RE:GUBEN » Hoyerswerda http://www.re-guben.de fragt nach den Folgen des Todes Farid Guendouls, der am 13. Februar 1999 auf der Flucht vor einer Gruppe Neonazis in Guben starb. Was geschah in jener Nacht? Wie wurde mit der Tat umgegangen? Wie kann Gedenken gestaltet werden? Wie reagieren Politik und Gesellschaft? Fri, 02 May 2014 16:27:31 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.8 „Die sind sich sicher, in dem was sie machen und wie sie die Ereignisse von 1991 bewerten“ – Interview mit pogrom 91 (Teil 2) http://www.re-guben.de/?p=485 http://www.re-guben.de/?p=485#comments Tue, 21 May 2013 10:41:42 +0000 http://www.re-guben.de/?p=485 Nachdem es in Teil 1 des Interviews um den Umgang in Hoyerswerda mit dem Pogrom von 1991 und mit rechter Gewalt ging, sprechen wir im zweiten Teil über die konkreten Ansätze, öffentliche Erinnerung in der Stadt zu gestalten. Im Gespräch: Mathias und Marius von der Initiative pogrom 91.

Es gibt einen Wettbewerb für ein Denkmal zur Erinnerung an die rassistischen Ausschreitungen in Hoyerswerda 1991. Könnt ihr etwas zu der Initiative sagen, zu eurem Beitrag und zum aktuellen Stand?

MATHIAS: Zum Hintergrund: Wir hatten 2011 als Initiative die zentrale Forderung formuliert, dass wir ein Denkmal in der Stadt haben wollen, als präsenten Ort, an dem die Ereignisse erinnert werden und zwar ganz explizit als rassistisches Pogrom. Damit soll zum einen verhindert werden, dass das Ganze wieder vergessen wird, und zum anderen geht es um eine Forderung der drei Betroffenen, die 2011 zum Bürgermeister sagten: „Wir wollen, dass wir, wenn wir oder unsere Kinder an einem Tag nach Hoyerswerda kommen, einen Ort haben, an den wir gehen können und an dem steht, was damals geschehen ist und was mit den Menschen passiert ist, die in diesen Häusern gelebt haben.“ Bei der Demonstration 2011 bauten wir ein eigenes, temporäres Denkmal vor einem der Häuser, die damals angegriffen wurden, auf. Es bestand aus einer weißen Stele mit einem Plexiglaswürfel, in dem es zwei Tafeln gab. Auf der einen stand: „Zur Erinnerung an das rassistische Pogrom von 1991“, auf der anderen etwas zu den Hintergründen. Da ging es auch darum, darzustellen, dass die Betroffenen aus der Stadt geschafft wurden, die Polizei nicht in der Lage oder willens war, sie zu schützen, und einige von ihnen dann direkt abgeschoben wurden. Dazu gab es einen Pflasterstein und eine Glasscherbe. Sie sollten symbolisieren, dass die Täter gewalttätig vorgingen. Es flogen ja zum Beispiel Molotowcocktails gegen das Gebäude, womit man in Kauf nahm, dass Menschen sterben. Wir haben den transparenten Glaskasten gewählt, um den Blick durch die Gedenktafeln auf das Haus zu gewährleisten. Dies sollte zeigen: Das war damals, das ist heute, aber es steht in einem Zusammenhang und man muss sich fragen: Wie wurde und wird damit umgegangen? Später kündigte die Stadt einen Denkmalswettbewerb an, wahrscheinlich auch in Folge der Medienberichterstattung.

MARIUS: Wir hatten zudem mit einem Brief an den Oberbürgermeister gefordert, dass er sich für ein Denkmal stark machen soll.

MATHIAS: Dann wurde der Wettbewerb ausgerufen. Es gab ein Formular, auf dem man kurz die Idee des Denkmals erläutern musste. Dazu sollte man eine Skizze oder ähnliches einreichen. Aufführen sollte man zudem, wie das Denkmal finanziert werden soll. Das heißt, von Seiten der Stadt ist offenbar nicht geplant, es zu finanzieren. Als Siegerentwurf wurde ein Torbogen mit einem Regenbogen und einer offenen Tür gekürt. Das soll symbolisieren, dass Hoyerswerda heute weltoffen und tolerant ist. Dazu sind noch Worte wie Toleranz, Offenheit, Versöhnung und Gastfreundschaft auf das Denkmal geschrieben. Besonders der Begriff Versöhnung ist an dieser Stelle eigenartig. Das einzige Wort, das wir an so einer Stelle sehen würden, ist Entschuldigung und es müsste sich als Bitte an die Betroffenen richten. Versöhnung ist ein Akt, der von zwei Seiten passiert, bei dem man sich aufeinander zu bewegt. Unserer Meinung nach gibt es aber keinen Grund, warum sich die Betroffenen im Sinne einer Versöhnung auf die Stadt zu bewegen müssten. Vielmehr hat sich die Stadt dafür zu entschuldigen, was damals passiert ist. Der einzige Bezug des Denkmals zu 1991 ist ein QR-Code, den man aufrufen muss, um zu einer Präsentation der Stadt zu den Ereignissen von 1991 zu gelangen. Diese hat bisher aber noch niemand gesehen. Gleichzeitig soll auch da aber wieder gezeigt werden, wie Hoyerswerda sich zum Positiven gewandelt hat.

Nach der Bekanntgabe des Siegerentwurfes empörte sich Pfarrer Michel in einem Zeitungsartikel, dass der Stadtrat den Siegerentwurf prämiert hat, die anderen Entwürfe aber nicht öffentlich gemacht wurden. Daraufhin gab es dann Beiträge zu allen Entwürfen, auch zu unserem. Zur Zeit wird da sehr kontrovers diskutiert, aber lediglich über das Entscheidungsverfahren. Es gab nämlich ein Gremium aus den Fraktionsvorsitzenden des Stadtrats und einigen anderen Persönlichkeiten, die einen Entwurf auswählten, und nur dieser wurde dann dem Stadtrat vorgelegt, der ihn absegnete. Interessant ist, dass alle Fraktionen dem jetzigen Siegerentwurf zugestimmt haben, auch die NPD. Spätestens dort müsste man sich in der Stadt ja eigentlich fragen, was an dem Denkmal nicht stimmen kann, wenn selbst die Nazis es in Ordnung finden. Das wird an keiner Stelle öffentlich thematisiert. Unklar ist außerdem, wann, in welchem Rahmen und wo das Denkmal aufgestellt wird.

MARIUS: Für mich ist der Umgang mit diesem Denkmal auch ein Ausdruck dafür, wie bewusst vermieden wird, eine direkte Aussage zu den Ereignissen, an die es erinnern soll, zu treffen. In der öffentlich geführten Debatte wird nur über den Akt der Entscheidung gesprochen.

MATHIAS: Man hätte auch erwarten können, dass die Stadt Menschen, die sich mit dem Thema Denkmal, Denkmalskultur, Gedenkstätten auseinandersetzen und da einen künstlerischen, wissenschaftlichen und professionellen Zugang haben, einlädt, sich mit Beiträgen für den Wettbewerb oder einer Unterstützung bei der Frage, wie ein solches Denkmal zu gestalten sein könnte, zu beteiligen. Und dass man dafür auch Geld in die Hand nimmt. Stattdessen war es ein offener Aufruf, bei dem sich Hobbykünstler verwirklichen konnten, ohne dass an irgendeiner Stelle reflektiert wurde, was so ein Denkmal bedeutet, in welchem Kontext es wo aufgestellt wird.

Auch die Stadt hatte zum 15. und zum 20. Jahrestag eine provisorische Stele aufgestellt, um uns mit unseren Demonstrationen nicht das Feld zu überlassen. Auf dieser Stele hieß es: „Im Gedenken an die extremistischen Ausschreitungen vom September 1991“. Damit nahm man zum einen keinen Bezug auf die Ereignisse als rassistisches Pogrom. Zum anderen stellte man einen Bezug her zu einer Antifademo, die kurz danach stattfand und von deren Seite es in der Stadt auch Gewalttaten gab. Ursache und Wirkung, Opfer und Täter wurden wieder verdreht, an die Ereignisse als Auseinandersetzung zwischen „Extremisten“ erinnert. Der rassistische Gehalt des Geschehens, die Perspektive der Betroffenen, die Beteiligung der Bevölkerung sind völlig herausgefallen. Und dann wurde die Stele beim 20. Jahrestag auch noch auf dem Tag der Heimat zusammen mit dem Bund der Vertriebenen aufgestellt.

MARIUS: Es gibt auf der politischen und auf der verwaltungstechnischen Ebene auch zu viele personelle Kontinuitäten, die eine offene Auseinandersetzung verhindern.

MATHIAS: Natürlich sind da auch Ausnahmen, die sind aber sehr vereinzelt, wie dieser Pfarrer. Andere zivilgesellschaftliche Leute sehen sich dagegen vor allem als handlungsunfähig und sagen: „Wir können halt nichts machen.“ Interventionen können zwar über ein persönliches Gespräch Wirkung zeigen, aber sie passieren nie durch eigene Initiative. Immer muss jemand von außen kommen, die Presse, Antifas oder Menschen, die mal da gewohnt haben, und in einem freundschaftlichen Gespräch darauf aufmerksam machen, dass etwas schiefläuft oder es nicht sein kann, wie mit dem Thema umgegangen wird. Das ist für uns als Gruppe immer einer der Gründe gewesen, warum wir trotz des Widerstands aus der Stadt und aller Demütigungen, die wir dort erfahren mussten, weitergemacht haben. Wir sehen, dass wenn wir nicht dranbleiben und zum Beispiel direkt danach fragen, wer wie welche Rolle hatte, und dabei für eine mediale Präsenz sorgen, dann versandet etwas wie die Denkmalsdiskussion sofort wieder. Das gilt auch für den weiteren Verlauf: Wenn man da nicht dran bleibt, werden Gründe gefunden werden, es nicht zu bauen.

Ist ein Denkmal wie der jetzige Siegerentwurf besser als gar keins?

MARIUS: Für mich ist keins besser als das. Das Problem, das ich mit dem Denkmalsentwurf habe, ist, dass sich Hoyerswerda damit seine Rolle zementieren kann. Die Stadt kann dann immer jeglichen Einspruch gegenüber ihrem Umgang wegwischen und sagen: „Hier haben wir unser Zeichen.“ Natürlich kann man dann immer antworten: „Ja, aber euer Zeichen ist scheiße.“ Aber ich bezweifele, dass denen das irgendetwas ausmacht. Das ist eigentlich das Erschreckende: Dass man irgendwann auch zu der Einsicht gelangt ist, dass es den Leuten dort ja wirklich egal ist. Dass du mit einem Appell an ihr Verhalten scheinbar überhaupt nichts bewirkst. Die sind sich sicher, in dem was sie machen und wie sie die Ereignisse von 1991 bewerten.

MATHIAS: Das Denkmal wäre eine gradlinige Fortsetzung des Umganges, der relativiert, entpolitisiert und am Ende für das Image genutzt wird.

MARIUS: Und der jeden Bezug zu irgendetwas Konkretem total ausblendet. Ganz im Gegenteil: Mit Worten wie Toleranz wird alles auf eine total abstrakte und banale Ebene gebracht, die mit der Wirklichkeit der eigenen Geschichte und der eigenen Verantwortung nichts zu tun hat.

MATHIAS: Also für die weitere Auseinandersetzung wäre es besser, wenn das Denkmal in dieser Form nicht entsteht.

Was würdet ihr euch wünschen?

MATHIAS: In einem weiteren Rahmen betrachtet, war Hoyerswerda der öffentlich wahrnehmbare Auftakt zu Rostock, Mölln, Solingen und zu der faktischen Abschaffung des Asylrechts. Ich denke, dass es Hoyerswerda den Leuten, die bis heute mit den Folgen dessen, was damals von Nazis und Bürgern im Einklang mit der Politik erstritten wurde, zu kämpfen haben, schuldig ist, sich mit dem Thema zu beschäftigen, ganz klar Stellung zu beziehen und aktiv zu werden. Ich würde mir eine Auseinandersetzung und ein Engagement wünschen, bei dem man sieht, dass Hoyerswerda sich nicht als Opfer versteht, und dass man dort sieht, dass ein schlechtes Image zu haben, gar nichts ist im Vergleich zu dem, was die Menschen erfahren, die von Rassismus in jeglicher Form in Deutschland betroffen sind. Dass man einen Bogen in die Gegenwart schlägt und die Forderungen der Leute vom Oranienplatz umsetzt: Abschiebelager schließen, Flüchtlinge in Wohnungen unterbringen, keine Abschiebungen mehr durchführen. Es muss meiner Meinung nach die Lehre aus Hoyerswerda sein, dass man das den Menschen schuldig ist. Hoyerswerda war der Aufhänger, dass ganz vielen Leuten das Leben schwer gemacht wird bis zu den tödlichen Konsequenzen: Es gibt bis heute rassistische Morde, es gibt bis heute Leute, die sich in Abschiebknästen oder -lagern umbringen oder die in Regionen abgeschoben werden, wo sie der Tod erwartet.

Aus persönlicher Sicht würde ich mir noch wünschen, dass Leute, die in solchen Städten leben, egal ob sie Linke sind oder eine andere Hautfarbe haben, einfach in Ruhe aufwachsen können. Dass es Nazis gibt und dass die gewalttätig sind, wird man nie lösen können, weder in Hoyerswerda noch anderswo. Aber die Leute, die davon betroffen sind, sollen Ansprechpartner haben und Solidarität erfahren. Man darf einfach auch nicht vergessen, dass es immer noch Leute gibt, die ganz direkt von Nazigewalt und Rassismus betroffen sind. Und da muss man mit allen Mitteln, die man hat, intervenieren, um Leuten zu zeigen: Hier, wir stehen mit euch. Das sollte auch von der Linken und der Antifa erkannt und umgesetzt werden.

MARIUS: Da kann ich mich nur anschließen und würde gern noch ergänzen: Wenn ich das Gefühl hätte, dass es in Hoyerswerda Leute gibt, die genau so eine Perspektive hätten, müsste für mich nicht mal die Stadt auf dieser Linie sein oder irgendwelche Signale setzen. Wenn es Leute gäbe, die sich darüber Gedanken machen und die öffentlich den Mut hätten, sich zu äußern, wäre das ja bereits etwas.

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„Das einzige Opfer, das man in Hoyerswerda bis heute sieht, ist Hoyerswerda selbst…“ – Interview mit pogrom 91 (Teil 1) http://www.re-guben.de/?p=482 http://www.re-guben.de/?p=482#comments Mon, 20 May 2013 18:21:29 +0000 http://www.re-guben.de/?p=482 Bahnhof Hoyerswerda

Bahnhof Hoyerswerda (Foto: PM Cheung)

Vom 17. bis 23. September 1991 griff ein Mob aus Neonazis mit der Unterstützung von Bürger/innen ein Heim für Asylbewerber/innen und die Unterkünfte sogenannter Vertragsarbeiter/innen an. Die Polizei war weder willens noch in der Lage, sich gegen die Angreifer durchzusetzen und die Belagerungen und Angriffe zu unterbinden. In der Nacht vom 22. zum 23. September begann die zwangsweise Räumung beider Häuser. Nahezu alle Vertragsarbeiter/innen aus Mosambique wurden nach Frankfurt am Main gebracht und abgeschoben, die Asylbewerber/innen in andere Heimen in die Umgebung von Dresden geschafft. 40 von ihnen konnten nach Berlin fliehen. Diesem rassistischen Pogrom folgten zahlreiche weiterer Übergriffe in ost- und in westdeutschen Städten. Ich sprach mit Mathias und Marius* von der Initiative pogrom 91 über den Umgang mit den Ereignissen und die Erinnerung an die Opfer in Hoyerswerda. (* Namen geändert)

Könntet ihr eure Initiative kurz vorstellen?

MATHIAS: Die Initiative pogrom 91 besteht seit dem 20. Jahrestag der rassistischen Ausschreitungen in Hoyerswerda, also seit 2011. Wir sind größtenteils alle selbst aus Hoyerswerda und bekamen in unserer Jugend viel Stress mit Nazis. Dadurch fingen wir an, uns mit Politik zu beschäftigen. Wir hatten immer auch gehört, dass 1991 irgendetwas gewesen war, genaueres wusste oder sagte uns aber niemand. Wir begannen also selbst, uns mit den Ereignissen auseinanderzusetzen, zum Beispiel eine Chronik zu erarbeiten und online zu veröffentlichen. Auf der Internetseite der Stadt gab es damals nicht einen Satz dazu. Zum 15. Jahrestag organisierten wir außerdem eine erste Demonstration mit einem Antifaschwerpunkt. Danach war einige Zeit Ruhe, zum 20. Jahrestag fanden wir uns als Initiative wieder zusammen und seitdem arbeiten wir kontinuierlich an dem Thema. Wir machten zum 20. und zum 21. Jahrestag Demonstrationen, bei denen 500 Leute waren und über die überregional berichtet wurde. Das hat dann eine große Diskussion in Hoyerswerda ausgelöst.

MARIUS: Zuerst stand für uns das Dokumentarische im Vordergrund. Wir hatten ja erst einmal überhaupt keinen Bezug. Wir waren dann überrascht von der großen Resonanz, die uns zum 20. Jahrestag entgegenschlug. Dazu kamen aber auch wiederholte Angriffe und das hat uns veranlasst, neben der Dokumentation konkret Politik zu machen und eine Kritik an dem Umgang der Stadt mit 1991 zu formulieren.

MATHIAS: Diese Resonanz von außen war ein wichtiger Punkt, an dem wir gemerkt haben: Okay, das ist immer noch ein wichtiges Thema. Bei den Reaktionen aus der Stadt dachten wir dagegen: Okay, das hätten wir 20 Jahre später nicht mehr erwartet. Das war zum Teil untragbar und schockierend, so dass wir über die Jahrestage hinaus aktiv geblieben sind.

Was waren denn die Reaktionen aus der Stadt?

MARIUS: Wir sind von uns aus zum 20. Jahrestag an die Öffentlichkeit gegangen, weil wir den Eindruck hatten, dass die Ereignisse von 1991 von der Stadt runtergespielt werden. Entweder wurde gar nicht darüber geredet oder es wurde versucht, alles möglichst klein zu halten nach dem Motto: Das, was damals passierte – ohne es genau zu benennen –, war ganz schlimm für die Stadt, aber Gott sei Dank ist das ein abgeschlossenes Kapitel. Warum also noch darüber reden? In dieser Atmosphäre haben wir uns positioniert und gesagt: Für uns war das ein rassistisches Pogrom, das zudem eingeordnet war in einen gesamtdeutschen politischen Kontext, der einerseits große Folgen für Betroffene in verschiedenen Städten hatte, in denen es solche Angriffe gab, und der andererseits mit der faktischen Abschaffung des Asylrechts auf Bundesebene zusammenhängt. Diese Einordnung hat sich natürlich total gerieben mit der Sichtweise in der Stadt. Dementsprechend waren die Reaktionen vor Ort auf uns sehr heftig, wir wurden als „Extremisten“ beschimpft und als „Nestbeschmutzer“.

MATHIAS: Die Sächsische Zeitung hat uns als „fanatische Säuberer und Politikkommissare“ bezeichnet. Motiviert hat uns auch sehr, dass die Betroffenen von 91 überhaupt nicht bedacht wurden. In den Jahren davor sowieso nicht, weil ja über all das überhaupt nicht geredet wurde. Aber auch als wir angefangen haben, mit dem Begriff „rassistisches Pogrom“ zu arbeiten, hat niemand in der Stadt gefragt, was eigentlich mit den Leuten passiert ist, nachdem sie 91 aus der Stadt geschafft wurden. Das einzige Opfer, das man in Hoyerswerda bis heute sieht, ist Hoyerswerda selbst, wegen der schlechten Presse und des schlechten Images. Im Oktober des vergangenen Jahres gab es einen Überfall von Nazis auf ein Paar, bei dem die Polizei zugeschaut hat. Die beiden mussten dann die Stadt verlassen, weil die Polizei sagte, dass sie nicht in der Lage sei, die beiden zu schützen. Als der Bürgermeister zum Jahreswechsel gefragt wurde, was für ihn das schlechteste Ereignis des Jahres war, nannte er die ausschließlich negative Presse im Zuge dieses Überfalls. Er sah allein die Stadt als Opfer. Das sind Prozesse und Reflexe auf rechte Gewalt, die wir seit 1991 kontinuierlich beobachten können und als solche auch kritisieren.

1991 wart ihr ja noch sehr jung. Könnt ihr euch daran erinnern, wie ihr davon erfahren habt, wie in der Stadt, in der Schule oder von euren Eltern darüber geredet wurde?

MATHIAS: Meine Eltern haben mir von den konkreten Ereignissen erzählt, dass wir nach Hause gefahren sind und es sehr viel Polizei gab. Ich war damals 4 Jahre alt, habe davon also nichts mitbekommen. Ansonsten hatte man nur hier und da mal gehört, dass 91 etwas gewesen sei, das schlimm war, und dass Hoyerswerda einen Ruf als Nazi-Stadt hat, auch überregional. In der Schule war das kein Thema. Als wir angefangen haben, die Ereignisse zu dokumentieren, hat man uns in der Bibliothek einen großen Ordner mit Zeitungsartikeln aus einem Archiv hervorgekramt. Es gab in der Stadt nichts, was daran erinnert. Das eine Haus, das angegriffen wurde, ist inzwischen abgerissen, das andere ein normales Wohnhaus.

MARIUS: Ich kann mich da nur anschließen. In der Schule habe ich darüber gar nichts erfahren. In dem Jugendclub, in dem wir uns oft aufhielten und in dem auch ältere Linke waren, die das damals aktiv mitbekommen hatten, da hörte man dann schon immer mal wieder etwas. Aber es war immer wenig konkret. Und gerade diese Form des Umganges hat sicherlich auch im großen Maß dazu beigetragen, dass sich ein regelrechter Mythos um diese Geschehnisse gebildet hat, der sich seitdem beständig hält und von verschiedensten Seiten immer wieder neu unterfüttert wurde.

Wie war der Umgang in der Stadt mit rechter Gewalt?

MARIUS: Hoyerswerda hatte bis zu Beginn der Jahrtausendwende ein massives Naziproblem. Nach den Ereignissen 1991 entstand eine große rechte Jugendkultur, diese Leute sind dann gemeinsam erwachsen geworden. Viele sind natürlich weggegangen, aber viele andere sind geblieben. Die Stadt hat einfach nur versucht, da einen Deckel drauf zu machen. Wir haben das selbst erlebt: Als wir von rechter Gewalt betroffen waren und versuchten, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, sagte man uns, dass man sich damit nicht auseinandersetzen könne, da das alte Wunden aufreißen würde. Man war froh, dass es keine offenen Konflikte mehr gab und es wurde als sinnvoller angesehen, nicht darüber zu reden.

MATHIAS: Zu den Neonazis muss man sagen, dass deren Szene nach 1991 sehr aktiv war. Erst wurden die Ausländer vertrieben, dann Linke und nichtrechte Leute angegriffen. Die Stadt wurde zu einer Art national befreiter Zone. Es gab sehr viel und sehr extreme Gewalt und zwei Morde: Mike Zerna starb, nachdem im Februar 1993 eine Gruppe von Neonazis ihn erst zusammengeschlagen und dann ein Auto auf ihn gekippt hatte. Waltraut Scheffler wurde im Oktober 1992 in Geierswalde bei Hoyerswerda von einem 17-jährigen Nazi erschlagen. Es gibt im Zuge der NSU-Berichterstattung und -Analyse das Schlagwort von der „Generation Hoyerswerda“ durch einen Artikel in der Welt. Da wurde gesagt, dass die Leute, die im NSU aktiv waren, damals gelernt haben, was es heißt, politisch aktiv zu sein. Zudem gab der Staat den Rechten Recht: In Hoyerswerda und in Rostock haben die politisch Verantwortlichen die Flüchtlinge und Vertragsarbeiter aus der Stadt schaffen lassen. Zudem haben sie aus der Bevölkerung großen Zuspruch bekommen, sicher nicht von allen und sicher gab es auch Leute, die sich überhaupt nicht damit beschäftigt haben. Aber in Hoyerswerda standen am Höhepunkt des rassistischen Pogroms 600 Leute vor dem Haus. Das ist natürlich für eine Naziszene ein Signal, aus dem viel Selbstbewusstsein gezogen werden kann. Aber auch später blieben die Rechten sehr aktiv, so wurde zum Beispiel 2006 eine Demonstration organisiert, bei der man sich ganz direkt auf 1991 bezog und von einem „Volksaufstand“ sprach. Auch einer der Kader aus dem Spreelichter-Spektrum – Sebastian Richter – war lange in Hoyerswerda aktiv.

MARIUS: Die rechte Szene der Stadt gehörte 2004 bundesweit zu den Vorreitern bei den Anti-Hartz-IV-Protesten und beteiligte sich auch an den Montagsdemonstrationen. Sozialer Abstieg und Abwanderung waren und sind nach wie vor zentrale Themen in Hoyerswerda. Obwohl diese Art politischen Engagements nachgelassen hat; es gibt bis heute Neonazis in der Stadt, die sehr gewalttätig sind.

MATHIAS: Für den Umgang in der Stadt ist unter anderem problematisch, dass auch bei den aktiven Menschen in Hoyerswerda, die kulturell oder politisch öffentlich in Erscheinung treten, bisher der Konsens vorherrschte, dass man derartige Dinge nicht thematisiert. Zum Beispiel war die Regionale Arbeitsstelle für Ausländerfragen, die in Dresden und Leipzig Opferberatung macht, kein Ansprechpartner für uns, da wir dort nicht auf offene Ohren gestoßen sind. Dann sind, irgendwann nach 2004 war das, Leute aus Görlitz und Dresden gekommen, um sich unsere Geschichte anzuhören und uns zu sagen, was man nach einem Angriff machen kann. Auch im Stadtrat, also in der Politik, gab es kein Entgegenkommen. Und selbst im soziokulturellen Zentrum begegnete man uns immer mit Misstrauen, obwohl dort zum Teil Leute engagiert sind, die Anfang der 90er von Nazis verprügelt wurden.

MARIUS: Stattdessen wurde Stimmung gegen diejenigen gemacht, die sich engagierten, also gegen uns. Die RAA fragte zum Beispiel mal an, ob wir einen Text mit einer Chronik der Ereignisse von 1991 machen könnten. Der Artikel wurde dann mit der Begründung nicht gedruckt, dass er ein schlechtes Image für die Stadt produzieren würde. Als wir selbst das erste Mal an die Öffentlichkeit gingen, bezog man in der Stadt ganz entschieden Stellung gegen uns. Das hat sich erst im Lauf der letzten zwei Jahre geändert, als klar wurde, dass das Thema immer noch eine bundesweite Relevanz hat und man sich da irgendwie verhalten muss. Sie haben zumindest eingesehen, dass es nicht geht, dass man dazu schweigt.

Was hat sich verändert?

MATHIAS: Während 15, 20 Jahre geschwiegen wurde, hat man im Zusammenhang mit der bundesweiten Presse über unsere Demonstrationen begonnen, die damaligen Ereignisse zu relativieren und die rechte Gewalt in der Gegenwart zu entpolitisieren. So sagt man heute: Ja, 1991 war etwas, aber dann hat sich die Stadt zum Positiven verändert. Interessant ist dabei, dass bis auf wenige Ausnahmen selten konkret gesagt wird, was 1991 eigentlich passiert ist. Das wabert vielmehr alles irgendwie herum. Es geht letztlich immer um eine Imagebearbeitung. So gab es zum Beispiel eine Ausstellung zum 20. Jahrestag in der „Orange Box“, die bestand ausschließlich aus Polizeiberichten, die als neutrale Position galten und in der unteren Etage und mit sehr wenig Licht präsentiert wurden. Das obere Stockwerk war dagegen hell ausgeleuchtet. Hier zeigte man Porträts von Menschen mit nichtdeutsch klingenden Namen, die erzählten, wie gut es sich in Hoyerswerda lebt. Sie wurden also für eine städtische Imagebildung instrumentalisiert, eine ehrliche Auseinandersetzung gab es nicht. Die Farce des Ganzen zeigte sich, als im gleichen Jahr drei Betroffene von 1991 noch einmal in Hoyerswerda waren. Vor dem ehemaligen Wohnheim der Vertragsarbeiter/innen wurden sie erneut von Neonazis bedroht und rassistisch beleidigt. Dem begleitenden Kamerateam und einem entschiedenen Auftreten der Drei ist es vermutlich zu verdanken, dass es nicht zu einem gewalttätigen Übergriff kam. Daraufhin gab es ein Interview mit dem Bürgermeister im Deutschlandfunk, in dem er den Männern vorwarf, den Überfall durch ihr Auftreten mit einem Kamerateam provoziert zu haben. Wieder wurden die Täter- und Opferrollen umgekehrt, wieder die rechte Gewalt relativiert. Nicht mal, wenn drei Betroffene vor Ort sind, die der Bürgermeister wenige Minuten vorher persönlich getroffen hatte, war man im Stande, offen und ehrlich mit dem Problem umzugehen.

MARIUS: Die lokale Presse hat im Nachgang die Bürger Hoyerswerdas aufgerufen, zukünftig nett zu Kamerateams und Gästen zu sein, da das ansonsten auf die Stadt zurückfallen würde. Und das könne ja schließlich niemand wollen.

Wie seht ihr den Umgang mit Rechten heute in Hoyerswerda?

MARIUS: Da gibt es Veränderungen, bei denen der genannte Übergriff auf das Pärchen eine große Rolle spielte. Der Sächsische Innenminister sagte nach dem Bekanntwerden öffentlich, dass dies ein Zustand sei, der nicht hinnehmbar ist. Daraufhin wurde die Polizeipräsenz verstärkt, es wurden mehr Streifen gefahren und so weiter. Man versucht, auf der ordnungspolitischen Ebene etwas zu machen. Zum anderen gibt es von zivilgesellschaftlicher Seite aus dem Umfeld der Linkspartei seit zwei Jahren die Tendenz, einige Sachen mehr mitzutragen. Es gab zum Beispiel am 16. April eine Lange Nacht der Toleranz mit ganz verschiedenen Veranstaltungen. Die Linkspartei bezog sich dabei als einzige auf die Ereignisse 1991 und zeigte einen Film, in dem die Betroffenen von damals und ihre Erfahrungen in der Stadt im Zentrum stehen. Bei allen anderen Veranstaltungen fehlte aber wieder jeder Bezug zu 1991 oder zum 20. Todestag von Mike Zerna. Stattdessen gab es zum Beispiel ein Volleyballturnier mit Schülern, das als tolerant galt, weil gesagt wurde, dass es dabei nicht ums gewinnen gehe.

MATHIAS: Das sind Aktivitäten der Aktivität wegen. Die Inhalte, die es gibt, sind instrumentalisiert in dem Sinn, dass sie das Image von Hoyerswerda korrigieren sollen. Zu den wenigen Ausnahmen gehört, dass es im vergangenen Jahr ein Schulprojekt gab, bei dem in Klassen über das, was 1991 passiert war, geredet wurde. Erst mit der bundesweiten Resonanz, die wir mit unserer Kritik ausgelöst haben, und mit der Reaktion des Sächsischen Innenministers auf den Überfall wurde ein Punkt erreicht, an dem Hoyerswerda zum Handeln gedrängt wurde. Wieder war es also nicht die Stadt, die von sich aus gesagt hat: „Das ist eine ganz furchtbare Sache, wir müssen handeln.“

Weiterlesen in Teil 2 des Interviews →

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