RE:GUBEN » Initiative http://www.re-guben.de fragt nach den Folgen des Todes Farid Guendouls, der am 13. Februar 1999 auf der Flucht vor einer Gruppe Neonazis in Guben starb. Was geschah in jener Nacht? Wie wurde mit der Tat umgegangen? Wie kann Gedenken gestaltet werden? Wie reagieren Politik und Gesellschaft? Fri, 02 May 2014 16:27:31 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.8 „Blühende Landschaften“ – Neonazi-Gewalt in Brandenburg 1989-1993 http://www.re-guben.de/?p=757 http://www.re-guben.de/?p=757#comments Tue, 11 Feb 2014 22:36:12 +0000 http://www.re-guben.de/?p=757 Wie war das – Anfang des 1990er Jahrzehnts in Ostdeutschland? Ein Staat brach zusammen und es taten sich für ein paar Monate unendliche Möglichkeiten auf. Die Reste des Staats wurden übernommen und es brach noch mehr zusammen: wirtschaftliche und soziale Strukturen, Existenzen. Deutschland wurde Fußballweltmeister und die D-Mark das gängige Zahlungsmittel. Und in all dem explodierte die Gewalt. Jeder Schlägertyp schor sich die Haare und kaufte sich eine grüne Bomberjacke. Das Deutschland auf ihren Aufnähern hatte die Grenzen von 1938. Westdeutsche Neonazis tingelten durchs Land und leisteten Aufbauarbeit. Ihre ostdeutschen Kameraden standen ihnen in nichts nach: „Deutschland, Deutschland!“ Politik, Polizei, Sozialarbeit und Medien versagten weitgehend. Vielmehr wurde die Einschränkung des Asylrechts Regierungsprogramm.

Als Orte, an denen Mobs aus Neonazis und „normalen“ Deutschen tagelang militant gegen Ausländer vorgingen, blieben Hoyerswerda 1991 und Rostock-Lichtenhagen 1992 in der Erinnerung haften. An ihnen wird heute die Situation Anfang der 1990er festgemacht. Aber was geschah abseits der Symbole? Wie war es in Guben? Dort schlossen sich Neonazis in der „Gubener Heimatfront“ zusammen, die bis zu 200 Leute mobilisieren konnte und berüchtigt für ihre Gewalttätigkeit war. Erinnert sich jemand an die Angriffe auf die sogenannten und nicht mehr benötigten „Vertragsarbeiter“? Und wie war das mit den Angriffen auf Asylbewerberheime in Cottbus, Lübbenau oder Schwarze Pumpe? Wer kann sich daran erinnern und wer will sich erinnern? Und was hat das alles mit heute zu tun?

Im Demokratischen JugendFORUM Brandenburg (DJB) – übrigens auch der Trägerverein von RE:GUBEN – hat sich eine Projektgruppe zusammengefunden, die solchen Fragen nachgeht. Mit umfangreichen Zeitungsrecherchen und Zeitzeugeninterviews hat sie begonnen, die Situation im Land Brandenburg zwischen 1989 und 1993 zu rekonstruieren. Eine Analyse und einen Teil der Dokumente macht der Verein nun in seinem Blog Blühende Landschaften online zugänglich. RE:GUBEN sprach darüber mit Daniela Guse und Susanne Lang vom DJB.

Was kann man online von euerm Projekt sehen?

DG: Grundsätzlich kann man sagen, dass wir Material zusammentragen. Wir haben in den vergangenen Monaten Interviews mit Zeitzeugen geführt, die die Entwicklung in Brandenburg Anfang der 90er miterlebt haben. Unser Ansatz war, etwas über Neonazi-Gewalt und rassistische Pogrome in der Zeit herauszufinden. Dazu haben wir Leute befragt, mit denen wir eine gemeinsame Sprache finden konnten. Diese Interviews machen wir zugänglich. Dazu haben wir einen Text erarbeitet, der verdeutlicht, wie die Situation von den Leuten wahrgenommen wird. Der Titel „Warnschüsse wären in diesem Fall gerechtfertigt gewesen“ ist aus einem Interview mit Frau Leichsenring, damals Polizeipräsidentin in Eberswalde, die darin über den Tod von Amadeu Antonio nachdenkt, wie die Situation in der Polizei und in der Stadt war, wie es dazu kommen konnte. Wir haben versucht, mit allen möglichen Akteuren zu reden, die im weitesten Sinn damit zu tun hatten, entweder auf so einer Ebene wie Frau Leichsenring oder dass sie betroffen waren oder aktiv wurden.

SL: Wir haben die Interviews ausgewertet und versucht, daraus Schlüsse zu ziehen. Die einzelnen Interviews sind darüber hinaus aber sehr reichhaltig und bieten Einblicke in die jeweilige Wahrnehmung der Zeit. Gerade aus den Anekdoten kann man die damalige Stimmung ablesen. Das ist viel umfangreicher als das, was wir in unserer Analyse zusammengestellt haben. Deshalb finden wir es wichtig, dass man die Original-Interviews einsehen kann.

DG: Noch nicht online ist unsere Zeitungsrecherche. Wir haben für den Zeitraum 1989 bis 1991, teilweise noch bis in das Jahr 1992 hinein, vier Zeitungen ausgewertet, die Märkische Volksstimme und den Neuen Tag und dann deren Nachfolger Märkische Allgemeine und Märkische Oderzeitung.

SL: Für das Erscheinungsgebiet dieser Zeitungen, also Nord-, West- und Ost-Brandenburg, haben wir nach allem gesucht, was zum Thema Pogrome, rassistische Stimmungen oder Bewertung von Neonazis, Neonazi-Organisierung erschienen war. Wir haben die Microfiche-Ausgaben der Zeitungen durchgesehen, die Artikel verschlagwortet und exzerpiert. Perspektivisch wollen wir auch dieses Archiv zugänglich machen. Dafür sind aber noch ein paar technische und rechtliche Fragen zu klären.

Wie seid ihr denn zu so einem Geschichts-Projekt gekommen?

SL: Inspiriert haben uns die Leute aus Hoyerswerda von pogrom91. Sie waren gewissermaßen Ideengeber. Zu dem Zeitpunkt, als wir mit dem Projekt begonnen haben, fing die NPD-Kampagne mit Demonstrationen vor Asylbewerberheimen oder möglichen Asylbewerberheimen an, in Mecklenburg-Vorpommern, letztes Jahr auch in Brandenburg oder in Hellersdorf. Wir haben uns gefragt, was die Ausgangsbedingungen für eine Resonanz in der Bevölkerung sind, was zum Beispiel eine ausländerfeindliche Stimmung ermöglicht.

DG: Wir haben auch festgestellt, dass ein Teil von uns wenig über die Zeit Anfang der 90er weiß, weil er zu jung dafür ist. Andere konnten sich nach der Zeit nicht mehr an alles genau erinnern. Das überlagert sich. Deshalb war es für uns interessant, sich die Ereignisse zu vergegenwärtigen, einerseits durch die Interviews mit Zeitzeugen und andererseits durch die Zeitungsrecherchen.

SL: Am Anfang dachten wir noch so: Wir machen ein paar Interviews und können dann sagen, wie es „wirklich“ war. Davon sind wir sehr schnell weggekommen, weil wir gemerkt haben, dass wir überhaupt erstmal anfangen müssen, die Situation damals zu begreifen. Und das heißt nicht, dass wir als Gruppe das verstehen, sondern dass es eine gesellschaftliche Auseinandersetzung darüber geben müsste. Die hat es noch nie gegeben. Bei den Gesprächen hatten wir das Gefühl, die 20 Jahre sind gerade genug zeitlicher Abstand, um wenigstens anzufangen nachzudenken. Damals gingen die Veränderungen so schnell und waren so existenziell, dass man keine Möglichkeiten hatte, darüber zu reflektieren. Jetzt kann man anfangen über die 90er Jahre zu reden und auch persönlich zu überlegen, warum habe ich mich so verhalten, was waren meine Einflüsse… Gleichzeitig haben wir gemerkt, dass viel verschütt ist, weil die Ereignisse 1989/90 und danach in einem unglaublichen Tempo abliefen. Man muss sich vorstellen, in welcher Geschwindigkeit da der neue deutsche Staat geschaffen wurde.

Wir wollen mit dem Projekt eine Perspektive stärken, die aus unserer Sicht etwas untergeht. Man ist heute schnell dabei zu sagen, dass es in den 90ern schlimm war, aber inzwischen alles viel besser ist. Das ist auch ein logischer Schluss – die Arbeit der Zivilgesellschaft in den letzten 20 Jahren muss ja irgendwas gebracht haben. Aber das wollen wir hinterfragen: Wie war denn die Situation damals? Kann man von besser und schlechter sprechen? Was sind die Veränderungen? Wir finden es dabei gar nicht so wichtig, was wir uns denken. Interessanter wäre, wenn mehr Leute darüber nachdenken, was für eine Zeit das war, wie die Situation zustande kam, was die Bedingungen waren.

Ihr habt euch aber natürlich auch selber Gedanken gemacht. Wie ist denn eure Einschätzung? Gibt es eine Antwort auf die Frage, wie das alles zustande kam?

SL: Ich möchte darauf erstmal gar keine Antwort geben, weil die wesentliche Erkenntnis aus dem Projekt für uns ist, dass wir zum einen einen breiten Diskurs und zum anderen einen offenen Diskurs brauchen. Wir, das heißt nicht nur wir als Gruppe, sondern Leute, die die Zeit erlebt haben, fangen gerade noch einmal damit an, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Daneben haben wir aber auch schon seit Jahren Spezialdiskurse von Sozialwissenschaftlern, Journalisten oder linken Aktivisten, die alle ihre These und ihr Erklärungsmodell haben, die DDR, die Töpfchen im Kindergarten oder Deutschland an sich. Jede These ist für sich so besprochen, durchgekämpft und verteidigt, als wäre sie die einzig richtige. Es ist auch eine sehr emotional geführte Debatte.

Es gab und gibt darin auch einen Ost-West-Konflikt. Zugespitzt gesagt, da die Zivilgesellschafts- und Polit-Profis, die dem Osten Demokratie erklären, und dort spezifische Identitäten und die Erfahrung von Deligitimation. Ich glaube, viele Leute nehmen das als „Minenfeld“ wahr. Uns ist in den Interviews aufgefallen, dass die Leute, die anfangen, darüber zu reden, was passiert ist, sehr vorsichtig sind mit der Wiedergabe von Einschätzungen, Vermutungen, Gefühlen und Thesen, warum es dazu gekommen ist. Einerseits ist völlig klar: Wenn man über die Pogrome reden will, muss man auch über die wirtschaftlichen, sozialen, politischen Veränderungen und ihre Wirkungen reden, also über diese „Wendewirren“, die Brüche in allen Lebensbereichen mit ihren zum Teil brutalen Folgen. Andererseits ist nicht nur bei uns das Gefühl da, dass einem dann Vorwürfe gemacht würden, dass man die DDR verteidigen würde oder alles kleinredet oder Nazis in Schutz nimmt oder auch ein Rassist wäre oder oder. Da spielen jede Menge Reflexe, Vorurteile und Verteidigungshaltungen mit hinein.

Vielleicht klingt das hier auch etwas identitär. Aber für uns geht es um eine Auseinandersetzung, um eine offene Diskussion, darum sich zu emanzipieren und selbst einen Umgang zu finden. Natürlich kann an allen Thesen etwas dran sein. Natürlich hatte es etwas mit der DDR-Gesellschaft zu tun, dass es rassistische Gewalt war, aber genauso hatte es was mit der „Integrationssituation“ der DDR in die BRD zu tun. Uns geht es darum, zu verstehen und vielleicht eine weitere Debatte anzustoßen. Wir müssen anfangen, darüber zu reden, was damals passiert ist, nicht nur über die Pogrome, sondern über alles.

Daran hängen dann auch Fragen der eigenen politischen Sozialisation: Warum haben wir eine unabhängige, nicht hierarchische Struktur wie das DJB aufgebaut, warum sind wir nicht in einen großen Verband oder eine Partei eingetreten? Warum haben wir uns damals dafür entschieden, Jugendkulturarbeit zu machen? Was waren die Einflüsse, was waren die Referenzpunkte? Man lernt daraus auch für heute. Die Auseinandersetzungen, die vor uns liegen, um Neonazis und Demokratie zum Beispiel, brauchen das Verständnis davon, was damals passiert ist. Vielleicht kann man sich so auch von Perspektiven lösen, in die man so hineingewachsen ist.

Macht ihr das Projekt weiter?

DG: Wir haben schon überlegt, das Projekt auszubauen, zum Beispiel noch mehr Interviews zu führen. Die „Datenbasis“ ist natürlich noch erweiterbar. Ich glaube, dass es schon ein Schritt ist, überhaupt das Material zu sammeln und zur Verfügung zu stellen für alle, die sich damit beschäftigen wollen und darauf für ihre Fragestellungen zugreifen wollen. Es gibt die Option, daraus andere Projekte zu entwickeln. Derzeit diskutieren wir zum Beispiel, mehr Video-Interviews zu führen. Aus dem, was man in der Arbeit erfährt, können immer wieder neue Ideen entstehen. In den Interviews haben wir bemerkt und auch die Interviewten selbst festgestellt, dass sie noch gar nicht so viel über das Thema nachgedacht haben. Wenn man jetzt mit denselben Personen nochmal Interviews machen würde, würde man sicher noch weitere Antworten bekommen.

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„Die sind sich sicher, in dem was sie machen und wie sie die Ereignisse von 1991 bewerten“ – Interview mit pogrom 91 (Teil 2) http://www.re-guben.de/?p=485 http://www.re-guben.de/?p=485#comments Tue, 21 May 2013 10:41:42 +0000 http://www.re-guben.de/?p=485 Nachdem es in Teil 1 des Interviews um den Umgang in Hoyerswerda mit dem Pogrom von 1991 und mit rechter Gewalt ging, sprechen wir im zweiten Teil über die konkreten Ansätze, öffentliche Erinnerung in der Stadt zu gestalten. Im Gespräch: Mathias und Marius von der Initiative pogrom 91.

Es gibt einen Wettbewerb für ein Denkmal zur Erinnerung an die rassistischen Ausschreitungen in Hoyerswerda 1991. Könnt ihr etwas zu der Initiative sagen, zu eurem Beitrag und zum aktuellen Stand?

MATHIAS: Zum Hintergrund: Wir hatten 2011 als Initiative die zentrale Forderung formuliert, dass wir ein Denkmal in der Stadt haben wollen, als präsenten Ort, an dem die Ereignisse erinnert werden und zwar ganz explizit als rassistisches Pogrom. Damit soll zum einen verhindert werden, dass das Ganze wieder vergessen wird, und zum anderen geht es um eine Forderung der drei Betroffenen, die 2011 zum Bürgermeister sagten: „Wir wollen, dass wir, wenn wir oder unsere Kinder an einem Tag nach Hoyerswerda kommen, einen Ort haben, an den wir gehen können und an dem steht, was damals geschehen ist und was mit den Menschen passiert ist, die in diesen Häusern gelebt haben.“ Bei der Demonstration 2011 bauten wir ein eigenes, temporäres Denkmal vor einem der Häuser, die damals angegriffen wurden, auf. Es bestand aus einer weißen Stele mit einem Plexiglaswürfel, in dem es zwei Tafeln gab. Auf der einen stand: „Zur Erinnerung an das rassistische Pogrom von 1991“, auf der anderen etwas zu den Hintergründen. Da ging es auch darum, darzustellen, dass die Betroffenen aus der Stadt geschafft wurden, die Polizei nicht in der Lage oder willens war, sie zu schützen, und einige von ihnen dann direkt abgeschoben wurden. Dazu gab es einen Pflasterstein und eine Glasscherbe. Sie sollten symbolisieren, dass die Täter gewalttätig vorgingen. Es flogen ja zum Beispiel Molotowcocktails gegen das Gebäude, womit man in Kauf nahm, dass Menschen sterben. Wir haben den transparenten Glaskasten gewählt, um den Blick durch die Gedenktafeln auf das Haus zu gewährleisten. Dies sollte zeigen: Das war damals, das ist heute, aber es steht in einem Zusammenhang und man muss sich fragen: Wie wurde und wird damit umgegangen? Später kündigte die Stadt einen Denkmalswettbewerb an, wahrscheinlich auch in Folge der Medienberichterstattung.

MARIUS: Wir hatten zudem mit einem Brief an den Oberbürgermeister gefordert, dass er sich für ein Denkmal stark machen soll.

MATHIAS: Dann wurde der Wettbewerb ausgerufen. Es gab ein Formular, auf dem man kurz die Idee des Denkmals erläutern musste. Dazu sollte man eine Skizze oder ähnliches einreichen. Aufführen sollte man zudem, wie das Denkmal finanziert werden soll. Das heißt, von Seiten der Stadt ist offenbar nicht geplant, es zu finanzieren. Als Siegerentwurf wurde ein Torbogen mit einem Regenbogen und einer offenen Tür gekürt. Das soll symbolisieren, dass Hoyerswerda heute weltoffen und tolerant ist. Dazu sind noch Worte wie Toleranz, Offenheit, Versöhnung und Gastfreundschaft auf das Denkmal geschrieben. Besonders der Begriff Versöhnung ist an dieser Stelle eigenartig. Das einzige Wort, das wir an so einer Stelle sehen würden, ist Entschuldigung und es müsste sich als Bitte an die Betroffenen richten. Versöhnung ist ein Akt, der von zwei Seiten passiert, bei dem man sich aufeinander zu bewegt. Unserer Meinung nach gibt es aber keinen Grund, warum sich die Betroffenen im Sinne einer Versöhnung auf die Stadt zu bewegen müssten. Vielmehr hat sich die Stadt dafür zu entschuldigen, was damals passiert ist. Der einzige Bezug des Denkmals zu 1991 ist ein QR-Code, den man aufrufen muss, um zu einer Präsentation der Stadt zu den Ereignissen von 1991 zu gelangen. Diese hat bisher aber noch niemand gesehen. Gleichzeitig soll auch da aber wieder gezeigt werden, wie Hoyerswerda sich zum Positiven gewandelt hat.

Nach der Bekanntgabe des Siegerentwurfes empörte sich Pfarrer Michel in einem Zeitungsartikel, dass der Stadtrat den Siegerentwurf prämiert hat, die anderen Entwürfe aber nicht öffentlich gemacht wurden. Daraufhin gab es dann Beiträge zu allen Entwürfen, auch zu unserem. Zur Zeit wird da sehr kontrovers diskutiert, aber lediglich über das Entscheidungsverfahren. Es gab nämlich ein Gremium aus den Fraktionsvorsitzenden des Stadtrats und einigen anderen Persönlichkeiten, die einen Entwurf auswählten, und nur dieser wurde dann dem Stadtrat vorgelegt, der ihn absegnete. Interessant ist, dass alle Fraktionen dem jetzigen Siegerentwurf zugestimmt haben, auch die NPD. Spätestens dort müsste man sich in der Stadt ja eigentlich fragen, was an dem Denkmal nicht stimmen kann, wenn selbst die Nazis es in Ordnung finden. Das wird an keiner Stelle öffentlich thematisiert. Unklar ist außerdem, wann, in welchem Rahmen und wo das Denkmal aufgestellt wird.

MARIUS: Für mich ist der Umgang mit diesem Denkmal auch ein Ausdruck dafür, wie bewusst vermieden wird, eine direkte Aussage zu den Ereignissen, an die es erinnern soll, zu treffen. In der öffentlich geführten Debatte wird nur über den Akt der Entscheidung gesprochen.

MATHIAS: Man hätte auch erwarten können, dass die Stadt Menschen, die sich mit dem Thema Denkmal, Denkmalskultur, Gedenkstätten auseinandersetzen und da einen künstlerischen, wissenschaftlichen und professionellen Zugang haben, einlädt, sich mit Beiträgen für den Wettbewerb oder einer Unterstützung bei der Frage, wie ein solches Denkmal zu gestalten sein könnte, zu beteiligen. Und dass man dafür auch Geld in die Hand nimmt. Stattdessen war es ein offener Aufruf, bei dem sich Hobbykünstler verwirklichen konnten, ohne dass an irgendeiner Stelle reflektiert wurde, was so ein Denkmal bedeutet, in welchem Kontext es wo aufgestellt wird.

Auch die Stadt hatte zum 15. und zum 20. Jahrestag eine provisorische Stele aufgestellt, um uns mit unseren Demonstrationen nicht das Feld zu überlassen. Auf dieser Stele hieß es: „Im Gedenken an die extremistischen Ausschreitungen vom September 1991“. Damit nahm man zum einen keinen Bezug auf die Ereignisse als rassistisches Pogrom. Zum anderen stellte man einen Bezug her zu einer Antifademo, die kurz danach stattfand und von deren Seite es in der Stadt auch Gewalttaten gab. Ursache und Wirkung, Opfer und Täter wurden wieder verdreht, an die Ereignisse als Auseinandersetzung zwischen „Extremisten“ erinnert. Der rassistische Gehalt des Geschehens, die Perspektive der Betroffenen, die Beteiligung der Bevölkerung sind völlig herausgefallen. Und dann wurde die Stele beim 20. Jahrestag auch noch auf dem Tag der Heimat zusammen mit dem Bund der Vertriebenen aufgestellt.

MARIUS: Es gibt auf der politischen und auf der verwaltungstechnischen Ebene auch zu viele personelle Kontinuitäten, die eine offene Auseinandersetzung verhindern.

MATHIAS: Natürlich sind da auch Ausnahmen, die sind aber sehr vereinzelt, wie dieser Pfarrer. Andere zivilgesellschaftliche Leute sehen sich dagegen vor allem als handlungsunfähig und sagen: „Wir können halt nichts machen.“ Interventionen können zwar über ein persönliches Gespräch Wirkung zeigen, aber sie passieren nie durch eigene Initiative. Immer muss jemand von außen kommen, die Presse, Antifas oder Menschen, die mal da gewohnt haben, und in einem freundschaftlichen Gespräch darauf aufmerksam machen, dass etwas schiefläuft oder es nicht sein kann, wie mit dem Thema umgegangen wird. Das ist für uns als Gruppe immer einer der Gründe gewesen, warum wir trotz des Widerstands aus der Stadt und aller Demütigungen, die wir dort erfahren mussten, weitergemacht haben. Wir sehen, dass wenn wir nicht dranbleiben und zum Beispiel direkt danach fragen, wer wie welche Rolle hatte, und dabei für eine mediale Präsenz sorgen, dann versandet etwas wie die Denkmalsdiskussion sofort wieder. Das gilt auch für den weiteren Verlauf: Wenn man da nicht dran bleibt, werden Gründe gefunden werden, es nicht zu bauen.

Ist ein Denkmal wie der jetzige Siegerentwurf besser als gar keins?

MARIUS: Für mich ist keins besser als das. Das Problem, das ich mit dem Denkmalsentwurf habe, ist, dass sich Hoyerswerda damit seine Rolle zementieren kann. Die Stadt kann dann immer jeglichen Einspruch gegenüber ihrem Umgang wegwischen und sagen: „Hier haben wir unser Zeichen.“ Natürlich kann man dann immer antworten: „Ja, aber euer Zeichen ist scheiße.“ Aber ich bezweifele, dass denen das irgendetwas ausmacht. Das ist eigentlich das Erschreckende: Dass man irgendwann auch zu der Einsicht gelangt ist, dass es den Leuten dort ja wirklich egal ist. Dass du mit einem Appell an ihr Verhalten scheinbar überhaupt nichts bewirkst. Die sind sich sicher, in dem was sie machen und wie sie die Ereignisse von 1991 bewerten.

MATHIAS: Das Denkmal wäre eine gradlinige Fortsetzung des Umganges, der relativiert, entpolitisiert und am Ende für das Image genutzt wird.

MARIUS: Und der jeden Bezug zu irgendetwas Konkretem total ausblendet. Ganz im Gegenteil: Mit Worten wie Toleranz wird alles auf eine total abstrakte und banale Ebene gebracht, die mit der Wirklichkeit der eigenen Geschichte und der eigenen Verantwortung nichts zu tun hat.

MATHIAS: Also für die weitere Auseinandersetzung wäre es besser, wenn das Denkmal in dieser Form nicht entsteht.

Was würdet ihr euch wünschen?

MATHIAS: In einem weiteren Rahmen betrachtet, war Hoyerswerda der öffentlich wahrnehmbare Auftakt zu Rostock, Mölln, Solingen und zu der faktischen Abschaffung des Asylrechts. Ich denke, dass es Hoyerswerda den Leuten, die bis heute mit den Folgen dessen, was damals von Nazis und Bürgern im Einklang mit der Politik erstritten wurde, zu kämpfen haben, schuldig ist, sich mit dem Thema zu beschäftigen, ganz klar Stellung zu beziehen und aktiv zu werden. Ich würde mir eine Auseinandersetzung und ein Engagement wünschen, bei dem man sieht, dass Hoyerswerda sich nicht als Opfer versteht, und dass man dort sieht, dass ein schlechtes Image zu haben, gar nichts ist im Vergleich zu dem, was die Menschen erfahren, die von Rassismus in jeglicher Form in Deutschland betroffen sind. Dass man einen Bogen in die Gegenwart schlägt und die Forderungen der Leute vom Oranienplatz umsetzt: Abschiebelager schließen, Flüchtlinge in Wohnungen unterbringen, keine Abschiebungen mehr durchführen. Es muss meiner Meinung nach die Lehre aus Hoyerswerda sein, dass man das den Menschen schuldig ist. Hoyerswerda war der Aufhänger, dass ganz vielen Leuten das Leben schwer gemacht wird bis zu den tödlichen Konsequenzen: Es gibt bis heute rassistische Morde, es gibt bis heute Leute, die sich in Abschiebknästen oder -lagern umbringen oder die in Regionen abgeschoben werden, wo sie der Tod erwartet.

Aus persönlicher Sicht würde ich mir noch wünschen, dass Leute, die in solchen Städten leben, egal ob sie Linke sind oder eine andere Hautfarbe haben, einfach in Ruhe aufwachsen können. Dass es Nazis gibt und dass die gewalttätig sind, wird man nie lösen können, weder in Hoyerswerda noch anderswo. Aber die Leute, die davon betroffen sind, sollen Ansprechpartner haben und Solidarität erfahren. Man darf einfach auch nicht vergessen, dass es immer noch Leute gibt, die ganz direkt von Nazigewalt und Rassismus betroffen sind. Und da muss man mit allen Mitteln, die man hat, intervenieren, um Leuten zu zeigen: Hier, wir stehen mit euch. Das sollte auch von der Linken und der Antifa erkannt und umgesetzt werden.

MARIUS: Da kann ich mich nur anschließen und würde gern noch ergänzen: Wenn ich das Gefühl hätte, dass es in Hoyerswerda Leute gibt, die genau so eine Perspektive hätten, müsste für mich nicht mal die Stadt auf dieser Linie sein oder irgendwelche Signale setzen. Wenn es Leute gäbe, die sich darüber Gedanken machen und die öffentlich den Mut hätten, sich zu äußern, wäre das ja bereits etwas.

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„Das einzige Opfer, das man in Hoyerswerda bis heute sieht, ist Hoyerswerda selbst…“ – Interview mit pogrom 91 (Teil 1) http://www.re-guben.de/?p=482 http://www.re-guben.de/?p=482#comments Mon, 20 May 2013 18:21:29 +0000 http://www.re-guben.de/?p=482 Bahnhof Hoyerswerda

Bahnhof Hoyerswerda (Foto: PM Cheung)

Vom 17. bis 23. September 1991 griff ein Mob aus Neonazis mit der Unterstützung von Bürger/innen ein Heim für Asylbewerber/innen und die Unterkünfte sogenannter Vertragsarbeiter/innen an. Die Polizei war weder willens noch in der Lage, sich gegen die Angreifer durchzusetzen und die Belagerungen und Angriffe zu unterbinden. In der Nacht vom 22. zum 23. September begann die zwangsweise Räumung beider Häuser. Nahezu alle Vertragsarbeiter/innen aus Mosambique wurden nach Frankfurt am Main gebracht und abgeschoben, die Asylbewerber/innen in andere Heimen in die Umgebung von Dresden geschafft. 40 von ihnen konnten nach Berlin fliehen. Diesem rassistischen Pogrom folgten zahlreiche weiterer Übergriffe in ost- und in westdeutschen Städten. Ich sprach mit Mathias und Marius* von der Initiative pogrom 91 über den Umgang mit den Ereignissen und die Erinnerung an die Opfer in Hoyerswerda. (* Namen geändert)

Könntet ihr eure Initiative kurz vorstellen?

MATHIAS: Die Initiative pogrom 91 besteht seit dem 20. Jahrestag der rassistischen Ausschreitungen in Hoyerswerda, also seit 2011. Wir sind größtenteils alle selbst aus Hoyerswerda und bekamen in unserer Jugend viel Stress mit Nazis. Dadurch fingen wir an, uns mit Politik zu beschäftigen. Wir hatten immer auch gehört, dass 1991 irgendetwas gewesen war, genaueres wusste oder sagte uns aber niemand. Wir begannen also selbst, uns mit den Ereignissen auseinanderzusetzen, zum Beispiel eine Chronik zu erarbeiten und online zu veröffentlichen. Auf der Internetseite der Stadt gab es damals nicht einen Satz dazu. Zum 15. Jahrestag organisierten wir außerdem eine erste Demonstration mit einem Antifaschwerpunkt. Danach war einige Zeit Ruhe, zum 20. Jahrestag fanden wir uns als Initiative wieder zusammen und seitdem arbeiten wir kontinuierlich an dem Thema. Wir machten zum 20. und zum 21. Jahrestag Demonstrationen, bei denen 500 Leute waren und über die überregional berichtet wurde. Das hat dann eine große Diskussion in Hoyerswerda ausgelöst.

MARIUS: Zuerst stand für uns das Dokumentarische im Vordergrund. Wir hatten ja erst einmal überhaupt keinen Bezug. Wir waren dann überrascht von der großen Resonanz, die uns zum 20. Jahrestag entgegenschlug. Dazu kamen aber auch wiederholte Angriffe und das hat uns veranlasst, neben der Dokumentation konkret Politik zu machen und eine Kritik an dem Umgang der Stadt mit 1991 zu formulieren.

MATHIAS: Diese Resonanz von außen war ein wichtiger Punkt, an dem wir gemerkt haben: Okay, das ist immer noch ein wichtiges Thema. Bei den Reaktionen aus der Stadt dachten wir dagegen: Okay, das hätten wir 20 Jahre später nicht mehr erwartet. Das war zum Teil untragbar und schockierend, so dass wir über die Jahrestage hinaus aktiv geblieben sind.

Was waren denn die Reaktionen aus der Stadt?

MARIUS: Wir sind von uns aus zum 20. Jahrestag an die Öffentlichkeit gegangen, weil wir den Eindruck hatten, dass die Ereignisse von 1991 von der Stadt runtergespielt werden. Entweder wurde gar nicht darüber geredet oder es wurde versucht, alles möglichst klein zu halten nach dem Motto: Das, was damals passierte – ohne es genau zu benennen –, war ganz schlimm für die Stadt, aber Gott sei Dank ist das ein abgeschlossenes Kapitel. Warum also noch darüber reden? In dieser Atmosphäre haben wir uns positioniert und gesagt: Für uns war das ein rassistisches Pogrom, das zudem eingeordnet war in einen gesamtdeutschen politischen Kontext, der einerseits große Folgen für Betroffene in verschiedenen Städten hatte, in denen es solche Angriffe gab, und der andererseits mit der faktischen Abschaffung des Asylrechts auf Bundesebene zusammenhängt. Diese Einordnung hat sich natürlich total gerieben mit der Sichtweise in der Stadt. Dementsprechend waren die Reaktionen vor Ort auf uns sehr heftig, wir wurden als „Extremisten“ beschimpft und als „Nestbeschmutzer“.

MATHIAS: Die Sächsische Zeitung hat uns als „fanatische Säuberer und Politikkommissare“ bezeichnet. Motiviert hat uns auch sehr, dass die Betroffenen von 91 überhaupt nicht bedacht wurden. In den Jahren davor sowieso nicht, weil ja über all das überhaupt nicht geredet wurde. Aber auch als wir angefangen haben, mit dem Begriff „rassistisches Pogrom“ zu arbeiten, hat niemand in der Stadt gefragt, was eigentlich mit den Leuten passiert ist, nachdem sie 91 aus der Stadt geschafft wurden. Das einzige Opfer, das man in Hoyerswerda bis heute sieht, ist Hoyerswerda selbst, wegen der schlechten Presse und des schlechten Images. Im Oktober des vergangenen Jahres gab es einen Überfall von Nazis auf ein Paar, bei dem die Polizei zugeschaut hat. Die beiden mussten dann die Stadt verlassen, weil die Polizei sagte, dass sie nicht in der Lage sei, die beiden zu schützen. Als der Bürgermeister zum Jahreswechsel gefragt wurde, was für ihn das schlechteste Ereignis des Jahres war, nannte er die ausschließlich negative Presse im Zuge dieses Überfalls. Er sah allein die Stadt als Opfer. Das sind Prozesse und Reflexe auf rechte Gewalt, die wir seit 1991 kontinuierlich beobachten können und als solche auch kritisieren.

1991 wart ihr ja noch sehr jung. Könnt ihr euch daran erinnern, wie ihr davon erfahren habt, wie in der Stadt, in der Schule oder von euren Eltern darüber geredet wurde?

MATHIAS: Meine Eltern haben mir von den konkreten Ereignissen erzählt, dass wir nach Hause gefahren sind und es sehr viel Polizei gab. Ich war damals 4 Jahre alt, habe davon also nichts mitbekommen. Ansonsten hatte man nur hier und da mal gehört, dass 91 etwas gewesen sei, das schlimm war, und dass Hoyerswerda einen Ruf als Nazi-Stadt hat, auch überregional. In der Schule war das kein Thema. Als wir angefangen haben, die Ereignisse zu dokumentieren, hat man uns in der Bibliothek einen großen Ordner mit Zeitungsartikeln aus einem Archiv hervorgekramt. Es gab in der Stadt nichts, was daran erinnert. Das eine Haus, das angegriffen wurde, ist inzwischen abgerissen, das andere ein normales Wohnhaus.

MARIUS: Ich kann mich da nur anschließen. In der Schule habe ich darüber gar nichts erfahren. In dem Jugendclub, in dem wir uns oft aufhielten und in dem auch ältere Linke waren, die das damals aktiv mitbekommen hatten, da hörte man dann schon immer mal wieder etwas. Aber es war immer wenig konkret. Und gerade diese Form des Umganges hat sicherlich auch im großen Maß dazu beigetragen, dass sich ein regelrechter Mythos um diese Geschehnisse gebildet hat, der sich seitdem beständig hält und von verschiedensten Seiten immer wieder neu unterfüttert wurde.

Wie war der Umgang in der Stadt mit rechter Gewalt?

MARIUS: Hoyerswerda hatte bis zu Beginn der Jahrtausendwende ein massives Naziproblem. Nach den Ereignissen 1991 entstand eine große rechte Jugendkultur, diese Leute sind dann gemeinsam erwachsen geworden. Viele sind natürlich weggegangen, aber viele andere sind geblieben. Die Stadt hat einfach nur versucht, da einen Deckel drauf zu machen. Wir haben das selbst erlebt: Als wir von rechter Gewalt betroffen waren und versuchten, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, sagte man uns, dass man sich damit nicht auseinandersetzen könne, da das alte Wunden aufreißen würde. Man war froh, dass es keine offenen Konflikte mehr gab und es wurde als sinnvoller angesehen, nicht darüber zu reden.

MATHIAS: Zu den Neonazis muss man sagen, dass deren Szene nach 1991 sehr aktiv war. Erst wurden die Ausländer vertrieben, dann Linke und nichtrechte Leute angegriffen. Die Stadt wurde zu einer Art national befreiter Zone. Es gab sehr viel und sehr extreme Gewalt und zwei Morde: Mike Zerna starb, nachdem im Februar 1993 eine Gruppe von Neonazis ihn erst zusammengeschlagen und dann ein Auto auf ihn gekippt hatte. Waltraut Scheffler wurde im Oktober 1992 in Geierswalde bei Hoyerswerda von einem 17-jährigen Nazi erschlagen. Es gibt im Zuge der NSU-Berichterstattung und -Analyse das Schlagwort von der „Generation Hoyerswerda“ durch einen Artikel in der Welt. Da wurde gesagt, dass die Leute, die im NSU aktiv waren, damals gelernt haben, was es heißt, politisch aktiv zu sein. Zudem gab der Staat den Rechten Recht: In Hoyerswerda und in Rostock haben die politisch Verantwortlichen die Flüchtlinge und Vertragsarbeiter aus der Stadt schaffen lassen. Zudem haben sie aus der Bevölkerung großen Zuspruch bekommen, sicher nicht von allen und sicher gab es auch Leute, die sich überhaupt nicht damit beschäftigt haben. Aber in Hoyerswerda standen am Höhepunkt des rassistischen Pogroms 600 Leute vor dem Haus. Das ist natürlich für eine Naziszene ein Signal, aus dem viel Selbstbewusstsein gezogen werden kann. Aber auch später blieben die Rechten sehr aktiv, so wurde zum Beispiel 2006 eine Demonstration organisiert, bei der man sich ganz direkt auf 1991 bezog und von einem „Volksaufstand“ sprach. Auch einer der Kader aus dem Spreelichter-Spektrum – Sebastian Richter – war lange in Hoyerswerda aktiv.

MARIUS: Die rechte Szene der Stadt gehörte 2004 bundesweit zu den Vorreitern bei den Anti-Hartz-IV-Protesten und beteiligte sich auch an den Montagsdemonstrationen. Sozialer Abstieg und Abwanderung waren und sind nach wie vor zentrale Themen in Hoyerswerda. Obwohl diese Art politischen Engagements nachgelassen hat; es gibt bis heute Neonazis in der Stadt, die sehr gewalttätig sind.

MATHIAS: Für den Umgang in der Stadt ist unter anderem problematisch, dass auch bei den aktiven Menschen in Hoyerswerda, die kulturell oder politisch öffentlich in Erscheinung treten, bisher der Konsens vorherrschte, dass man derartige Dinge nicht thematisiert. Zum Beispiel war die Regionale Arbeitsstelle für Ausländerfragen, die in Dresden und Leipzig Opferberatung macht, kein Ansprechpartner für uns, da wir dort nicht auf offene Ohren gestoßen sind. Dann sind, irgendwann nach 2004 war das, Leute aus Görlitz und Dresden gekommen, um sich unsere Geschichte anzuhören und uns zu sagen, was man nach einem Angriff machen kann. Auch im Stadtrat, also in der Politik, gab es kein Entgegenkommen. Und selbst im soziokulturellen Zentrum begegnete man uns immer mit Misstrauen, obwohl dort zum Teil Leute engagiert sind, die Anfang der 90er von Nazis verprügelt wurden.

MARIUS: Stattdessen wurde Stimmung gegen diejenigen gemacht, die sich engagierten, also gegen uns. Die RAA fragte zum Beispiel mal an, ob wir einen Text mit einer Chronik der Ereignisse von 1991 machen könnten. Der Artikel wurde dann mit der Begründung nicht gedruckt, dass er ein schlechtes Image für die Stadt produzieren würde. Als wir selbst das erste Mal an die Öffentlichkeit gingen, bezog man in der Stadt ganz entschieden Stellung gegen uns. Das hat sich erst im Lauf der letzten zwei Jahre geändert, als klar wurde, dass das Thema immer noch eine bundesweite Relevanz hat und man sich da irgendwie verhalten muss. Sie haben zumindest eingesehen, dass es nicht geht, dass man dazu schweigt.

Was hat sich verändert?

MATHIAS: Während 15, 20 Jahre geschwiegen wurde, hat man im Zusammenhang mit der bundesweiten Presse über unsere Demonstrationen begonnen, die damaligen Ereignisse zu relativieren und die rechte Gewalt in der Gegenwart zu entpolitisieren. So sagt man heute: Ja, 1991 war etwas, aber dann hat sich die Stadt zum Positiven verändert. Interessant ist dabei, dass bis auf wenige Ausnahmen selten konkret gesagt wird, was 1991 eigentlich passiert ist. Das wabert vielmehr alles irgendwie herum. Es geht letztlich immer um eine Imagebearbeitung. So gab es zum Beispiel eine Ausstellung zum 20. Jahrestag in der „Orange Box“, die bestand ausschließlich aus Polizeiberichten, die als neutrale Position galten und in der unteren Etage und mit sehr wenig Licht präsentiert wurden. Das obere Stockwerk war dagegen hell ausgeleuchtet. Hier zeigte man Porträts von Menschen mit nichtdeutsch klingenden Namen, die erzählten, wie gut es sich in Hoyerswerda lebt. Sie wurden also für eine städtische Imagebildung instrumentalisiert, eine ehrliche Auseinandersetzung gab es nicht. Die Farce des Ganzen zeigte sich, als im gleichen Jahr drei Betroffene von 1991 noch einmal in Hoyerswerda waren. Vor dem ehemaligen Wohnheim der Vertragsarbeiter/innen wurden sie erneut von Neonazis bedroht und rassistisch beleidigt. Dem begleitenden Kamerateam und einem entschiedenen Auftreten der Drei ist es vermutlich zu verdanken, dass es nicht zu einem gewalttätigen Übergriff kam. Daraufhin gab es ein Interview mit dem Bürgermeister im Deutschlandfunk, in dem er den Männern vorwarf, den Überfall durch ihr Auftreten mit einem Kamerateam provoziert zu haben. Wieder wurden die Täter- und Opferrollen umgekehrt, wieder die rechte Gewalt relativiert. Nicht mal, wenn drei Betroffene vor Ort sind, die der Bürgermeister wenige Minuten vorher persönlich getroffen hatte, war man im Stande, offen und ehrlich mit dem Problem umzugehen.

MARIUS: Die lokale Presse hat im Nachgang die Bürger Hoyerswerdas aufgerufen, zukünftig nett zu Kamerateams und Gästen zu sein, da das ansonsten auf die Stadt zurückfallen würde. Und das könne ja schließlich niemand wollen.

Wie seht ihr den Umgang mit Rechten heute in Hoyerswerda?

MARIUS: Da gibt es Veränderungen, bei denen der genannte Übergriff auf das Pärchen eine große Rolle spielte. Der Sächsische Innenminister sagte nach dem Bekanntwerden öffentlich, dass dies ein Zustand sei, der nicht hinnehmbar ist. Daraufhin wurde die Polizeipräsenz verstärkt, es wurden mehr Streifen gefahren und so weiter. Man versucht, auf der ordnungspolitischen Ebene etwas zu machen. Zum anderen gibt es von zivilgesellschaftlicher Seite aus dem Umfeld der Linkspartei seit zwei Jahren die Tendenz, einige Sachen mehr mitzutragen. Es gab zum Beispiel am 16. April eine Lange Nacht der Toleranz mit ganz verschiedenen Veranstaltungen. Die Linkspartei bezog sich dabei als einzige auf die Ereignisse 1991 und zeigte einen Film, in dem die Betroffenen von damals und ihre Erfahrungen in der Stadt im Zentrum stehen. Bei allen anderen Veranstaltungen fehlte aber wieder jeder Bezug zu 1991 oder zum 20. Todestag von Mike Zerna. Stattdessen gab es zum Beispiel ein Volleyballturnier mit Schülern, das als tolerant galt, weil gesagt wurde, dass es dabei nicht ums gewinnen gehe.

MATHIAS: Das sind Aktivitäten der Aktivität wegen. Die Inhalte, die es gibt, sind instrumentalisiert in dem Sinn, dass sie das Image von Hoyerswerda korrigieren sollen. Zu den wenigen Ausnahmen gehört, dass es im vergangenen Jahr ein Schulprojekt gab, bei dem in Klassen über das, was 1991 passiert war, geredet wurde. Erst mit der bundesweiten Resonanz, die wir mit unserer Kritik ausgelöst haben, und mit der Reaktion des Sächsischen Innenministers auf den Überfall wurde ein Punkt erreicht, an dem Hoyerswerda zum Handeln gedrängt wurde. Wieder war es also nicht die Stadt, die von sich aus gesagt hat: „Das ist eine ganz furchtbare Sache, wir müssen handeln.“

Weiterlesen in Teil 2 des Interviews →

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Die Erinnerung an Silvio Meier in Berlin-Friedrichshain http://www.re-guben.de/?p=452 http://www.re-guben.de/?p=452#comments Sat, 27 Apr 2013 20:05:51 +0000 http://www.re-guben.de/?p=452 Steigt man in Berlin am U-Bahnhof Samariterstraße aus der U5, trifft man am westlichen Ausgang auf eine Tafel mit der Aufschrift „Kein Vergeben! Kein Vergessen! Hier wurde Silvio Meier am 21. November 1992 von Faschisten ermordet“. Die Treppen hoch steht man auf der Frankfurter Allee, im durchsanierten Teil Friedrichshains – Anfang der 1990er ein Zentrum der Berliner Hausbesetzerbewegung. Ein paar Meter weiter zweigt die Mainzer Straße ab, im November 1990 Schauplatz eines mehrtägigen massiven Polizeieinsatzes, mit dem die dortigen Häuser gegen den Widerstand der Besetzer geräumt wurden. Heute ist davon nichts mehr zu erkennen. Auf der andere Seite der Frankfurter Allee ging es bis gestern in die Gabelsbergerstraße. Seit gestern ist sie nach Silvio Meier benannt. In einem offiziellen Akt erhielt die Straße ihren neuen Namen und die Schilder der Silvio-Meier-Straße wurden enthüllt. Er ist Teil und Ergebnis eines erinnerungspolitischen Aktivismus, der sei über 20 Jahren anhält.

In der Nacht zu jenem 21. November 1992 traf im U-Bahnhof Samariterstraße eine Gruppe aus der Besetzerszene, darunter der 27-jährige Silvio Meier, auf acht jugendliche Neonazis. Es kam zu einer Auseinandersetzung aufgrund eines Aufnähers mit der Aufschrift „Ich bin stolz, Deutscher zu sein“, damals eines der beliebten Markenzeichen der rechten Szene. Bei einem zweiten Zusammentreffen der Gruppen zogen einige der Neonazis Messer und stachen auf die Linken ein. Zwei von ihnen wurden schwer verletzt, Silvio Meier starb. Ein Jahr später wurde der Haupttäter wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Ein weiterer Angeklagter erhielt eine Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren, der dritte eine von acht Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.

20 Jahre Silvio-Meier-Demo

Die Erinnerung an Silvio Meier wurde wesentlich getragen von einer linken Szene, die neben einer Mahnwache jedes Jahr im November die Silvio-Meier-Demonstration organisiert. RE:GUBEN sprach mit Thomas, einem linken Aktivisten, der mehrere Jahre im Vorbereitungsbündnis der Demonstration mitarbeitete. Er sagt, dass sie Teil seiner Politisierung war, und schätzt aufgrund seiner persönlichen Eindrücke die Entwicklung der Demonstration ein.

RE:GUBEN: Seit 1992 findet jedes Jahr eine Demonstration zum Todestag von Silvio Meier statt. Wie hat sie sich entwickelt?

Thomas: Die Silvio-Meier-Demonstration hat einige Etappen durchgemacht und ist im Laufe der Zeit und durch den Einsatz zahlreicher Menschen und Gruppen zur größten regelmäßig stattfindenden Demonstration in Berlin geworden.

Direkt nach dem Mord kam es spontan zu zahlreichen Aktionen und Demonstrationen, bei denen das Entsetzen über die Tat und die Herstellung einer Gegenöffentlichkeit zu den Berichten der Presse und des Senats im Vordergrund standen. Dabei ging es auch darum, den Mythos der „Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Jugendbanden“ zu brechen. Gleichzeitig befand sich Berlin in einer Zeit des Wandels, es gab massenhaft Hausbesetzungen und die besetzten Häuser mussten sich gegen Faschisten zur Wehr setzen. Friedrichshain mit seiner linken Gegenkultur und den vielen linken Bewohner*Innen sowie mit der Nähe zu Lichtenberg war häufig Schauplatz von Angriffen durch Neonazis. Der Ausdruck der Demonstration in den Anfangsjahren war dementsprechend stark autonom geprägt und thematisierte rechte Strukturen in Friedrichshain und Umgebung.

In den 20 Jahren gab es natürlich Veränderungen…

In den Folgejahren formierte sich in Berlin eine breite antifaschistische Bewegung, die auf die Organisation von Jugendlichen setzte. Zu nennen ist hier insbesondere die Initiative der Antifaschistischen Aktion Berlin (aab). Dabei entstand ein breites Repertoir an Aktionmitteln- und formen in der Vorbereitung der Demonstration, das bis heute fortlebt. Darunter auch ein speziell an Jugendliche gerichtetes Heft, was an zahlreichen Schulen in Berlin verteilt wird. In der weiteren Entwicklung nahm die Silvio-Meier-Demonstration zunehmend Bezug auf die erstarkende Naziszene in Lichtenberg.

Welche Schwerpunkte hat die Demonstration darüber hinaus gesetzt?

Es gab immer wieder Bestrebungen, die Demonstration thematisch breiter anzulegen. So richtete sie sich im Jahr 2001 hauptsächlich gegen Kameraüberwachung und den durch den 11. September ausgelösten Sicherheitsdiskurs. Viele der damals Beteiligten haben jene Demonstration jedoch in nicht all zu guter Erinnerung. Mehrere Jahre in Folge richtete sich die Demonstration gegen Nazistrukturen rund um die Weitlingstraße in Berlin-Lichtenberg. Bis in das Jahr 2008 war das der Versuch, mit der Demonstration in Nazigegenden zu ziehen, die Nazis dort zu verunsichern und die Initiative von Jugendlichen vor Ort zu stärken. Das Naziproblem in Lichtenberg war damals generell ein wichtiges Tätigkeitsfeld der Berliner Antifaszene.

Später konnten weniger beachtete Themenfelder in den Vordergrund gerückt werden. An der Demonstration nahmen immer mehr Menschen teil. Eine wichtige Rolle spielten dabei die noch in Friedrichshain bestehenden Wohn- und Kulturprojekte. Nach der Demonstration zum 20. Jahrestag des Mordes mit mehr als 5.000 Teilnehmer*innen bleibt abzuwarten, in welche Richtung sie sich in Zukunft entwickelt.

„Her mit der Silvio-Meier-Straße“

Die Umbenennung der Gabelsbergerstraße in Silvio-Meier-Straße wurde angeregt und vorangebracht von der Initiative „Aktives Gedenken“. Auch sie gab RE:GUBEN ein Interview.

RE:GUBEN: Wie ist eure Initiative entstanden? Und in welchem Verhältnis steht sie zur Silvio-Meier-Demonstration?

Aktives Gedenken: Wir haben uns im Herbst 2010 nach einer Podiumsdiskussion gegründet, die im Kontext der 18. Silvio-Meier-Gedenkdemonstration stattfand. Unser Ziel war es, eine Straße nach Silvio Meier zu benennen. Wir wollten damit ein Stück Politik zurück ins Straßenbild bringen.

Für uns steht Silvio Meier für all diejenigen, die gerade Anfang der 1990er Jahre von Neonazis ermordet wurden. Hier sei nur daran erinnert, dass die Pogrome vom Rostock-Lichtenhagen gerade vorbei waren und am gleichen Wochenende die Morde in Mölln geschahen.

Zu uns gehören engagierte Antifaschisten mit verschiedenen Hintergründen, aber auch Vertreter aus Vereinen, Parteien, linken Gruppen und Einzelpersonen aus Friedrichshain. Unsere Initiative unterstützt auch Aktionen wie die Mahnwache, die jedes Jahr am 21. November an der Gedenktafel im U-Bahnhof Samariterstraße stattfindet, und die jährliche Gedenkdemonstration, die immer aktuelle Probleme mit Neonazismus und Rassismus thematisiert.

Die Forderung nach einer Straßenumbenennung stand bereits seit Jahren im Raum, sie wurde im Zusammenhang mit den Demonstrationen und Mahnwachen immer wieder geäußert. Aber von offizieller Seite, also vom Bezirk, gab es darauf nie eine Reaktion. Die meisten von uns hatten sich schon längere Zeit bei den Gedenkaktionen engagiert und wollten dann mit der Gründung der Initiative der Forderung Nachdruck verleihen.

Wie seid ihr vorgegangen und welche Reaktionen habt ihr darauf erfahren?

Wir haben einen offenen Brief geschrieben und damit bei Gewerbetreibenden, Einzelpersonen und Initiativen angefragt, ob sie unser Anliegen unterstützen. Die Rückendeckung, die wir dadurch bekommen haben, war groß. Wir organisierten Infotische im Bezirk, um die Bewohner aus dem Kiez anzusprechen. Danach führten wir diverse Gespräche mit potenziellen Partnern: BVG, Bezirksamt, Politiker, Journalisten, Kiezinitiativen etc. „Nebenbei“ haben wir die politischen Vertreter in den zugehörigen Bezirksausschüssen begleitet, nachdem es ein Interesse verschiedener Parteien der Bezirksverordnetenversammlung an einem würdigen Gedenken an Silvio Meier gab. Wir haben sozusagen Druck durch Öffentlichkeit aufgebaut.

Im Kiez ist das Gedenken an Silvio Meier seit vielen Jahren fest verankert, entsprechend wird auch die Forderung nach einer Straßenumbenennung breit unterstützt. Beispielsweise wurden wir bei unseren Infoständen häufig von Bürgerinnen und Bürgern gefragt, wie sie sich beteiligen können. Neben Einzelpersonen wird „Aktives Gedenken“ von vielen Friedrichshainer Initiativen, Gewerbetreibenden und Antifagruppen unterstützt.

Wir hatten vor, die Benennung einer Straße nach Silvio Meier bis zu seinem 20. Todestag zu erreichen. Nach langem Hin und Her sowie dem klaren Votum einer Bürgerveranstaltung im Frühling 2012 hat auch der Bezirk dieses Anliegen vorangetrieben. Durch die Klage eines Gewerbetreibenden wurde dies zwischenzeitlich leider aufgeschoben. Am 8. März 2013 fand dann die mündliche Verhandlung vor dem Berliner Verwaltungsgericht statt. Die eingereichte Klage wurde angesichts der erwarteten Erfolglosigkeit zurückgezogen. Künftig heißt nun die Gabelsbergerstraße Silvio-Meier-Straße.

Warum habt ihr euch für einen Straßennamen als Form des Gedenkens entschieden?

Wie schon erwähnt, unterstützen wir die Gedenkdemonstration und beteiligen uns aktiv an der Mahnwache zu seinem Todestag. Wir möchten betonen, dass die verschiedenen Gedenkformen für uns nicht gegeneinander stehen, sondern sich vielmehr ergänzen.

Mit der Forderung nach einer Straßenumbenennung wollten wir einen öffentlichen Ort durchsetzen, der die jüngste Geschichte des Bezirks sichtbar macht. Wir wollen erreichen, dass sich Menschen über den Todestag hinaus mit der Person Silvio Meier, damit mit linker – auch oppositioneller – Jugendkultur in der DDR, Neofaschismus in den 1990er Jahren, Antifaschismus und auch Hausbesetzungen beschäftigten. Wir finden die Zeit für eine „offizielle“ Würdigung Silvio Meiers durch den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist reif. Zudem ist Gewalt von Neonazis im Stadtteil leider nicht Geschichte, sondern immer noch aktuell.

Linke Erinnerungspolitik

Die Auseinandersetzungen um die Silvio-Meier-Demonstration, der Prozess der Straßenumbenennung und die Sichtweisen der verschiedenen Akteure können an dieser Stelle aufgrund des begrenzten Textumfangs nicht wiedergegeben werden. Fest steht allerdings, dass es kein vergleichbares Beispiel des Gedenkens für ein Opfer rechter Gewalt gibt. Die wesentliche Voraussetzung dafür war sicher, dass Silvio Meier selbst Teil einer in Berlin relativ großen Szene war, die dieses Gedenken trägt. Hinzu kommt, dass es im „Szenebezirk“ Friedrichshain mit seiner Alternativ- und Projektkultur immer auch eine Öffentlichkeit gab, die das Anliegen positiv aufgenommen hat.

Silvio Meier wurde Identifikationsfigur – besonders in den ersten Jahren nach der Tat waren die Umstände, unter denen er starb, vielen nahe. Und er wurde zu einem Symbol, einerseits für die Zeit Anfang der 1990er, andererseits für linke Erinnerungspolitik. Das Gedenken an Silvio Meier wurde immer wieder mit aktuellen politischen Themen verbunden und damit wiederum aktualisiert. Insofern ist es ein Beispiel für aktives Gedenken, das die Erinnerung an den Menschen wachhält und sie als Anlass nimmt, sich mit dem Jetzt auseinanderzusetzen.

 

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Patinnen und Paten gesucht: „Würdiges Gedenken für alle Todesopfer rechter Gewalt“ http://www.re-guben.de/?p=384 http://www.re-guben.de/?p=384#comments Fri, 05 Apr 2013 18:51:15 +0000 http://www.re-guben.de/?p=384 Mindestens dreizehn Menschen starben in Sachsen-Anhalt seit 1990 infolge politisch rechts motivierter Gewalttaten: junge Punks, Arbeitsmigranten, Wohnungslose, sozial Randständige, vermeintliche „politische Gegner“ und Menschen mit psychischen und physischen Beeinträchtigungen. Doch lediglich sieben der Getöteten werden in den offiziellen Statistiken als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt. Das öffentliche Gedenken beschränkt sich bislang auf einige wenige Orte. Mit der Kampagne „Würdiges Gedenken für alle Todesopfer rechter Gewalt“ will sich die Mobile Opferberatung für ein öffentliches und nachhaltiges Gedenken in Sachsen-Anhalt einsetzen. Damit sollen auch den oftmals längst vergessenen Opfern Namen, Gesichter und Geschichten zurückgegeben werden.

Gleichzeitig wollen wir deutlich machen, dass es jenseits des Terrors des Nationalsozialistischen Untergrunds eine tödliche Dimension rechter Gewalt gibt, deren Opfer und ihre Angehörigen Solidarität und Unterstützung benötigen. Denn noch immer mangelt es vielerorts an Aufmerksamkeit für die ganz alltägliche rechte Gewalt, die das Leben vieler Menschen in Sachsen-Anhalt beeinträchtigt. Viele Tatorte der tödlichen rechten Gewalt sind auch heute noch Schwerpunkte rechter und rassistischer Angriffe. Zudem wollen wir mit der Kampagne die oft vergessenen und gesellschaftlich besonders stigmatisierten Betroffenengruppen in den Fokus öffentlicher Wahrnehmung rücken: Wohnungslose und sozial Randständige sowie Menschen mit physischen und psychischen Beeinträchtigungen.

Auftakt der Kampagne 2013

In der ersten Phase der Kampagne entsteht eine interaktive Website, die im Frühsommer vorgestellt werden soll. Sie wird Fotos und biografische Informationen zu den Getöteten sowie Erinnerungen von Angehörigen und Freund_innen sowie Hintergrundinformationen zu den einzelnen Tötungsdelikten, Beiträge aus unterschiedlichen Medien, wie beispielsweise Radio und Fernsehdokumentationen, beinhalten. Aktuelle Fotos von den Tatorten – die bis auf wenige Ausnahmen heute als solche nicht gekennzeichnet sind – sollen diese für alle sicht- und auffindbar machen.

Spätestens im Jahr 2014 wollen wir dann in die zweite Phase treten: In Zusammenarbeit mit lokalen Kooperationspartner_innen – und wenn möglich mit Angehörigen und Freund_innen der Getöteten – sollen in den Kommunen sichtbare Orte der Erinnerung im öffentlichen Raum geschaffen werden. Vorstellbar sind dabei die jeweiligen ehemaligen Tatorte, aber auch andere Plätze. Wichtig ist uns, dass diese Orte für alle zugänglich sind. Neben der Installation von Skulpturen, Stelen, Gedenktafeln oder -steinen sollen auch mit den Getöteten in Verbindung stehende Geschichten, beispielsweise Interviews mit Angehörigen, Anwält_innen oder Freund_innen als Audiobeiträge Bestandteil des Gedenkens sein.

Bitte um konkrete Unterstützung

Für den Erfolg der Kampagne benötigen wir Ihre und Eure Unterstützung. Die interaktive Website ist zugleich eine Einladung, sich an der inhaltlichen Ausgestaltung zu beteiligen: durch die Vermittlung von Kontakten zu ehemaligen Freund_innen oder Bekannten der Opfer, durch eigene Recherchen zu den Tatumständen oder den Biografien der Getöteten, durch Interviews mit Angehörigen, Anwält_innen, Freund_innen der Opfer, durch die Übersendung von Zeitungsartikeln und Fotos oder durch Beiträge von Künstler_innen zur Gestaltung der Orte der Erinnerung. Damit wollen wir explizit vielen Beteiligten die Möglichkeit bieten, ihre Form des Erinnerns und ihre Auseinandersetzung mit dem Thema öffentlich darzustellen.

Um ein langfristiges Gedenken vor Ort zu ermöglichen, suchen wir lokale Pat_innen: Einzelpersonen, Schulklassen, Antifagruppen, Gewerkschafter_innen, Sozialverbände, Kirchengruppen und andere, die sich für eine Erinnerung engagieren, indem sie beispielsweise eigene Recherchen anstellen, gemeinsam mit uns eine Veranstaltung vor Ort durchführen oder an den Todestagen Gedenkveranstaltungen organisieren wollen.

Wir streben zudem eine Zusammenarbeit mit landesweit tätigen Einrichtungen wie Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften, migrantischen Selbstorganisationen oder überregionalen Bündnissen an, um die Kampagne und ihre Ziele bekannt und gleichzeitig auf die Unterschiedlichkeit der Todesopfer rechter Gewalt aufmerksam zu machen.

Wir sind sehr gespannt auf Ihre und Eure Beiträge. Telefonisch sind wir in unseren Anlaufstellen in Halle, Magdeburg und Salzwedel erreichbar, per Email unter wuerdiges-gedenken@mobile-opferberatung.de. Gerne treffen wir uns zu persönlichen Gesprächen vor Ort.

Im Netz: Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt Sachsen-Anhalt

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„Wir haben unsere Verantwortung angenommen“ http://www.re-guben.de/?p=291 http://www.re-guben.de/?p=291#comments Thu, 21 Mar 2013 17:06:03 +0000 http://www.re-guben.de/?p=291 Eberswalde, Erinnerung an die Ermordung Amadeu Antonios, 6.12.2012

Eberswalde, Erinnerung an die Ermordung Amadeu Antonios, 6.12.2012

Es war ein langer Weg für Eberswalde ein würdiges Gedenken an Amadeu Antonio zu finden. 22 Jahre nach dessen Tod ist es der Stadt schließlich gelungen auch die gesellschaftliche Verantwortung für die Folgen dieser rassistischen Tat zu übernehmen. Seit der ersten Stunde unterstützte die Amadeu Antonio Stiftung das Bemühen um eine würdige Erinnerungskultur vor Ort.

Es war ein Mord, der Eberswalde bis heute prägt: Amadeu Antonio trifft in der Nacht zum 25. November 1990, nach einem Besuch mit Freunden im Lokal „Hüttengasthof“ in Eberswalde, auf circa 50 Neonazis. Eine Hetzjagd auf Amadeu Antonio und seine Freunde beginnt. Mit Zaunlatten und Baseballschlägern schlägt die Horde Nazis brutal auf sie ein. Bei dem Versuch zu fliehen, teilt sich die Gruppe um Amadeu Antonio. Seine Freunde können entkommen. Er selbst jedoch nicht. Der angolanische Vertragsarbeiter wird von rund zehn Neonazis weiter verfolgt, brutal geschlagen und ins Koma getreten. Elf Tage später, ohne je das Bewusstsein wiederzuerlangen, stirbt Amadeu Antonio an den Folgen der schweren Misshandlungen.

22 Jahre später. Es ist der 6. Dezember 2012: Die Straßen von Eberswalde sind mit Schnee bedeckt. Nicht mehr viel erinnert an jene furchtbare Tat von damals. Eine Tafel wurde in Gedenken an Amadeu Antonio in Tatortnähe angebracht. Wie jedes Jahr gedenken seine Freunde sowie Bürgerinnen und Bürger von Eberswalde an diesem Tag an die Ermordung des angolanischen Vertragsarbeiters. Sie legen vor der Gedenktafel Blumen und Kränze nieder und verharren in einer Schweigeminute. Und dennoch ist etwas anders an dieser Gedenkveranstaltung; neben der Tafel findet sich nämlich auch ein Straßenschild mit der Aufschrift ‚Amadeu-Antonio-Straße’. Mit dem Straßenschild soll dem Anliegen des Afrikanischen Kulturvereins Palanca e.V., der Barnimer Kampagne ‚Light me Amadeu’ und des Jugendbündnises F.E.T.E. besonders an diesem Tag noch einmal Ausdruck verliehen werden: Eine dauerhafte Kennzeichnung von Stadtraum für Amadeu Antonio in Eberswalde.

Eine kontroverse Debatte um ein würdiges Gedenken

Die am 16. Todestag von engagierten Jugendlichen ins Leben gerufene Barnimer Kampagne ‚Light me Amadeu’ fordert seit Jahren eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Mord an dem Angolaner. Ein zentrales Bemühen stellt dabei ein Teilstück der Eberswalder Straße zwischen Heegermühler Straße und Kopernikusring, den Tatort, nach Amadeu Antonio zu benennen. Im August 2011 gab es, anlässlich Amadeu Antonios 49. Geburtstags, lediglich eine kurzzeitige symbolische Straßenumbenennung, da eine dauerhafte Umbenennung stets am Widerstand nicht weniger Eberswalder Bürgerinnen und Bürger scheiterte. Als dann auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im September 2011 den Vorschlag für eine Amadeu-Antonio-Straße in den Kulturausschuss und die Stadtverordnetenversammlung einbrachte, glaubten sich die Befürworter ihrem lang gehegten Anliegen einen Schritt näher. Für kurze Zeit hatte es den Anschein, dass Amadeu Antonios 50. Geburtstag als Anlass genommen werden würde, das Teilstück der Eberswalder Straße nach ihm zu benennen. Was folgte war jedoch der Beginn einer Auseinandersetzung, die schließlich die ganze Stadt ergreifen sollte.

Monatelang wurde eine kontroverse Debatte um eine würdige Form des Gedenkens an Amadeu Antonio geführt, in der nicht selten offen rassistische Stereotypen geäußert wurden. Denn was für die einen ein deutliches Zeichen gegen Rassismus und für Toleranz bedeutete, war für eine Gegeninitiative vor allem ein Eingriff in das Stadtbild ‚ihres’ Eberswaldes. Die Gegner der Straßenumbenennung formierten sich unter dem Namen ‚Das fünfte Gebot’. Der Titel der Initiative bezieht sich auf das biblische Tötungsverbot, auch Stadtverordnete und Kirchenvertreter gehören zu der Gruppierung. Stets argumentierten sie, dass mit einem würdigen Gedenken an Amadeu Antonio andere Gewaltopfer aus dem Blickfeld geraten würden. Zudem führten sie die hohen Kosten, die mit einer Straßenumbenennung verbunden seien, an und scheuten auch nicht davor zurück, Verleumdungen über den ermordeten Vertragsarbeiter in Umlauf zu bringen: Die Initiatorin der Gegenbewegung erklärte in einem offenen Brief, dass die angolanischen Vertragsarbeiter in den 1990er Jahren laut Gerüchten häufig gewalttätig oder sexuell übergriffig gewesen wären. Ihre haltlosen Aussagen dienten dem Zweck, die Frage aufzuwerfen, ob Amadeu Antonio für eine Straßenumbenennung überhaupt würdig sei.

Am 12. August 2012, es wäre Amadeu Antonios 50. Geburtstag gewesen, kam es infolge der Unvereinbarkeit zwischen Befürwortern und Gegnern, wie im Vorjahr, nur zu einer symbolischen Straßenumbenennung.

Das Ringen um die Ausarbeitung eines Erinnerungskonzepts

Mehr und mehr kristallisierte sich heraus, dass sich die beiden gegensätzlichen Positionen unvereinbar gegenüberstanden. In letzter Konsequenz entschied sich die Stadt im September 2012 deshalb dazu, zwei Workshops zu veranstalten, um in diesen den Versuch zu unternehmen, die kontroversen Punkte in der Debatte zu klären. Ziel der Workshops war es anhand deren Ergebnisse Ausgangspunkte für die Erarbeitung eines Erinnerungskonzept zu erhalten. Bei den Arbeitskreisen wurden zwar die Kontroversen in der Debatte noch einmal besonders deutlich, den politischen Verantwortlichen der Stadt wurde jedoch zeitgleich vor Augen geführt, dass es viele Eberswalderinnen und Eberswalder gibt, die ein würdiges Gedenken an Amadeu Antonio in ihrer Stadt wünschen und ausdrücklich fordern.

Und tatsächlich, durch die Workshops gelang es, wesentliche Aspekte für ein Erinnerungskonzept herauszuarbeiten. Noch vor der Abstimmung in der Stadtverordnetenversammlung begrüßte Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, das Konzept: „Mit der Vorlage eines Erinnerungskonzepts ist die Stadt einen entscheidenden Schritt in der Diskussion um ein würdiges Gedenken an Amadeu Antonio vorangekommen. Das erarbeitete Konzept zeigt, dass sich die Stadt dem Druck von Seiten einer Gegeninitiative mit den Namen ‚Das fünfte Gebot’ nicht gebeugt hat, die oftmals durch rassistische Aussagen auf sich aufmerksam machte.“ Denn nicht zuletzt vor dem Hintergrund der grausamen Mordserie des NSU stünden die politischen Verantwortlichen in der Pflicht, Todesopfer rechter Gewalt im öffentlichen Raum sichtbar zu machen. So betonte Timo Reinfrank, dass der jahrelang fehlenden Sensibilität den Opfern gegenüber endlich ein aktives Gedenken entgegengesetzt werden müsse. Und auch der Eberswalder Bürgermeister Friedhelm Boginski (FDP) fand vor der Abstimmung deutliche Worte an die Stadtverordneten und Bürger: „Eberswalde hat eine große Verantwortung. Heute entscheiden wir, ob wir sie wahrnehmen oder zerreden.“

Die Amadeu-Antonio-Straße ist überall!

Am 22. November 2012 wurde das Erinnerungskonzept von den Stadtverordneten in Eberswalde mit deutlicher Mehrheit angenommen. „Ich bin froh, dass die Demokraten in unserer Stadt sich darauf verständigen konnten“, erklärte Friedhelm Boginski nach der Abstimmung. „Wir haben unsere Verantwortung angenommen und damit ein klares Zeichen gegen rechte Gewalt gesetzt.“ Das Konzept sieht vor, dass dem im Bau befindlichen Bürgerbildungszentrum bei seiner für Ende 2013 geplanten Einweihung der Name ‚Amadeu-Antonio-Haus’ verliehen wird. Zudem will die Stadt einen mit 1.000 Euro dotierten ‚Amadeu-Antonio-Preis’ ausschreiben, der zum ersten Mal 2014 an antirassistische Initiativen verliehen werden soll. Dazu soll die Gedenktafel neu gestaltet werden. Die städtischen Schulen werden außerdem mit Projektmaterial zum Thema ausgestattet, während Kinder und Jugendliche mit einer Graphic Novel über Amadeu Antonio angesprochen werden sollen.

Mit diesem Konzept ist es der Stadt Eberswalde nach langem Ringen gelungen eine würdige Form des Gedenkens an Amadeu Antonio zu finden. Und dennoch bleibt ein zentrales Anliegen unerreicht: Die Straßenumbenennung findet sich im Gedenkkonzept nicht wieder. Der authentische Ort, der Tatort, sollte jedoch nicht in Vergessenheit geraten. Hier ist die Tat geschehen. Die Initiative für eine Straßenumbenennung fußte vor allem auch darauf, dass seine Freunde und Angehörigen den Vorschlag für eine ‚Amadeu-Antonio-Straße’ mit einbrachten. Dieses Anliegen kam somit von Menschen, die bis heute von Rassismus und andere Formen der Menschenfeindlichkeit betroffen sind. Gerade deshalb setzen sich die Befürworter auch weiterhin für eine Straßenumbenennung ein und intensivieren die Kampagne ‚Die Amadeu-Antonio-Straße ist überall!’. Dahinter steht die Motivation den Blickwinkel auf das Geschehene zu wechseln und die Betroffenenperspektive näher in den Fokus zu rücken. „Die Straßenumbenennung betrachten wir als ein wichtiges Signal der Stadt Eberswalde, als eine würdigende Geste auch für das Leid der Familie, aller Angehörigen und Freunde von Amadeu Antonio, außerdem als ein deutliches Bekenntnis gegen den alltäglichen Rassismus und damit gegen Anknüpfungspunkte von Nazis und Rechtspopulisten. Darum weisen wir nun mit Straßenschildern, T-Shirts, Aufklebern usw. darauf hin: Wenn sie – noch – nicht dort ist, wo sie hingehört, zeigen wir, dass die Amadeu-Antonio-Straße überall ist bzw. überall da sein kann, wo sich Menschen gegen Rassismus engagieren“, so ‚Light me Amadeu’ über ihre Motivation.

Es bleibt zu hoffen, dass die Stadt diesen wesentlichen Aspekt nicht aus den Augen verliert und vielleicht zukünftig auch einen Weg findet, dieses Anliegen nicht unberücksichtigt zu lassen. Denn ein Bildungszentrum kann geschlossen werden, weil die Stadt die Kosten nicht mehr tragen kann. Aber eine Straße? Eine Straße, die bleibt und holt fast Vergessenes ins Bewusstsein zurück und fordert von jedem Menschen, der an ihr vorbeikommt eine tagtägliche Auseinandersetzung mit den furchtbaren Folgen von Rassismus. Die Amadeu Antonio Straße ist überall!

 

Anna Brausam ist Mitarbeiterin der Amadeu Antonio Stiftung und betreut den Opferfonds CURA – für Betroffene rechter Gewalt.

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Ähnlich, aber anders – Interview zum Gedenken an Mehmet Turgut in Rostock http://www.re-guben.de/?p=254 http://www.re-guben.de/?p=254#comments Mon, 25 Feb 2013 17:40:59 +0000 http://www.re-guben.de/?p=254 Warum, womit und wie erinnert man an rassistische Gewalttaten und an ihre Opfer? Diese Fragen stehen nicht nur in Guben an. In der letzten Zeit erlebten wir einige Jahrestage: Über zwanzig Jahre sind die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock oder der Brandanschlag von Mölln her und auf verschiedene Weise wird mit ihnen umgegangen. Zugleich steigt das zeitgeschichtliche Interesse an diesen Ereignissen. Aktuell wird Gedenken im Zusammenhang mit den Mordanschlägen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) diskutiert: Am 25. Februar 2004 wurde Mehmet Turgut in Rostock-Toitenwinkel durch drei Schüsse der NSU-Attentäter getötet, als er in einem Imbiss arbeitete. Nach dem Ende der Terrorzelle erklärte im April 2012 die Stadt Rostock zusammen mit den sechs anderen Tatort-Städten ihre Verantwortung für ein Gedenken an die Opfer. Auch Initiativen forderten eine Gedenkstele in Toitenwinkel und die Umbenennung des Neudierkower Weges, an dem der Mord geschah, in Mehmet-Turgut-Weg. Die Ortsbeiräte in Dierkow und Toitenwinkel blockierten dieses Vorhaben.

Ein Bericht im ZDF-heute-nacht-Magazin erinnerte uns frappierend an Debatten um einen Gedenkstein in Guben vor 14 Jahren. Wir sprachen deshalb mit Christoph Schützler vom Verein Soziale Bildung in Rostock. SoBi führt in Mecklenburg-Vorpommern landesweit Projekte in der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung durch. Der Verein gehört auch zum Bündnis Erinnern! Verantworten! Aufklären!, das am 25. Februar 2013 in Toitenwinkel eine Gedenkkundgebung veranstaltete.

RE:GUBEN: Was möchte das Bündnis erreichen?

Christoph Schützler: Zum einen fordern wir die Umbenennung des Neudierkower Wegs in Mehmet-Turgut-Weg und die Errichtung einer Gedenkstele in Toitenwinkel. Wir wollen, dass am Ort des Mordes der Name des Opfers sichtbar wird. Das ist für uns Teil eines respektvollen Gedenkens. Nachdem die Ortsbeiräte in Dierkow und Toitenwinkel letztes Jahr die Umbenennung abgelehnt haben, stagniert die Situation. Wir fordern, dass die Stadt sich jetzt bewegt.

Zum anderen soll das Erinnern nicht dabei stehen bleiben. Uns geht es auch um Aufarbeitung der Tat und eine offensivere Auseinandersetzung mit rassistischer Gewalt. Das heißt zum Beispiel Bildungsarbeit und aktive Erinnerungspädagogik, die Jugendliche erreicht und einbezieht.

Welche Reaktionen erfahren Sie darauf in Rostock?

Wie gesagt haben die Ortsbeiräte die Umbenennung des Weges abgelehnt. Man findet vor Ort in den Stadtteilen auch Abwehrhaltungen. In dem ZDF-Beitrag wurden ja zum Beispiel Anwohner befragt, die das Thema nicht interessiert hat. Das sind aber auch Einzelmeinungen, die man nicht verallgemeinern sollte. Es gibt in Rostock eine breitere Zivilgesellschaft, die das Gedenken an Mehmet Turgut als wichtig erachtet.

Wie wird in Mecklenburg-Vorpommern politisch mit dem NSU-Anschlag umgegangen?

Bisher hat sich nur die Linkspartei im Landtag für einen NSU-Untersuchungsausschuss in Mecklenburg-Vorpommern ausgesprochen. Im Bericht, den der Innenminister zum NSU vorgelegt hat, endet aber im Prinzip jeder Absatz mit „näheres ist nicht bekannt“ und „Ermittlungen der Bundesanwaltschaft bleiben abzuwarten“. Das Innenministerium sieht keine Verbindungen des NSU nach Mecklenburg-Vorpommern und die anderen Fraktionen im Landtag halten einen Untersuchungsausschuss nicht für notwendig. Bislang stehen auch Bündnis 90/Die Grünen einem solchen Ausschuss skeptisch gegenüber. Es gibt allerdings Hinweise und Informationen, die Fragen offen lassen und auf Versäumnisse der Sicherheitsbehörden schließen lassen. Das und der Umgang mit den Angehörigen von Mehmet Turgut sind Gründe dafür, dass Initiativen weiterhin die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses fordern.

In Bezug auf Rostock und rassistische Gewalt denkt man auch an das Pogrom in Lichtenhagen 1992. In welchem Verhältnis stehen die Erinnerung daran und an den NSU-Mord?

Der Mord an Mehmet Turgut und Lichtenhagen 1992 waren zwei unterschiedliche Ereignisse, die auch getrennt voneinander betrachtet werden sollten. Für den Pogromcharakter von Lichtenhagen spielten viel mehr politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen eine Rolle, zum Beispiel die verschärfte Asyldebatte. Der Mord an Mehmet Turgut war explizit neonazistische Gewalt in ihrer extremsten Form. Deshalb ist es für uns auch sinnvoll, die Erinnerung daran unterschiedlich zu behandeln. Beider Ereignisse soll gedacht werden, aber eben in Hinblick auf die jeweils verschiedenen Bedingungen.

Dazu muss man allerdings auch sagen, dass das Pogrom von 1992 in der Stadt und im Land bislang genau so schlecht aufgearbeitet ist wie der Mord, gerade hinsichtlich der Verantwortung von Politik und Behörden. Es gibt lediglich eine Ausstellung in Rostock dazu von Bunt statt braun und letztes Jahr haben Initiativen am Rathaus eine Kopie der Tafel angebracht, die Beate Klarsfeld 1992 anbringen wollte. Diese Tafel ist jetzt geduldet, aber am Sonnenblumenhaus in Lichtenhagen zum Beispiel gibt es kein Erinnerungszeichen. Nur das Haus selbst.

Sehen Sie Parallelen zwischen den Gedenkinitiativen in Rostock und Guben?

Es gibt diese Situation ja in vielen Orten, nicht nur in Rostock, Guben oder Hoyerswerda. In Greifswald zum Beispiel, wo Eckard Rütz im Jahr 2000 von Neonazis erschlagen wurde, sind es auch kleine zivilgesellschaftliche Initiativen, die daran erinnern. In Teilen der Kommunalpolitik findet man dagegen die Haltung, dass das Gedenken als „Nestbeschmutzung“ und Image-Schaden wahrgenommen wird und dass eine Auseinandersetzung gedeckelt wird. Dabei ist die Aufarbeitung solcher Taten und die aktive Erinnerung überhaupt erst die Voraussetzung für Pluralität und die Weltoffenheit, die in vielen Städten als politisches Ziel genannt wird.

 

Nachtrag: An der Kundgebung nahmen etwa 160 Menschen teil und unterstrichen die Forderung des Bündnisses. Am selben Tag erklärte die Präsidentin der Rostocker Bürgerschaft Karina Jens (CDU), dass es Ziel der Stadt sei, noch in diesem Jahr einen Gedenkstein zu errichten, der eine allgemeine Aufschrift ohne Bezug zur Täterschaft des NSU tragen solle.

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