studentin der Nahost-Wissenschaften, Franziska Keller, ist auch das sinnbildlich: „Der Stein ist schutzlos, genauso war Farid schutzlos, keiner hat ihm geholfen.“

Franziska Keller, damals bei der Antifa und heute Brandenburger Landesvorsitzende der Bündnisgrünen, weiß, warum Jugendliche Guben fliehen und erinnert daran, dass seither auch zwei Jugendklubs, der „Sanikasten“ und das „No Budget“, Hübners rigider Politik zum Opfer gefallen sind: „Man hat damit auch ein großes Stück antifaschistischer und alternativer Jugendkultur kaputt gemacht – ein Riesenfehler.“ Auch sie selbst ist nicht mehr oft in ihrer Heimatstadt, der sie „Beratungsresistenz“ attestiert.

Gegenüber dem nagelneuen Feuerwehrhaus steht an der Zufahrt zu einer Kleingartenanlage ein Sackgassen-Schild, dessen Aufschrift wie ein Fazit klingt: „Vorsicht Staubaufwirbelungen“. Wer an das Thema Hetzjagd rührt, was in den kommenden Monaten wohl nur dieselben paar Gubener tun werden wie damals, der wirbelt den Staub einer Geschichte auf, in der die Stadt keinen Platz hat für den Toten und die Traumatisierten.

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