RE:GUBEN » Stadtleben http://www.re-guben.de fragt nach den Folgen des Todes Farid Guendouls, der am 13. Februar 1999 auf der Flucht vor einer Gruppe Neonazis in Guben starb. Was geschah in jener Nacht? Wie wurde mit der Tat umgegangen? Wie kann Gedenken gestaltet werden? Wie reagieren Politik und Gesellschaft? Fri, 02 May 2014 16:27:31 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.8 „Die Nacht ist immer noch präsent“ http://www.re-guben.de/?p=699 http://www.re-guben.de/?p=699#comments Thu, 12 Dec 2013 21:28:28 +0000 http://www.re-guben.de/?p=699
Lukas A.* war seit Ende der 1980er Jahre in der Gubener Antifa aktiv.
Mittlerweile hat er die Stadt verlassen. Im Interview mit Friedrich Burschel spricht er über die Anfänge der Neonazi-Szene in Guben, den 13. Februar 1999 und das Gedenken an die Tat.

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* Name von der Redaktion geändert

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„Eine politisch motivierte Tat kann nicht ausgeschlossen werden“ – Über das Unbehagen mit der Mutmaßung http://www.re-guben.de/?p=683 http://www.re-guben.de/?p=683#comments Mon, 02 Sep 2013 16:08:57 +0000 http://www.re-guben.de/?p=683 „Die Sachverständige Prof. John hat außerdem angeregt, eine Neudefinition von fremdenfeindlichen Straftaten vorzunehmen. Diese Neudefinition solle Ermittlungen gegen Rechtsextremismus als Standardaufgabe bei Gewalt gegen Einwanderer etablieren. Die Polizei erkenne fremdenfeindliche Straftaten bisher nur, wenn entsprechende Symbole aufgetaucht seien, wie Hakenkreuze, Bekennerschreiben etc. Deshalb müsse das Prüfen auf einen rechtsextremistischen Bezug als Standardermittlung bei Gewalt gegen Einwanderer eingeführt werden.“ (Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages, Beschlussempfehlung und Bericht des 2. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes, S. 828)

Wenn ich im Folgenden über zwei nicht aufgeklärte Gewalttaten in Guben schreibe, die im April und im Juli 2013 verübt wurden, kann ich nichts Belastbares über ihre Hintergründe sagen. Ich kenne sie nicht und die Polizei kann dahingehend keine Ermittlungsergebnisse vorweisen. Gleichwohl stelle ich Spekulationen in den Raum. Sie sollen hier aber nicht das eigentliche Thema sein. Vielmehr geht es um die Möglichkeit extrem rechter Motive, den Umgang damit und das Unbehagen mit der fehlenden Antwort auf die Frage, was geschehen ist.

Ein abgebrannter Imbissstand

In einer ersten Polizeimeldung vom 22. April 2013 hieß es kurz: „Feuerwehr und Polizei wurden nach einem Anruf gegen 01:25 Uhr am Montag in die Damaschkestraße gerufen. Auf dem dortigen Parkplatz stand ein seit kurzem nicht mehr genutzter Imbissstand in Flammen. Personen oder andere Gebäude waren nicht in Gefahr. Zur Schadenshöhe gibt es keine Erkenntnisse. Die Kriminalpolizei ermittelt zur Brandursache.“ Am 24. April schrieb die Lausitzer Rundschau: „Die Ermittlungen der Kriminalpolizei zu der Brandstiftung am Imbissstand in der Damaschkestraße haben ergeben, dass unbekannte Täter vor dem Brand gewaltsam in den Imbiss eingedrungen waren. Die genaue Brandursache ist noch nicht bekannt. Es liegen keine Erkenntnisse vor, die auf eine politisch motivierte Tat hindeuten können, ausgeschlossen werden kann sie jedoch auch nicht, teilt die Polizei mit.“

Offenbar ging es bei dieser Tat um die Zerstörung des Imbiss-Häuschens auf dem Kaufland-Parkplatz. Gegenüber auf der anderen Seite der Damaschkestraße steht ein Wohnblock, in dem viele potenzielle Zeugen leben, die aber zur nächtlichen Tatzeit offenbar nichts bemerken konnten. Zum Motiv der Tat kann die Polizei nichts sagen. Der oder die Täter haben keine Hinweise hinterlassen und so kommen selbstverständlich verschiedene Möglichkeiten in Betracht. Warum weist der Bericht dann explizit darauf hin, dass eine politisch motivierte Tat nicht ausgeschlossen werden könne? Ein Detail fehlt im Polizeibericht und in der Zeitungsmeldung – es handelte sich um einen Döner-Imbiss.

Abgebrannter Imbiss, April 2013

Abgebrannter Imbissstand, April 2013

Thomas Bürk und Beate Selders haben 2004 in einer Studie fremdenfeindliche und rechtsextreme Anschläge auf Imbissbuden im Land Brandenburg untersucht. Sie kamen unter anderem zu dem Ergebnis, dass es sich in Polizeimeldungen zu Imbissen im Fall von Vandalismus immer um Asia- oder Döner-Imbissbetriebe handelte (S. 57). Außerdem stellten sie in einer ihnen damals vorliegenden Dokumentation von Brandstiftungen an Asia- und Döner-Imbissen fest, dass in allen aufgeklärten Fällen die „Täter aus rechtsradikalen Szenen und deren Umfeld“ kamen (S. 77f.). Sagt die Statistik etwas über den Einzelfall? Nein. Aber sie zeigt ein Muster auf und nährt damit eine Vermutung. Im konkreten Fall tun die zeitliche Nähe der Tat zum 20. April und der Umstand, dass in dem Zeitraum die Gubener Nazi-Szene einmal mehr mit Propaganda-Aktionen aktiv war, ihr Übriges.

Im Juni hat der Gubener Stadtverordnete Peter Stephan (Die Linke) bei der Polizei nachgefragt. Die Polizeiinspektion Cottbus/Spree-Neiße teilte daraufhin mit, dass bislang keine Täter ermittelt werden konnten und es keine Hinweise auf ein fremdenfeindliches Motiv gebe. Parallel bekam RE:GUBEN von der Staatsanwaltschaft Cottbus die Auskunft, dass ein rechtsmotivierter Hintergrund nicht ausgeschlossen werden könne. Der Stand im Sommer 2013 war also wie zuvor: Imbissstand abgebrannt, Täter und Motiv unbekannt, Raum für Spekulationen.

Überfall an der Neiße

Am 10. Juli 2013 meldete die Lausitzer Rundschau: „Geschlagen und in die Neiße gestoßen wurde bereits am vergangenen Samstag ein Mann. Das berichtete die Polizei am gestrigen Dienstag. Der Vorfall ereignete sich zwischen 19.50 und 20.05 Uhr auf der Holzbrücke an den Neißeterrassen. Den Angaben zufolge näherten sich drei männliche Personen dem Geschädigten, einer schlug ihn mehrmals mit Fäusten ins Gesicht und stieß ihn dann in den Grenzfluss. Beobachtet wurde die Körperverletzung von mehreren auf Bänken sitzenden Jugendlichen. Die drei deutsch-sprechenden Täter sind etwa 30 bis 35 Jahre alt und zwischen 170 und 180 Zentimeter groß.“ Auch hierzu hat RE:GUBEN nachgefragt und von der Staatsanwaltschaft im Juli die Antwort bekommen: Rechtsmotivierter Hintergrund nicht ausgeschlossen. Aber eben auch nicht bestätigt.

Warum kann man in diesem Fall mutmaßen? Folgt man dem Polizeibericht, ging es ausschließlich um Gewalt, es handelte es sich nicht um einen Raub oder ähnliches. Es war offenbar keine Beziehungstat, Täter und Opfer müssen sich dem Bericht nach unbekannt gewesen sein. Die Tat wurde demnach spontan, brutal und aus einer Gruppe heraus ausgeführt. Das Muster spricht für geübtes Gewalthandeln. Wer fällt einem da als Tätergruppe, männlich, Anfang 30, in Guben ein? Auffällig ist, dass der Bericht über das Opfer keine Informationen gibt. Das dient möglicherweise dessen Schutz, verhindert aber auch, dass man aus der Person des Opfers Rückschlüsse auf die Motivation der Täter, etwa spezifische Feindschaften, ziehen kann. Wiederum Raum für Spekulation. Ein Mann wird zusammengeschlagen und in die Neiße gestoßen. Warum?

Nicht-Wissen

Wo liegt nun das Problem? Die Polizei kann nur das mitteilen, was sie in ihren Ermittlungen herausfindet. Wenn die Täter keine verwertbaren Spuren hinterlassen haben und sich erst recht nicht zu der Tat bekannt haben, wenn es keine Zeugen gibt oder sie sich nicht melden, was sollte die Polizei anderes sagen als, dass das Motiv unbekannt ist und sie nichts ausschließen kann? Solange die beiden Fälle nicht aufgeklärt sind, bleibt objektiv ein Nicht-Wissen. Insofern wäre es ein Fehler, den Taten zum Beispiel einen fremdenfeindlichen Hintergrund zuzuschreiben. Vielleicht lässt er sich zu einem späteren Zeitpunkt ausschließen, vielleicht wird er bestätigt. Wenn dies nicht passiert, muss man mit Mutmaßungen leben, wie es gewesen sein könnte, weil man aus Erfahrung Muster erkennt.

Darüber hinaus ist allerdings, nicht nur in den beiden genannten Fällen, auch festzustellen, dass in den Polizeiberichten Informationen fehlen. Es wurde beispielsweise nicht von einem Döner-Imbiss gesprochen. Würde ein Hinweis darauf die öffentliche Meinung im Fall einer Brandstiftung zu bestimmten, nicht belegbaren Schlussfolgerungen führen? Vielleicht. Andererseits dürfte zumindest einigen Gubenern klar sein, um welchen Imbiss es sich handelte. Die Strategie des Nicht-Redens lässt sich auch in den Polizeiberichten zu Parolen finden, die in der Obersprucke im Mai und im August 2013 mit Kreide geschrieben wurden. Nur aus dem Kontext war ein extrem rechter Hintergrund zu schließen – es sind jeweils relevante Daten für die Nazi-Szene. Zeitgleich tauchte zum 8. Mai ein Graffiti gegenüber des Pieck-Monuments auf, das heute übrigens immer noch zu lesen ist. Im August wurden Rudolf-Hess-Plakate geklebt. Da diese Aktionen in den Polizeimeldungen außen vor blieben und kein politisches Motiv benannt wurde, muss man sich mit Interpretationen behelfen. Welche Art von Kreideschreibereien ist es wert, dass die Polizei Ermittlungsverfahren einleitet und darüber berichtet?

Es gehört zu Polizeiarbeit in einem Rechtsstaat, vorurteilsfrei und unvoreingenommen zu ermitteln. Das heißt auch, in alle Richtungen zu ermitteln. Dass dies nicht immer geschieht, hat zumindest der NSU-Untersuchungsausschuss mit der eingangs zitierten Anregung wahrgenommen. Daneben kommt der Polizei aber auch eine wichtige Rolle im öffentlichen Diskurs zu. Was und wie sie über Straftaten berichtet, prägt die öffentliche Wahrnehmung.

Was tun mit der Dunkelziffer?

Der Umgang mit der Dunkelziffer, mit Straftaten, die nicht er- oder bekannt werden, ist aber nicht nur eine Herausforderung für die Polizei. Auch die Öffentlichkeit hat ein Interesse am Wissen insbesondere über Taten, die das Zusammenleben in einem Gemeinwesen treffen, zumindest sollte sie es haben (nicht nur im Fall gestohlener Autos und Fahrräder). Sie ist damit nicht angehalten, Polizeiarbeit zu übernehmen, auch nicht aufgrund von Mutmaßungen Urteile zu fällen. Sie kann aber immer wieder nachfragen, wie oben genannt in der Stadtverordnetenversammlung. Lokale Medien sind dahingehend ebenso gefordert, den Dingen auf den Grund zu gehen. Wesentlich ist das Interesse selbst, auch wenn den Antworten Grenzen gesetzt sind.

Wichtiger als Fragen an die Polizei erscheint dabei das Interesse an den Betroffenen von Gewalttaten. Was ist ihnen widerfahren, was sind die Folgen für sie, wie können sie damit umgehen, wie bewerten sie Angriffe? Ihre Perspektive fehlt zumeist in der öffentlichen Wahrnehmung. Eine Verschiebung der Aufmerksamkeit, weg von den unbekannten Tätern, bietet dagegen die Chance, sich mit Menschen und ihrem konkreten Erleben auseinanderzusetzen. Dass regional verankerte Beratungs- und Kommunikationsstrukturen, die sich um die öffentliche Vermittlung eben dieser Perspektive bemühen, faktisch fehlen, trägt letztlich auch zu dem bestehenden Diskurs-Defizit bei. Die Anregung, solche Strukturen auf- und auszubauen, ist übrigens auch im Bericht des NSU-Untersuchungsausschusses zu finden.

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„In Guben war es wie in einem schwarzen Loch“ http://www.re-guben.de/?p=260 http://www.re-guben.de/?p=260#comments Fri, 01 Mar 2013 12:07:55 +0000 http://www.re-guben.de/?p=260 Guben, Kleingartenanlage

Guben, Kleingartenanlage

Im Mai 2000 gehörte Andrea zu einer Gruppe von Jugendlichen, die sich auf einer Skaterbahn in der Obersprucke trafen. Sie erzählte uns damals in einem Interview für das Buch: Nur ein Toter mehr… von der Stimmung nach dem 13. Februar in Guben und ihrem Alltag, der wesentlich von Angriffen durch Neonazis bestimmt war. 2001 ist sie zum ersten Mal aus der Stadt weggezogen. Wir trafen uns im Januar 2013 erneut und sprachen mit ihr über ihre Erinnerungen und die Frage, was sich in Guben verändert hat.

Erinnerst Du Dich an die Zeit im Februar 1999?

Damals war ich 15. Ich war viel im Fabrik e.V., das war damals ein Jugendclub. Und dort haben Leute über den Tod von Omar Ben Noui gesprochen. Das war am Tag danach. Wir haben aber am Anfang noch gedacht: ‚Auf gar keinen Fall!’ Also wir wussten, dass es in der Stadt einen Haufen Spinner gibt. Aber das war eine Nummer, die wir den Leuten nicht zugetraut hatten, also dass es wirklich einmal bis zum Äußersten geht. Daran kann ich mich noch gut erinnern. Kurz danach war ja auch die Demo gewesen, bei der ich aber leider nicht war, weil meine Eltern das aus Angst um mich nicht wollten.

Wie waren die Reaktionen in den folgenden Wochen?

Ich war zu dieser Zeit viel in der Fabrik, aber das hat sich nach der Tat ziemlich schnell geändert. Mich hat das alles sehr mitgenommen und beschäftigt, aber die Leute, die damals meine Freunde waren und die da rumgehangen haben, nicht so sehr wie mich. Ich habe dann nach Menschen gesucht, für die das ebenfalls ein Thema war und die habe ich auch gefunden. Damit hat sich mein soziales Umfeld völlig verändert. Ich weiß nicht, ob ich so geworden wäre, wie ich heute bin, wenn das damals nicht so gewesen wäre. Diese Zeit hat mich sehr geprägt.

Ich konnte mit meinen Eltern darüber sprechen, bei denen solche Dinge schon immer ein Thema waren. Sie waren danach völlig schockiert, weil sie dachten: ‚Ok, wenn so etwas jetzt hier passiert, machen wir uns auch Sorgen um unser Kind.’ Sie haben mich dann eine Zeit lang so ein bisschen an der kurzen Leine gehalten, mit dem Weggehen und so. Sie hatten einfach viel Angst und deswegen haben wir öfter darüber geredet. Es war ganz viel Ohnmacht und Fassungslosigkeit auf ihrer Seite, denn sie erlebten Guben ja sonst ganz anders als ich. In der Schule dagegen, ich war auf der Gesamtschule, war es überhaupt kein Thema. Aber ich wüsste auch keinen Lehrer, dem ich zugetraut hätte, über so etwas mit den Schülern zu reden.

Das ist ja auch das Irre: Medial und außerhalb von Guben war es über viele Monate ein unglaublich großes und präsentes Thema; in Guben war es wie in einem schwarzen Loch. Ich hatte immer das Gefühl, dass von außen viel mehr passiert als in der Stadt selbst. Es verging so wenig Zeit bis alle gesagt haben: ‚Das interessiert mich nicht.’ Teilweise konntest du schon am Tag nach der Hetzjagd hören, dass jemand sagte: ‚Ich will davon nichts mehr wissen. Der ist selber schuld.’ Das habe ich noch sehr gut in Erinnerung.

Was hättest Du Dir denn gewünscht, was passieren soll?

Das ist eine gute Frage. Dass man offener damit umgeht, dass sich die Stadt anders positioniert, dass man sagt: ‚Ok, das ist jetzt passiert, das ist total dramatisch, aber jetzt müssen wir zeigen, dass wir das nicht wollen.’ Aber das ist völlig ausgeblieben. Es war eher so: Man steckte den Kopf in den Sand und sagte sich: ‚Jetzt halten wir das kurz aus und dann ist wieder Ruhe in der Stadt.’

Wie war es, als Jugendliche in Guben zu leben?

Ich hatte den ersten wirklichen Konflikt mit Nazis, da war ich 13. Aber wir haben ja einen ziemlich untypischen, undeutschen Familiennamen, deshalb war ich als kleines Mädchen bereits öfter im Fokus. Ich war eben nicht auf dem Gymnasium, wo die Schüler mehr zu den Alternativen und politisch Interessierten gehörten, sondern auf einer Gesamtschule, wo ich eher mit Rechten in Konflikte gekommen bin. Aber es war sicher auch die Gesamtkombination; ich hatte beispielsweise auch häufig wechselnde, eher unkonventionelle Haarfarben. Als an der Schule bekannt wurde, dass ich Kontakte zur Antifa Guben habe, wurde es ruhiger für mich.

Ein paar Jahre später, ich war für ein kürzeres Intermezzo nach Guben zurückgekehrt, hatte ich wieder mit Sport angefangen und bin dort zwei-, dreimal in der Woche mit dem Fahrrad hingefahren. Irgendwann ist dann aus einem fahrenden Auto ein Schuss mit einer Schreckschusspistole auf mich abgegeben worden. Da habe ich dann gedacht: ‚Nun sieh zu, dass du aus der Stadt wegkommst.’ Und habe aufgehört, Regelmäßigkeiten im öffentlichen Raum an den Tag zu legen.

Ich habe noch Jahre später die Folgen dieser Zeit gespürt. So war ich zum Beispiel eine Zeit ziemlich viel in Bielefeld. An einem Samstagabend wollten meine Freunde kurz zur Aral-Tankstelle gehen. Und ich sagte, gerade aus Brandenburg gekommen: ‚Wir können doch jetzt nicht zu Aral, es ist Wochenende, mitten in der Nacht. Das können wir nicht machen.’ Sie haben überhaupt nicht verstanden, warum mir das so gegen den Strich geht, worüber ich überhaupt rede. Aber das hatte ich immer, dieses vermeidende Verhalten. Ich wusste genau, wann ich wo sein kann, was möglich ist und was nicht mehr. Und Samstagabend zu Aral zu gehen, ging überhaupt nicht.

Wie erlebst Du Guben heute?

Ich bin nur noch sehr selten da, besuche eigentlich nur noch meine Eltern, zum Beispiel zu Weihnachten. Und da treffe ich auch Freunde, die ebenfalls zu Besuch in der Stadt sind. Aber es beschränkt sich auf ein Minimum. Leute, mit denen ich mal Zeit verbringen will, die leben ja nicht mehr da. Höchstens noch Menschen, mit denen ich zur Schule gegangen bin, aber mit denen habe ich keinen großen Gesprächsbedarf. Wegen einem von denen würde ich da nicht hinfahren. Aber das ist auch gut so; jeder mit Köpfchen hat da nichts verloren.

Ich weiß nicht, wie ich die Stadt heute beschreiben soll, ich glaube, die Fronten sind nicht mehr so klar. Es gibt nicht mehr wirklich Linke und dementsprechend sind die Rechten ruhiger. Es gibt keine Reibung mehr. Zum Beispiel sind Aufkleber oder Sprühereien ja auch ein Zeichen dafür, dass man sich in einem Kampf befindet, aber wenn da kein Gegner mehr ist, brauchst du es nicht zu machen. Es ist merkwürdig da, wie eine Geisterstadt. Es ist alles saniert und schön gemacht, aber es ist kein Mensch da, du siehst niemanden.

Als wir 2006 oder 2007 den Sani (der ‚Sanikasten’ war ein selbstverwalteter alternativer Treffpunkt, der seit Oktober 2000 existierte; Anmerkung der Red.) zugemacht haben, ist dann alles weggebrochen. Zu der Zeit war auch der Jahrgang, der ganz viel gemacht hatte, mit dem Abi fertig und ist gegangen. Ich bin dann erneut 2008 weggezogen. Und da kam dann nichts mehr hinterher, kein Nachwuchs, kein neuer Ort, nichts. Es gibt ja wirklich gar nichts, wohin du gehen kannst. Ich habe mich oft gefragt: Wie kommt es, dass es keine alternative Jugendkultur in Guben mehr gibt? Die Rechten dominieren jetzt klar die Stadt. Aber man kann ja nicht mehr zurückgehen. Da müssen andere kommen, die das stört. Das macht man alles eine Zeit lang, aber irgendwann geht das eigene Leben in eine andere Richtung. Man kämpft dann auf einer anderen Ebene. Aber ich will auch nichts mehr für Guben machen. Also wie ich das sage: für Guben. Das will ich nicht mehr. Wenn es vor Ort nicht einmal ein Problembewusstsein gibt.

Gibt es etwas, an das Du Dich gern erinnerst?

Mein persönliches soziales Umfeld war zu der Zeit in Guben schön. Ich hatte tolle Freunde und wir hatten den Sanikasten. Wir hatten es schön, abgesehen von dem Stress. Wir waren ja auch eine tolle Gruppe. Aber wir waren das auch, weil es so schlimm war. Wir hätten uns ja nicht in dem Ausmaß gerührt, wenn es nicht erforderlich gewesen wäre, wenn der Druck von außen nicht so groß gewesen wäre. Wir hätten uns vermutlich nicht zusammengefunden und wir wären nicht so eine starke Gruppe gewesen. Das merkt man ja jetzt, wenn man sieht, dass es nichts mehr gibt. Wir haben vielleicht aus der Situation das Beste gemacht. Es war ein Schutzraum und ich glaube, ich habe gerade in der ersten Zeit im Sani ganz viel gelernt. Und wenn ich mir überlege, dass so ein Ort jetzt nicht da ist, dann denke ich immer: Was wird denn jetzt aus den Jugendlichen? Das finde ich ganz schlimm.

 

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Nach der verlorenen Zeit http://www.re-guben.de/?p=339 http://www.re-guben.de/?p=339#comments Thu, 14 Feb 2013 21:06:32 +0000 http://www.re-guben.de/?p=339 Der folgende Beitrag von Alexandra Klei und Daniel Krüger erschien zuerst in der Jungle World vom 14. Februar 2013.

Die Prozessbeobachtungsgruppe Guben begleitete von 1999 bis 2002 das Gerichtsverfahren wegen des rassistischen Angriffs, der in der Politik und den Medien als „Hetzjagd von Guben“ bekannt wurde. Zwei damalige Mitarbeiter des Projekts haben die Kleinstadt an der Neiße besucht. Ein Spaziergang durch Guben.

Wir fahren auf der Cottbuser Straße nach Guben hinein. Bereits an der ersten Ampel stehen wir mitten in Erinnerungen: links die Aral-Tankstelle, ein Stück weiter ein Flachbau, der „Dance Club“, vorne rechts die Hugo-Jentsch-Straße. Einmal abbiegen, da liegt schon Obersprucke.

Es sind Orte des Geschehens jener Nacht zum 13. Februar vor 14 Jahren. Hier trafen sich die Täter, hier brachten sie sich in Stimmung, hier jagten sie Farid Guendoul, Khaled B. und Issaka K. durch die Straßen. Hier starb der 28jährige Guendoul.

Für uns sind diese Orte Geschichte. Sie sind gebunden an die Gerichtsaussagen über die Abfolge der Ereignisse, an die Berichte der Opfer über ihr Erleben, an die Versuche, sich vorzustellen, was in dieser Nacht genau geschah. Dabei gibt es viele Bilder, die irreal wirken. Etwa wie die beiden Glatzköpfe Steffen H. und Ronny P. in ihren grünen Bomberjacken erst den Film „Romper Stomper“ anschauen und dann in der Diskothek „Dance Club“ die Auseinandersetzung mit Vietnamesen suchen. Wie P. den Kürzeren zieht und sich das Gerücht verbreitet, er sei mit einer Machete aufgeschlitzt worden, wie sich der Mob zusammenrottet und auf der Suche nach Ausländern herumfährt. Wie sie schließlich aus ihren Autos springen und losstürmen, als sie die drei Männer aus Algerien und Sierra Leone erblicken.

Dann gibt es das reale Bild des blutverschmierten Treppenhauses in der Hugo-Jentsch-Straße 14. Das alles ist hier passiert. Die Ampel schaltet jetzt auf grün.

Wir sind heute nach Guben gefahren, um uns ein Bild zu machen. Wir haben uns 1999 und in den folgenden Jahren eingemischt. Wir haben die Opfer und die Angehörigen des Toten begleitet, das Gerichtsverfahren verfolgt und ein Buch über den Fall herausgegeben. („Nur ein Toter mehr. Alltäglicher Rassismus in Deutschland und die Hetzjagd von Guben“. Herausgegeben von der Prozessbeobachtungsgruppe Guben, Unrast-Verlag, 2001, Anm. d. Red.) Jetzt sind wir wieder am Ort des Geschehens, um zu sehen, was geblieben und was neu entstanden ist.

Auf der Fahrt haben wir uns über das öffentliche Bild der Stadt unterhalten. Im Laufe der Jahre ist so etwas wie die typische Guben-Reportage mit ihren eigenen Topoi entstanden. Eine kurze Darstellung der Tat gehört selbstverständlich dazu, die Biographie des Toten nicht. Auch wir kennen sie nicht im Detail. Vielmehr richtet sich die Aufmerksamkeit auf Guben, auf die Zeichen des Verfalls der Stadt und deren Umbau, auf die lokale Politik und die immer „schweigende Mehrheit“.

Es geht nicht nur um die hiesige rechtsextreme Szene mit ihrem „Chef“ Alexander Bode, einem der Haupttäter von 1999. Die Reportagen handeln von Plattenbauten und Industriebrachen, Abwanderung und Arbeitslosigkeit, vom – inzwischen vorläufig des Dienstes entbundenen – Bürgermeister und seiner Frage, was die Asylbewerber nachts auf der Straße zu suchen hätten, von Wagenburgmentalität und Leuten auf der Straße, die einen stumpfen Rassismus präsentieren. Das kann man alles in Guben finden – sehr leicht. Auch die Erwartungen über die ostdeutsche Provinz lassen sich hier schnell bestätigen und einfache Erklärungen für die Existenz von Neonazis finden. Wir wollen wissen, ob diese Bilder heute noch zutreffen. Oder hat sich vielleicht etwas verändert? Wir machen uns auf die Suche.

Einer der ersten Menschen, denen wir in Guben-Obersprucke auf der Straße begegnen, ist ein Fahrradfahrer. Das Rad ist klapprig, der Mann hat lange Haare und trägt einen Mittelscheitel. Auf dem Rücken seines Kapuzenpullovers steht „Hooligan“. Er heißt Markus Noack und ist einer von zwei NPD-Abgeordneten im Kreistag Spree-Neiße. Manchmal trägt er dort mit mäßigem Einsatz Anfragen vor, die von der Kommunalpolitischen Vereinigung der NPD unter den Mandatsträgern der Partei herumgereicht werden. Er ist aber auch einer, der immer mit Fahne oder Transparent dabei ist, wenn der NPD-Kreisverband Lausitz seine Demonstrationen und Kundgebungen abhält. Noack war zehn Jahre alt, als Farid Guendoul starb. Jetzt fährt er weiter. Guben macht es einem nicht leicht, ohne Klischees auszukommen.

Guben, Hochhaus

Guben, Hochhaus

Wir stehen in Obersprucke vor dem Hochhaus. Es heißt das Hochhaus, weil es das einzige ist. Gebaut wurde es Anfang der sechziger Jahre, als die realsozialistische Stadt einen industriellen Boom erlebte und neue Wohnkomplexe entstanden. Heute steht das Gebäude leer, ist abgesperrt und dem Verfall überlassen. Seinen letzten Zweck erfüllt es als Träger der Telekommunikationsantennen auf dem Dach. Ansonsten ist das privatisierte Haus ein Mahnmal des Niedergangs und zugleich ein Symbol für Gubener Ambivalenz, denn es steht im Zentrum eines Stadtteils, der in den vergangenen Jahren fast flächendeckend saniert und umgebaut wurde.

Doch deshalb stehen wir nicht hier. Das Haus war in der Nacht zum 13. Februar 1999 auch der Ausgangspunkt der Gubener Hetzjagd. Ronny P. wohnte hier. Ein Teil der späteren Täter sammelte sich bei ihm. Am Hochhaus trafen auch Polizisten auf den aufgehetzten Mob – und taten nichts, um die Jugendlichen zu stoppen. Für wen spielen diese Details der Tatnacht heute noch eine Rolle?

Das einzige Zeichen, welches an Farid Guendoul und dessen Tod erinnert, ist ein Gedenkstein. Er ist in eine Wiese an der Hugo-Jentsch-Straße eingelassen, ein paar Meter vom Tatort entfernt. Der Wohnblock, in dem der junge Algerier starb, wurde im Zuge des Stadtumbaus allerdings abgerissen. So liegt der Stein heute abseits und niemand muss sich durch seine Existenz diskreditiert fühlen. Angesichts der Mischung aus Gewöhnung und Vergessen findet er kaum mehr Beachtung. Lediglich am Jahrestag trifft sich hier eine Handvoll Gubener und legt Blumen nieder.

In diesem Wohngebiet haben die Neonazis nur wenige Spuren hinterlassen. Ein offensichtlich einige Jahre altes Graffito für Rudolf Heß ist übertüncht worden. Daneben sieht man ein paar verwitterte Aufkleber. Neuer zu sein scheinen kleine Edding-Kritzeleien auf Hauswänden gegen das Verbot der „Widerstandsbewegung in Südbrandenburg“. Gubener sind präsent in der rechtsextremen Szene der Region. Die Markierungen im öffentlichen Raum spiegeln das nicht wider, dieser ist auch nicht mehr umkämpft – Anti-Nazi-Parolen finden wir nicht.

Am Wilhelm-Pieck-Monument – dem Denkmal für den KPD- und SED-Politiker, der von 1949 bis 1960 Präsident der DDR war und in Guben geboren wurde – zeigt ein Foto auf einer Tafel Demonstranten, die sich hier 1989 versammelten. Der Platz war gefüllt mit Menschen. Jetzt herrscht hier Leere zwischen sanierten Wohnblocks. Im vergangenen Sommer hat die NPD am Monument eine Kundgebung abgehalten. Etwa 20 in Reihe aufgestellte und Fahnen schwenkende Leute. Protest dagegen? Fehlanzeige. Publikum? Gibt es auch nicht.

Die „schweigende Mehrheit“ verrät nicht, ob sie dafür oder dagegen ist. Was die Einzelnen denken, bleibt im Privaten. Wir vermuten, dass dort eine rhetorische Frage sehr häufig gestellt wird: was einen das alles anginge. Manche der wenigen Menschen, denen wir auf unserem Weg durch die Stadt begegnen, sind freundlich, andere wirken zurückgezogen und verschlossen. Wir versuchen, ihr Alter zu schätzen. Es gelingt uns kaum. Sie scheinen aus der Zeit herausgefallen zu sein. Wir spazieren durch eine Stadt, in der Resignation und Warten Alltag geworden sind.

Wir unterhalten uns mit Samy, der noch zur Schule geht und erzählt, er wolle aus Guben wegziehen, sobald er sie abgeschlossen hat. Samy ist unangepasst, er ist einer der wenigen Jugendlichen, die sich hier als links verstehen. Er spricht von seiner Wahrnehmung der Stadt, von den Neonazis und von den Schwierigkeiten, gegen sie aktiv zu werden. Auf die Frage, was er vom Tod Farid Guendouls wisse, sagt er: „Sehr wenig.“ In der Schule sei das kein Thema gewesen, in seiner Familie habe man aber darüber gesprochen.

Samy wird in ein paar Monaten gehen, wir fahren jetzt. Es bleiben wieder Bilder. Der Asylbewerber war im Leben nicht Teil dieser Stadt, sein Tod ist es auch nicht. Sichtbare Spuren hat die Tat kaum hinterlassen. Meinungen gibt es wohl, aber ein Wissen darum, was am 13. Februar 1999 in Guben geschah, fehlt ebenso wie eine politische Diskussion in der Stadt. Letzteres umfasst allerdings weitaus mehr. Es ist die Teilnahmslosigkeit, die einem in Guben auffällt. Die Oberfläche der Stadt hat sich verändert. Millionen Euro sind in den Stadtumbau geflossen. Das politische Leben scheint davon unberührt. Von einer aktiven Debatte darüber, wie die Gubener leben wollen, ist nichts zu bemerken. Alles geht seinen Gang. Die Neonazis sind nachgewachsen. Nur die Konflikte um sie sind weniger geworden, weil ihnen die unmittelbaren Gegner abhanden gekommen sind.

 

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„Über Guben weiß ich, dass, wenn ich hier weg bin, ich nicht mehr zurück komme.“ http://www.re-guben.de/?p=49 http://www.re-guben.de/?p=49#comments Wed, 13 Feb 2013 02:25:57 +0000 http://www.re-guben.de/?p=49 Guben, Am Dreieck

Guben, Am Dreieck

Samy ist einer der wenigen Jugendlichen, die heute in Guben leben und sich als links, alternativ und unangepasst verstehen. RE:GUBEN traf ihn im November 2012 und sprach mit ihm über das Leben in einer Stadt, in der kaum jemand ein Problem mit Rechtsextremismus sieht.

RE:GUBEN: Wie hast Du zum ersten Mal vom Tod von Farid Guendoul gehört.

Samy: Ich war 1999 ja erst 5 Jahre alt; also habe ich das erst einige Jahre später wirklich wahrgenommen. Ich glaube, meine Schwester hat mir davon erzählt. Und ansonsten findet man ja zum Beispiel Videos auf youtube. In der Schule ist das kein Thema. Es gab in den letzten Jahren auch keine Gedenkveranstaltungen mehr, jedenfalls habe ich nichts mitbekommen. Ich habe schon überlegt, selbst eine zu organisieren, aber hier sind zu wenige Menschen, die daran teilnehmen würden. Und wenn man dann da zu fünft steht, ist das ja auch deprimierend.

Ansonsten hört man nur manchmal Sachen, wenn man sich mit Mitschülern unterhält. Aber da heißt es nur: „Das war doch einer, der bei dieser Hetzjagd dabei war“ oder „Da ist ein Mensch gestorben, aber das ist schon so lange her und geht mich nichts an.“ Ich denke, man sollte sich zumindest darüber im Klaren sein, dass da ein Mensch durch einen politischen Hintergrund gestorben ist.

Wie ist die Situation mit Rechten in Guben heute?

Man muss sagen, die halten sich hier ziemlich zurück, vor allem dafür, dass sie zahlenmäßig überlegen sind. Eigentlich gibt es kaum Linke in Guben. Und die wenigen sind sehr passiv, kleben nur ab und zu vielleicht mal einen Sticker. Die Präsenz der Rechten wirkt ziemlich erdrückend. Man sieht zum Beispiel ständig jemanden mit einer Thor-Steinar-Jacke oder immer wieder neue „Nationaler Widerstand“-Graffitis und -Sticker. In Obersprucke ist das natürlich schlimmer als in der Innenstadt. Dort versammeln sie sich offensichtlicher, unter anderem an einer ehemaligen Einkaufspassage. Das ist schon seit mindestens fünf Jahren einer ihrer Treffpunkte. Einige besuchen den Jugendclub „Comet“, aber die sind meist nicht besonders aktiv. Manchmal kann man einige im oder vor der Gaststätte Prellbock antreffen. Einmal ist uns von da ein Auto hinterhergefahren und die Insassen haben Flaschen auf uns geworfen. Grundsätzlich würde ich sagen, dass es umso weniger Rechte sind, je näher man der Neisse kommt.

Wie viel bekommt man von den Aktivitäten der Rechten mit?

Man weiß, dass die zum Teil sehr aktiv sind, zum Beispiel bundesweit zu Demos fahren. Sie sind natürlich vernetzt mit Rechten aus der Umgebung, unter anderem nach Cottbus. Von den eigentlichen Aktivitäten höre ich meistens erst am Tag selbst oder danach. Das heißt, es ist auch für Gegenaktivitäten immer zu spät. Es gibt kein Netzwerk in Guben, das über die Aktivitäten der Rechten informiert. Es gibt ein paar wenige Leute, die sich engagieren oder gern engagieren würden, aber ihnen fehlt es bereits an einer guten Kommunikation untereinander.

Und wie geht die Stadt mit dem Thema um?

Soweit wie ich es beurteilen kann, ist es gar kein Thema. Das hat aber vielleicht auch damit zu tun, dass es kein wirkliches Problem ist. Die Rechten sind zwar sehr präsent, aber sie ziehen nicht durch die Stadt und verprügeln permanent Leute. Das heißt, es ist ein Problem, aber es ist keins, bei dem die Stadt sich gezwungen sieht, etwas dagegen zu unternehmen. Aber das betrifft ja auch die meisten der anderen Jugendlichen. Die sagen zwar immer wieder, dass es schlimm ist, aber im Endeffekt ist es nicht schlimm genug, um aktiv zu werden. Man hat sich an den Zustand gewöhnt. Damit wird es aber für diejenigen, die etwas machen wollen, schwieriger. Hinzu kommt, dass die meisten sowieso nach der Schule weggehen, im Gegensatz zu den Nazis, von denen ziehen ja immer mehr hierher. Die sehen Guben vermutlich als eine Art Hochburg, in der sie ungestört ihr Ding machen können, weil es keine Gegenwehr gibt. Aber nächstes Jahr im Sommer habe ich mein Abitur und dann bin ich hier auch weg.

Wo trefft ihr euch?

Es ist nicht so, dass man sich verstecken muss. Der Großteil der Leute, mit denen ich etwas mache, ist allerdings wenig engagiert. Da fällt man nicht so auf. Und die Nazis belegen nicht alle öffentlichen Plätze, man geht sich aus dem Weg. Hier fehlt es wirklich an einer Anlaufstelle für Engagierte. Aber es ist schwer, so etwas in die Hand zu nehmen. Und wenn man eh bald weg ist, denkt man sich auch, wofür soll ich es machen? Dafür, dass es am Ende keiner weiterführt? Ich höre immer wieder von Leuten, dass es cool sei, dass ich mich hier engagiere. Aber am Ende kann man sich davon nichts kaufen. Es ist zwar schön und gut, wenn man zu zweit oder zu dritt versucht, etwas zu machen. Aber das reicht nicht. Es bleibt bei einem Scheinaktivismus, bei dem jeder sagt: „Ja, es ist Scheiße und es muss etwas geändert werden.“ Aber am Ende will dann keiner konkret etwas tun. Und immer alles alleine zu organisieren, bringt am Ende auch nichts. Es gab schon ein paar Versuche, aber viele der Jugendlichen sind erst 16 oder 17 und haben das Problem, dass ihre Eltern ihnen Dinge verbieten. Die würden vielleicht mitmachen, dürfen aber nicht. Ich bin damit immer anders umgegangen, habe mir von meinen Eltern nichts vorschreiben lassen. Deshalb kann ich schlecht nachvollziehen, warum andere zu Hause bleiben. Das ist ärgerlich. Wenn man ein paar Mal vergeblich versucht hat, Leute zu motivieren, verliert man die Lust. Man kann die Leute nicht zwingen, mitzumachen.

Gibt es denn Ansprechpartner/innen für euch, Menschen, die offen für die Probleme sind?

Gar nicht. Ich war einmal bei dem Laden von der Linken. Die haben uns aber nur ein paar Flyer gegeben, damit wir die an unserer Schule verteilen können und Bonbons. Dann konnten wir wieder gehen. Und wir hatten denen gesagt, dass wir uns engagieren wollen. Vielleicht nicht unbedingt in der Partei selbst, aber ich denke, man kann ja zusammen arbeiten. Aber daran gab es kein Interesse. Und ansonsten sieht es mit Ansprechpartnern ziemlich schlecht aus.

Gibt es etwas Positives an Guben?

Positiv wäre eigentlich nur, dass wenn man etwas macht, es quasi ungestraft bleibt, weil sich wirklich gar niemand mit dem Thema auseinandersetzt. Wenn man zum Beispiel mal sprayen geht, muss man sich keine Sorgen machen, dass man erwischt wird. Das interessiert einfach keinen. Über Guben weiß ich, dass, wenn ich hier weg bin, ich nicht mehr zurück komme. Ich habe meine Erfahrungen mit der Stadt gemacht. Keine Ahnung was ich hier gut finde. Das ist schwierig.

Alexander Bode als einer der damaligen Täter ist ja immer noch sehr aktiv…

Ja, er hatte vor einiger Zeit einige Auseinandersetzungen mit einem Jugendlichen, der zu der Zeit noch politisch links war. Damals ging es auch im „Comet“ noch ein bisschen mehr in diese Richtung. Nach dem Konflikt mit Bode hat der Jugendliche eine Zeitlang mit Nazis rumgehangen und sich seinen Iro abrasiert. Im „Comet“ haben sich alle angepasst, die haben gemerkt, dass sie schlechte Karten haben und es besser ist, bei den Rechten mitzumachen. Das zeigt, dass diese Einschüchterungsversuche funktionieren. Meistens werden Leute aber nicht angegriffen, sondern nur angepöbelt, vor allem bei Stadtfesten oder am Wochenende. Aber das nimmt man nur zur Kenntnis, damit geht man nicht zur Polizei. Man weiß von den meisten Nazis nicht mal den Namen; damit kennt sich keiner aus, auch ich nicht. Und wenn ich zum Beispiel einen Spruch höre, ist das so und ich belasse es dabei. Mir ist das seit einer Weile nicht mehr passiert. Denn so richtig getrauen sie sich im Endeffekt dann doch nichts. Vielleicht wollen sie keine große Aufruhr machen. So etwas, wie der Angriff von Bode jedenfalls ist schon eine Weile nicht mehr passiert.

Aber ist das dann nicht etwas unheimlich?

Auf jeden Fall. Es ist wie ein Pulverfass, das am Ende nur explodieren muss. Es braucht vielleicht nur einen Funken, vielleicht nur einen, der mal sagt: „Hey, Scheiß-Nazi“. Das ist nur eine Frage der Zeit, denke ich. Und gleichzeitig ist es eine ausweglose Situation: Es gibt keine Leute, die etwas machen wollen, die Rechten sind so viel mehr geworden und von der Stadt wird das überhaupt nicht wahrgenommen. Alles arbeitet gegen einen. Es kann sein, dass es noch 3 oder 4 andere in Guben gibt, die etwas machen wollen. Aber die kenne ich nicht. Und ich kann ja nicht durch die Straßen rennen und rufen: „Hier, wer will mitmachen?“

 

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